Was wäre, wenn? Wenn ein Ordenskrankenhaus gegenüber Nierenkranken behauptet, dass man mit Weihwasser aus Lourdes – äußerlich angewandt – so gute Erfahrungen bei Niereninsuffizienz gemacht hat? Wenn ein österreichischer Urologe sein Wissen über in Ghana gut etablierte Voodoo-Rituale lüftet und dem Patienten empfiehlt, fünf Hühnern und einem Welpen die Kehle durchzuschneiden, um die Göttin Mawu-Lisa zu besänftigen und damit auch die vergrößerte Prostata? Den Ärzten mit Faible für westafrikanischen oder südfranzösischen Zauber wäre eine Vorladung vor die Ethikkommission der Ärztekammer sicher und der Spott der Kollegen. Wenn eine noble Privatklinik damit wirbt, Krebserkrankungen mit Homöopathie behandeln zu können? Dann – allerdings – hat sie den Sanktus der Ärztekammer Steiermark.

Ärztin aus umstrittener "Spinedi-Klinik" referiert

Am 13. November referiert die Ärztin Martina Schörghofer im Haus der Medizin in Graz zum Thema: "Herangehensweise bei einer onkologischen Erkrankung in der Clinica Dr. Spinedi mit Homöopathie."  Die teilnehmenden Ärzte werden mit drei Fortbildungspunkten belohnt. Die Einladung zu dem Voodoo-Talk stammt vom Referat für Komplementärmedizin der Ärztekammer und ist auch von Herwig Lindner, dem Präsidenten der steirischen Ärztekammer unterzeichnet.

Die Vortragende arbeitet in der "Spinedi-Klinik" in Orselina im schweizerischen Tessin. Die "Homöopathische Klinik" oberhalb des Lago Maggiore hat sich mit der homöopathischen Behandlung bei schweren Erkrankungen bis hin zu Krebserkrankungen einen Namen gemacht, aber nicht nur Freunde. 

Schwere Vorwürfe gegen die Spinedi-Klinik 

Die Spinedi-Klinik stand in den vergangenen Jahren wiederholt im Verdacht, gutgläubige Patienten von einer konventionellen Therapie  zugunsten einer homöopathischen abgehalten zu haben. Der Fall einer 33-jährigen Patientin mit Brustkrebs schlug medial Wellen. Nach einer erfolgreichen Operation rieten Ärzte der Patientin zu einer Strahlentherapie. Die Frau zögerte und vertraute einem Arzt in der Spinedi-Klinik. Dessen Behandlung war erfolglos und kostete wertvolle Zeit. Die Rückkehr zur konventionellen Medizin kam zu spät. Die Frau verstarb.

Aufgrund solcher Berichte gibt sich die Klinik mittlerweile gegenüber der evidenzbasierten Medizin zumindest im Webauftritt offen. Mit Homöopathie ergänze man konventionelle Medizin, man setze sie zur Begleitung bei Chemotherapien ein, der Patientenwille stehe an erster Stelle. Dass dahinter auch ein rechtlich motiviertes Kalkül steckt, um im Ernstfall auf der sicheren Seite zu sein, davon zeugen zahlreiche Aussagen von Proponenten der "Homöopathie-Klinik".

In einem Fernsehbeitrag des MDR-Magazins "Fakt" im Jahr 2017 wurde der Fall der verstorbenen Brustkrebspatientin neu aufgerollt. Journalisten stellten mit versteckter Kamera einem Arzt der Spinedi-Klinik die Frage, ob man Krebs rein homöopathisch behandeln könne: "Das wäre eine vertretbare Entscheidung, ja, ja kann man. Wenn sie das für sich so dahinterstehen können, dann ja", antwortet der Arzt. In einem anderen Interview betont der Namensgeber Dario Spinedi, in seiner Einrichtung fließe "die Kompetenz von vier Generationen von Homöopathen zusammen, in gerader Linie.

Krebspatienten mit Homöopathie behandeln - eine Schweizer Klinik macht das.
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"Man muss das leider fast heimlich tun"

Die verstorbene Brustkrebs-Patientin wurde in der Klinik laut dem MDR-Beitrag vom Homöopathen Jens Wurster behandelt. In seinem Buch "Die homöopathische Behandlung und Heilung von Krebs und metastasierter Tumore" beklagt Wurster weniger die Opfer seiner unwirksamer Methoden, sondern die Umstände, mit denen sich die Wucherzucker-Scharlatanerie herumschlagen muss: "Wenn man Tumorpatienten nur homöopathisch behandeln möchte, muss man das leider heutzutage leider fast noch heimlich tun, um nicht als verantwortungslos von den lieben ärztlichen Kollegen bezeichnet zu werden."

