Wer 2020 den Wien-Marathon laufen will, sollte das Training am besten sofort starten.

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Vor kurzem bewies der Kenianer Eliud Kipchoge, was möglich ist: Er lief auf der Prater Hauptallee in Wien einen Marathon in 1:59:40,2 Stunden. Kein Mensch war die 42,195 Kilometer jemals zuvor so schnell gelaufen.

Kipchoge ist eine Ausnahmeerscheinung. Wer so weit so schnell laufen will, muss den dafür perfekten Körper haben. Das fängt bei biomechanischen Voraussetzungen für die perfekte Hebelwirkung der Beine an – eine lange Achillessehne, ein langes Fersenbein und großen Füße sind von Vorteil, weniger wichtig sind Muskeln, die fürs Laufen nicht benötigt werden.

Die Sauerstoffaufnahme von Kipchoge muss für eine derartige Höchstleistung außergewöhnlich gut sein. Er braucht zudem ein großes Herz und muss über viel Blut verfügen, erklärt der Linzer Sportmediziner Rainer Hochgatterer. Und klarerweise zählt auch die Schnelligkeit. Die für Sportler wichtige Laktatschwelle sollte hoch sein, damit die Muskeln nicht übersäuern. Auch mentale Stärke ist für eine solche Leistung elementar. Also: ein Katalog an Voraussetzungen, von denen die meisten Hobbyläufer nur träumen können.

Grundproblem beim Laufen

Gerade deshalb war der Lauf aber auch so faszinierend und hat "viele Menschen angesteckt", sagt Sportmediziner Robert Fritz von der Sportordination in Wien. Zu ihm kommen Menschen allerdings oft erst, wenn sie sich schon verletzt haben. Das Grundproblem beim Laufen ist nämlich: Das Herz-Kreislauf-System passt sich der Belastung schneller an als Muskeln, Knorpel und Gelenke. Weil man schnell Fortschritte bemerkt, werden die Distanzen und das Tempo viel zu schnell gesteigert.

Das endet oft in schmerzhaften und langwierigen Überlastungen (siehe Kasten). Treten Schmerzen auf, ist es mit dem Trainingsgedanken vorbei. "Laufen ist nichts für mich", heißt es. Was dabei mitschwingt: Laufen ist nicht gesund.

Stimmt nicht, sind sich Experten einig. Laufen ist eine sehr gesunde Sportart. Es stärkt das Herz-Kreislauf- und das Immunsystem, fördert die Knochendichte und wirkt sich positiv auf die Cholesterinwerte, den Blutdruck und sogar auf die psychische Gesundheit aus.

Zudem ist Laufen unkompliziert: Ein Paar Schuhe genügt, es müssen nicht einmal die teuersten sein. Die Anschaffung von kostspieliger Ausrüstung wie beim Radfahren entfällt, man ist nicht abhängig von den Jahreszeiten wie bei anderen Ganzkörpersportarten, etwa dem Rudern.

Kein Grund zur Sorge

Trotzdem: Wer mit dem Laufen beginnt, dem tut irgendwann einmal ganz sicher etwas weh. Ein kleines Zwicken muss aber nicht unbedingt ein Grund zur Sorge sein: Schmerzen, die nach einem oder zwei Tagen wieder verschwinden, sind in der Anfangsphase normal, beruhigt Hochgatterer. "Laufen muss man lernen, damit man es aushält." Nur Schmerzen, die länger andauern oder immer wieder auftreten, sollte man abklären lassen.

Denn muskuläre Defizite und Beinfehlstellungen können Verletzungen begünstigen. Was Läufer sich auch oft anhören müssen: Durchs Laufen würden langfristig Knorpelschäden entstehen. "Das wird durch keine seriöse Studie belegt", entkräftet Fritz. Der Körper eines Marathonläufers schaue im MRT wohl sogar besser aus als der Körper eines unsportlichen Gleichaltrigen.

Auch Rainer Hochgatterer ist davon überzeugt, dass ein Hobbysportler seinem Körper durch das Laufen keinen Schaden zufügt. Elite-Athleten wie Kipchoge, die 200 Kilometer in der Woche und mehr laufen, seien da natürlich eine andere Liga.

Entscheidend für die Vorbeugung von Verletzungen ist, dass nicht nur gelaufen wird – und schon gar nicht immer die gleiche Strecke im selben Tempo: "Der Körper will keine Monotonie", sagt Fritz. Besser wäre, das Training durch besonders langsame Einheiten zu ergänzen – und dafür auch immer wieder sehr schnelle, kurzweilige Intervalle einzubauen.

Außerdem wichtig: Neben dem Lauftraining muss Zeit fürs Dehnen, für Krafttraining und Stabilisationsübungen sein. Auch Eliud Kipchoge soll in seiner Vorbereitung auf den Unter-zwei-Stunden-Marathon auf das Training seines Oberkörpers gesetzt haben.

Trainieren mit Plan

Eine Faustregel: Wenn nichts wehtut, macht man alles richtig. "Und auch wenn etwas wehtut, heißt das noch lange nicht, dass man nicht für das Laufen geschaffen ist", sagt Fritz.

Wer sich von Kipchoges Lauf anstecken lassen hat: Bis zum nächsten Wien-Marathon am 19. April 2020 kann sich theoretisch sogar ein Couch-Potato noch zum Langstreckenläufer mausern. Dafür notwendig ist ein strukturiertes Training, idealerweise nach Plan. "Man sollte aber dann ab sofort wirklich den Winter über durchtrainieren", sagt die Wiener Sportwissenschafterin Elisabeth Niedereder vom Fitnessanbieter Tristyle.

Als Belohnung winkt ein Runner's High, also ein Hochgefühl, mit dem es sich plötzlich fast wie von allein läuft. Und beim Wien-Marathon nächstes Jahr hilft auf den langen Kilometern auf der Hauptallee vielleicht die Gewissheit, dass hier Eliud Kipchoge schon seine Bestzeit gelaufen ist – und der Begriff Bestzeit immer relativ ist. (Franziska Zoidl, 26.10.2019)