Der Mediensprecher des Oberlandesgerichts Wien, Reinhard Hinger, schreibt in seinem Gastkommentar, dass die Justiz in ihrer Ausbildung großen Wert auf zeitgeschichtliches Verständnis legt.

Eine berechtigte Frage verdient eine Antwort. Das gilt auch für die Frage, die Hans Rauscher am 12.10.2019 im Einserkastl gestellt hat: Was wurde aus der zeitgeschichtlichen "Schulung" für Justizangehörige?

Bevor man in Österreich Richter wird, ist nach dem Studium eine vierjährige Ausbildung erforderlich, das Stadium als Richteramtsanwärter. Diese Zeit besteht aus Training on the Job bei Gerichten, Staatsanwaltschaften und in Anwaltskanzleien sowie aus Seminaren und Kursen. Verantwortlich für die Ausbildung ist der jeweilige Präsident (die Präsidentin) des Oberlandesgerichts (davon gibt es in Österreich vier: Wien, Graz, Linz, Innsbruck).

Schwurgerichtssaal in Graz.
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Seit Jahren gehört zur Ausbildung auch das mehrtägige "Curriculum Zeitgeschichte". Aufbauend auf den Geschichtsunterricht in der Schule beschäftigt sich dieses Curriculum mit der NS-Zeit, mit der Stellung der Gerichte in dieser Zeit, mit der Entnazifizierung der Justiz nach 1945 und mit der danach folgenden Entwicklung. Der Blick richtet sich auch auf die Zeit davor, speziell auf die Zwischenkriegszeit und den Umbau der Republik in einen autoritären Staat ab 1927 (Justizpalastbrand) und ab 1933.

"Fall Gross" und Hate-Crime

Auch die neuere Zeit steht im Blickpunkt, zum Beispiel der Jugoslawien-Krieg sowie neue Entwicklungen wie Hate-Crime, die Korruptionsbekämpfung und aktuelle Ausformungen der Wirtschaftskriminalität. Aus der jüngeren Vergangenheit wird der "Fall Gross" behandelt.

Die Justiz schwimmt in der Aus-und Fortbildung nicht im eigenen Saft, sondern engagiert Fachleute aus der Wissenschaft. Zu nennen sind die Universitäten Graz und Wien und die Forschungsstelle Nachkriegsjustiz. Auch Vertreter der Uni Berlin und der Uni Tel Aviv konnten schon gewonnen werden. Fixpunkte sind Besuche der Gedenkstätten Mauthausen und Spiegelgrund.

Dem Druck, den die finanziellen Verknappungen erzeugen, stemmt sich die Justiz auch bei der Ausbildung des Nachwuchses mit aller Kraft entgegen. Ohne eine Trendwende müsste allerdings Unmögliches möglich gemacht werden. Das kann auf Dauer niemand. (Reinhard Hinger, 16.10.2019)