Der renommierte deutsche Gesundheitsökonom und Buchautor Norbert Schmacke ("Der Glaube an die Globuli") geht mit Wurster hart ins Gericht: "Selbst die katholische Kirche ist im Falle von geltend gemachten Wunderheilungen kritischer als Herr Wurster und viele seiner Jünger. Es ist höchste Zeit, dass die zuständigen Behörden derart gefährliche Werbung unterbinden."

Die Spinedi-Klinik ficht solche Kritik kaum an, auf ihrer Webseite verkündet sie mit stoischer Ruhe Weisheiten mit der Tiefe eines Kalenderspruchs: "Das homöopathische Arzneimittel passt, wenn es richtig gewählt wurde, zur Krankheit wie ein Schlüssel zum Schloss und führt zur Heilung."

Thesen und Gegenthesen

Der Präsident der Ärztekammer Steiermark, Herwig Lindner, verteidigt die Veranstaltung. Sie richte sich nur an interessierte Ärzte und sei eine Gelegenheit "einen Überblick über Methoden in der Komplementärmedizin und Gelegenheit zum kritischen Diskurs über Thesen und Gegenthesen" zu bekommen. "Ergänzende Heilmethoden werden von der Bevölkerung nachgefragt, weil sie ihnen helfen. Ich halte nichts davon, sich nicht damit zu befassen." 

Dass es anders auch geht. zeigt die Ärztekammer Bremen. Ab kommendem Jahr werden Veranstaltungen rund um Homöopathie nicht mehr als Weiterbildung anerkannt. Präsidentin Heidrun Gitter bringt den Sachverhalt mit norddeutscher Nüchternheit im "Weser Kurier" auf den Punkt: "Eine strukturierte Weiterbildung inklusive Lehrplan und Prüfungen für Verfahren und Mittel anzubieten, deren Wirkung wissenschaftlich nicht nachvollziehbar ist, das finden wir etwas albern."

Studie: Homöopathie bei Krebs verkürzt das Leben

Die ehemals homöopathische Ärztin und Autorin Natalie Grams ("Homöopathie neu gedacht") merkt an, dass auch ein angeblich gedeihliches Nebeneinander von Homöopathie und Medizin problematisch ist: "Was die Behandlung von Nebenwirkungen einer Chemotherapie betrifft: es gibt schlichtweg keinerlei belastbaren Belege für eine Wirkung der Homöopathie." Vielmehr zeigen aktuelle Studien: Auch die Sterberaten von Patienten mit kombinierter, "alternativer" Behandlung sind im Vergleich zu den ausschließlich mit konventioneller Medizin behandelten Krebs-Patienten deutlich höher. Das klingt angesichts der Wirkungslosigkeit der Homöopathie absurd, kann aber mit der mangelnden Compliance gegenüber der Standardtherapie erklärt werden: Kranke, die auf die "alternative" Begleitbehandlung schielen, sind anfällig dafür, die konventionelle Therapie und Anweisungen der Ärzte zu vernachlässigen oder zu verweigern. Grams: "Die Kombination von guter Medizin mit Humbug macht Medizin nicht besser, sondern kann gefährliche Fehlentscheidungen nach sich ziehen." 

Q-Potenzen bei Tumorpatienten

Wo sich Ärzte der Spinedi-Klinik unter Gleichgesinnten wähnen, wird das Kind ohnehin beim Namen genannt. Die österreichische "Ärztegesellschaft klassische Homöopathie" bewirbt einen Lehrgang, der wenig Spielraum lässt für Interpretationen: "Homöopathie bei Krebs". Er wird von Monika Hartmann geleitet, einer langjährigen Ärztin der Spinedi-Klinik. In der Ausschreibung heißt es: "Wir freuen uns sehr, dass uns Frau Dr. Hartmann in diesem Seminar näheres über die Anwendung von Q-Potenzen bei Tumorpatienten in Theorie und Praxis näher bringen wird." Wie viele Fortbildungspunkte die Teilnahme an diesem Vortrag am 26. Oktober bringt, steht noch nicht fest. Ein Antrag an die Ärztekammer dafür sei aber gestellt. (Christian Kreil, 23.10.2019)

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