Ab den 90ern begann sich Kiki Smith für die Beziehung zwischen Mensch und Tier zu interessieren. So auch in dieser Tintenzeichnung.
Foto: Kiki Smith/Adagp, Paris

Auf die Frage aus dem Publikum, wie das Sammlerehepaar Guerlain seine Sammlung aufgebaut hat, antwortete Gattin Florence bei der Eröffnung: "Zuerst kauft man ein Bild, dann weitere." Die Frage hatte sich eigentlich auf die Kriterien bezogen, nach denen Daniel und Florence Guerlain sammeln – ihre Intention fiel dem Übersetzungsgewirr vom Deutschen ins Französische zum Opfer. Berechtigt ist sie, denn ein roter Faden erschließt sich bei den höchst unterschiedlichen Arbeiten nicht leicht. Mitte der 2000er haben die Guerlains – Daniel ist in fünfter Generation Erbe des prestigeträchtigen Parfümeurs –, die auch vorher schon brav Kunst akkumuliert hatten, ihren Fokus auf die zeitgenössische Zeichnung gelegt, 1200 Arbeiten in diesem Medium hat das Ehepaar dem Centre Pompidou 2012 geschenkt.

Running Sushi für Kuratoren

Wie bei Running Sushi dürfen sich Kuratoren aus anderen Museen die für sie passenden Häppchen herauspicken – jetzt auch die Albertina. Sie zeigt bei der Schau A Passion for Drawing an die 160 Arbeiten von 20 Künstlern. Die Kuratorin Elsy Lahner dockt mit ihrer Auswahl an Künstler an, deren Werk bereits in der Albertina vertreten ist, wie zum Beispiel Erik van Lieshout oder Kiki Smith, und beschränkt sich bis auf eine Ausnahme auf Werke des aktuellen Jahrhunderts.

Geschlechterverhältnisse korrigiert

Interessant ist, dass Lahner elf Frauen und neun Männer auswählte und damit die nicht ganz so aus geglichenen Geschlechterverhältnisse der Sammlung Guerlain "korrigiert": Dort stammt nur ein Viertel der Ankäufe von Künstlerinnen. Viele der ausgestellten Künstler sind nicht in erster Linie oder oft nicht ausschließlich Zeichner. Der Amerikaner Mark Dion zum Beispiel, der Zeichnungen zuerst überhaupt nur als Skizzen für seine installativen Schaukästen verwendete und ihnen erst später einen eigenen Stellenwert beimaß, oder der Bildhauer David Nash, der seine Zeichnungen zur Dokumentation seiner in der Natur verhafteten Skulpturen nutzt.

Cornelia Parkers "Bullet Drawings" haben mit klassischer Malerei wenig zu tun.
Foto: Cornelia Parker/Adagp, Paris

Projektile und Destruktion

Andere Arbeiten fransen in Richtung Cartoon (Joyce Pensato) aus oder lösen sich gleich ganz vom traditionellen Werkzeug: Cornelia Parkers spannende Bullet Drawings sind eigentlich dreidimensionale Objekte, gefertigt mit von Projektilen gezogenen Drähten. Einnehmend sind auch die konzeptionellen Arbeiten der Deutschen Jana Gunstheimer, auch eine künstlerische Allrounderin. Ihr Zyklus Methods of Destruction spielt mit dem schmalen Grat zwischen Wahrheit und Fiktion. So zeichnet sie Bilder anderer Künstler ab, erfindet aber eine Geschichte der Zerstörung des jeweiligen Bildes dazu, die sie in ihrer Version sichtbar macht.

Witz in den Ecken

Das Originellste an A Passion for Drawing passiert aber neben den eigentlichen Ausstellungsstücken: Nedko Solakov übt sich gemäß seiner Praxis im zeichnerischen Kommentar. Seine Albertinadoodles, die er eigens für die Schau angefertigt hat, sind kleine Zeichnungen mit schwarzem Marker, die er wie Ostereier an den Beschreibungstexten zu anderen Werken oder an ungewöhnlichen Stellen – zum Beispiel den Wandecken – in der Ausstellung angebracht hat. Sie peppen die etwas dröge Schau mit Witz auf. (Amira Ben Saoud, 16.10.2019)