Menschlichkeit ist eine journalistische Kategorie: Birgit Fenderl erinnert an den Kanon von Prinzipien gegen Fake News und Desinformation.

Foto: ORF/Thomas Ramstorfer

ORF-Journalistin Birgit* Fenderl, seit Anfang 2019 Moderatorin der Vorabendillustrierten "Studio 2", hielt Mittwochabend die traditionelle Sponsionsrede vor den Journalismus- und Medienmanagement-Absolventen der FH Wien der WKW. Und sie möchte ausdrücklich nicht über die Krise der Branche reden. Sondern darüber, warum Journalismus trotzdem eine gute Berufswahl bleibt. derStandard.at/Etat bringt – wie in den vergangenen Jahren – wesentliche Teile der Sponsionsrede als Gastbeitrag:

Informationsfluss 1944

In Stefan Zweigs " Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers" beklagt der Schriftsteller die Überforderung der Menschen durch den immer schneller werdenden Informationsfluss. "Wenn Bomben in Shanghai die Häuser zerschmetterten, wussten wir es in Europa in unseren Zimmern, ehe die Verwundeten aus ihren Häusern getragen wurden. Was tausend Meilen über dem Meer sich ereignete, sprang uns leibhaftig im Bilde an." Erschienen ist die Erstausgabe von Zweigs Lebenserinnerungen im Jahr 1944. Was würde er wohl über die heutige Informationswelt schreiben?

In der Welt von heute gehen Informationen wirklich fast in "Echtzeit" hinaus. Ob relevant oder irrelevant – was passiert, wird berichtet. Egal wo, egal wann, egal wie. Jeder, der Zugang zum Internet hat, kann berichten, schnell wird geteilt, kommentiert, vielleicht ergänzt. Und schon hat die Welt eine neue Geschichte, ohne dass sich je ein Profi darum gekümmert hat, diese auf ihren Wahrheitsgehalt, ihre Hintergründe, ihre Relevanz zu prüfen.

Jahre alte Amazonas-Bilder, millionenfach geteilt

Ohne zu hinterfragen, ohne gegen zu checken. Von gezielter Fehlinformation, bewusst in die Welt gesetzten und politisch eingesetzten Fake News ganz zu schweigen. Oft sind Fehlinformationen aber auch viel banaler oder passieren einfach, wie die Geschichte mit den Fotos des brennenden Amazonas im heurigen Sommers. Nachrichten über die verheerenden Waldbrände in der Region sorgten weltweit für Wut und Anteilnahme. Schlimme Bilder erreichten uns aus Brasilien, aber nicht alle waren wirklich aktuell oder echt. Millionenfach wurden unter dem Hashtag #Amazon Rainforest und #Pray For Amazon Bilder geteilt, die Jahre alt waren oder nicht einmal den Amazonas zeigten.

Einen besonders dummen Fehler machte in diesem Zusammenhang der französische Präsident Emanuel Macron: Er illustrierte seinen empörten Tweed zu den Amazonas-Bränden mit einem Foto, das nicht die aktuellen Brände zeigte, sondern – wie Journalisten später recherchierten – aus dem Jahr 1989 stammte, also glatte 30 Jahre alt war.

Macron war übrigens bei Weitem nicht der Einzige, der – wohl ohne böse Absicht – falsche Bilder zu einem realen Problem verbreitete. Auch der Fußballstar Cristiano Ronaldo, Hollywoodstar Leonardo di Caprio oder der Youtuber Logan Paul riefen mit falschen Fotos zur Rettung des Amazonas auf. Der Weg von Fake Fotos zu Fake News ist nicht weit, die Glaubwürdigkeit dieser Tweeds und Postings wurde zweifelhaft, die Kritiker des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro machten sich angreifbar.

Kann nicht jeder

Informationen zu filtern, Bilder – bewegte oder Fotos – auf ihre Herkunft und Richtigkeit zu überprüfen, das kann eben nicht jeder. Das ist ein Beruf, das lernt man, dafür gibt es Kriterien, die Sie alle in ihrer Ausbildung an der FH vermittelt bekommen haben.

Egal, ob man sich nun mehr für Gesellschaftsjournalismus oder für politische Berichterstattung, mehr für online oder klassische Zeitungsredaktionen interessiert – was Journalismus bewirken kann, konnten sie alle in diesem Jahr hautnah miterleben.

Ibiza, geprüft

Der 17. Mai 2019 wird künftig wohl in keinem Journalismus-Lehrbuch fehlen. Als die deutschen Medien Spiegel Online und Süddeutsche.de Ausschnitte des inzwischen berühmten Ibiza-Videos veröffentlichten, stand innerhalb kürzester Zeit die österreichische Innenpolitik Kopf. Plötzlich ging es wirklich Zack Zack Zack. Rücktritt des bisherigen Vizekanzlers und FPÖ-Chefs, Ende der Koalitionsregierung, Bildung einer vorwiegend aus Beamten bestehenden Übergangsregierung, Neuwahlen. Die Fakten sind bekannt. Wer hinter dem kompromittierenden Video steckt, ist hingegen bislang nicht geklärt, dass es echt ist und keine Fake News, das haben jene Journalisten, denen es zugespielt wurde, aber lange und aufwendig geprüft.

Die Authentizität der Aufnahmen ließen sie von einem Münchner Forensiker und dem Frauenhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie überprüfen. Veröffentlicht wurden ausschließlich die politisch relevanten Ausschnitte des stundenlangen Materials. Nicht veröffentlicht wurden Passagen mit Behauptungen zum Privatleben österreichischer Politiker. Irrelevante Gerüchte – ganz im Gegensatz zu den brisanten Aussagen zu möglichen Großspenden an die Partei des damaligen Vizekanzlers und eventuelle Gegengeschäfte für solche Investitionen und Spenden. Ibiza Gate ist ein Paradebeispiel für guten, qualitativ hochwertigen investigativen Journalismus. Die oft diskutierte Frage, wozu es noch Journalisten braucht, hat sich in diesem Jahr doch eigentlich erübrigt, oder?

So spektakulär wie im Ibiza-Jahr ist Journalismus freilich nicht immer. Und politischer Journalismus ist auch nur ein Teil dieses Berufs. In meiner Tätigkeit als Lektorin an der Fachhochschule habe ich in den letzten 15 Jahren unzählige spannende junge Menschen kennen lernen dürfen, die sich aus den unterschiedlichsten Motiven zu einer Journalismus-Ausbildung entschlossen haben. Eines hat sie alle angetrieben: die Neugierde. Egal ob Modejournalismus, Sport-, Lokal- oder Gesellschaftsberichterstattung, ob Kultur- oder Wissenschaftsjournalismus, Reisejournalismus oder politische Berichterstattung – Journalisten wollen Geschichten erzählen.

Digitale Möglichkeiten

Die Medien, über die sie ihr Publikum erreichen können, sind vielfältiger und unmittelbarer geworden. Die Möglichkeiten zu publizieren sind also größer, als sie es waren, als ich mich für diesen Beruf entschieden habe. Anfang der 1990er-Jahre war Journalismus ein analoges Handwerk – wer JournalistIn werden wollte, dachte an Zeitungen, Radio oder Fernsehen. In den Redaktionen ratterte der Fernschreiber, über den die neuesten Agenturmeldungen hereinkamen, die RedakteurInnen tippten ihre Stories in Schreibmaschinen, bis eine Meldung auf Sendung ging oder ein Bericht in einer Zeitung abgedruckt wurde, dauerte es für heutige Begriffe unendlich lange. Meine Generation hat diese Art des Journalismus gerade noch miterlebt, bevor Computer, Internet und Smart Phones auch unsere Arbeit grundlegend verändert haben, mit all den negativen Begleiterscheinungen – auf die wir uns heute aber gar nicht konzentrieren wollen.

Die Digitalisierung hat das Berufsbild des Journalismus stark verändert – aber sie hat auch neue Berufsfelder eröffnet: Videojournalisten gab es vor 25 Jahren noch keine, Online-Journalismus, multimediales Arbeiten, Content Manager, Daten-Journalisten, Social-Media-RedakteurInnen – alles sehr junge Berufsfelder. Sollte man dies nicht auch einmal auch als Bereicherung, als Erweiterung unserer Branche sehen? JournalistInnen bedienen mehr Medien, nutzen mehr Quellen als je zuvor. Die schlichte Sender-Empfänger-Kommunikation weicht zunehmend einem regen Austausch mit Medienkonsumenten. Könnte man also nicht auch einmal sagen, für junge JournalistInnen gibt es mehr Möglichkeiten, gibt es ein breiteres Berufsspektrum als noch vor 20 Jahren? Ohne naiv zu sein, man könnte sich ja auch einmal auf die positiven Aspekte konzentrieren, statt eine Branche ständig krank zu jammern.

Menschlichkeit ist eine journalistische Kategorie

Für glaubwürdigen und qualitativ hochwertigen Journalismus gibt es auch im Zeitalter der Digitalisierung einen Markt! Und es gelten wie eh und je Kriterien, die es als seriöse Journalisten einzuhalten gilt. Glaubwürdigkeit ist und bleibt das wichtigste Asset unserer Branche. In dem von der Unesco 2018 veröffentlichen Handbuch "Journalism, Fake News & Disinformation: Handbook for Journalism, Education and Training" haben die AutorInnen sieben ethische Grundregeln für die Basis journalistischer Qualität formuliert, die ich Ihnen heute gerne mit auf den Weg geben möchte:

Genauigkeit JournalistInnen können nicht immer die sogenannte Wahrheit garantieren. Aber genau zu sein, Fehler zu korrigieren, Fakten gegenzuchecken bleibt ein wichtiges Grundprinzip.

Unabhängigkeit JournalistInnen handeln nicht im Namen von Interessen oder Auftraggebern, sondern sie erklären mögliche Interessenkonflikte.

Fairness JournalistInnen recherchieren und bewerten Informationen offen und verständnisvoll. Sie stellen einen Zusammenhang her, zeigen konkurrierende Perspektiven und erzeugen so Vertrauen in die Berichterstattung.

Vertraulichkeit Ein Grundsatz des investigativen Journalismus ist der Schutz vertraulicher Quellen.

Menschlichkeit Was JournalistInnen veröffentlichen, kann Menschen schaden. Die Wirkung auf das Leben anderer muss also berücksichtigt werden. Leitmotiv dabei bleibt das öffentliche Interesse.

Verantwortlichkeit Das bedeutet, auch Fehler deutlich, unverzüglich und aufrichtig zu korrigieren.

Transparenz JournalistInnen sind verpflichtet, Rechenschaft zu leisten, um das Vertrauen in den Journalismus aufrechtzuerhalten.

Wenn journalistisches Arbeiten diese Kriterien erfüllt, wird es immer relevant bleiben, wird es immer sein Publikum finden. (Birgit Fenderl, 16.10.2019)