Flüchtlinge, die in ihrem Heimatland nie eine Ausbildung absolviert haben, werden nur schwer unterkommen am österreichischen Arbeitsmarkt. Uni-Absolventen und Fachkräfte werden es deutlich leichter haben. So oder so ähnlich haben viele Arbeitsmarktexperten die Situation im großen Fluchtjahr 2015 für Österreich eingeschätzt.

Eine völlig andere Erfahrung macht derzeit eine Gruppe von syrischen Apothekern. Rund 100 sind 2015 nach Österreich gekommen, inzwischen sind die meisten bereits anerkannte Flüchtlinge – allein woher diese Zahlen stammen, wäre eine eigene Geschichte wert, doch dazu später. Etwas mehr als 30 Syrer haben sich inzwischen ihr ausländisches Pharmazie-Diplom nostrifizieren lassen. Das heißt, eine heimische Universität hat die Ausbildung als gleichwertig anerkannt. Einen Job gefunden hat mit zwei bis drei Ausnahmen keiner von ihnen.

Von Aleppo nach Wien

Da ist zum Beispiel Shaker, 34 Jahre. Er sucht seit neun Monaten eine Arbeit, hat sich in dutzenden Apotheken beworben und bisher nicht einmal ein Vorstellungsgespräch gehabt, wie er erzählt. Da ist Monzer, 30 Jahre, der in Aleppo studierte. Er hat nach eigenen Angaben an 300 Apotheken seinen Lebenslauf geschickt und blieb bisher dennoch chancenlos. Oder Shmsaldin, der in 30 Apotheken persönlich seinen Lebenslauf vorbeigebracht und zwischenzeitlich als Pizzabäcker gejobbt hat, weil er in der Pharmabranche nichts fand.

Oder Iman (30) aus Homs, die seit einem halben Jahr Job sucht, sich zuletzt in Wels vorstellte und für zwei Schnuppertage dort war, oder Gaidaa, die 57 Jahre ist, aus Aleppo stammt und 30 Jahre Berufserfahrung durch ihre eigene Apotheke hat. Auch sie ist arbeitslos.

Will niemand arabische Apotheker?

Wenn dutzende syrische Apotheker, von denen alle schon seit vielen Monaten, manche seit über einem Jahr, auf Jobsuche sind und so gut wie niemand etwas findet, ist ein erster Reflex, an Vorurteile zu denken: Die arabischen Apotheker will keiner. Und in der Tat hat der eine oder andere der Betroffenen das Gefühl, seine Herkunft sei ein Problem. "Ich nehme niemanden aus dem arabischen Raum", hat einer der Bewerber in Salzburg schon zu hören bekommen. Im Apothekerberuf arbeiten in Österreich bislang tatsächlich vergleichsweise wenige Migranten.

Doch wer tiefer gräbt, mit Betroffenen, Apothekern der Apothekerkammer und AMS-Mitarbeitern spricht, stellt fest, dass die Realität komplex ist. Eine Reihe von Gründen ist dafür verantwortlich, dass die syrischen Apotheker nicht unterkommen.

Zunächst ist der Jobmarkt für Apotheker schwierig und speziell. Aktuell sind bei der Pharmazeutischen Gehaltsklasse, einer Art Plattform für alles der Apotheker, 188 stellenlose Apotheker gemeldet. Demgegenüber gibt es österreichweit 86 offene Jobs. Das klingt auf den ersten Blick gar nicht so dramatisch. Allerdings suchen auch viele Apotheker, die schon arbeiten, eine andere Stelle, was die Konkurrenz verschärft.

Nur zwölf Aspirantenplätze gemeldet

Wer in Österreich als klassischer Apotheker arbeiten will, muss nach dem Master-Studium ein einjähriges Berufsjahr als Aspirant in einer Apotheke absolvieren. Hier sind derzeit nur zwölf offene Stellen gemeldet. Demgegenüber stehen 106 Menschen, die einen Aspirantenplatz suchen. Das Aspirantenjahr erweist sich als Nadelöhr für die Syrer. Ein übersättigter Arbeitsmarkt also. Die Geschichte könnte hier schon zu Ende sein. Doch auch das ist nur die halbe Wahrheit.

Zunächst melden Apotheken nicht alle Aspirantenstellen, erzählen Apotheker, weil sie Jobs gern im Bekanntenkreis vergeben. Die syrischen Apotheker, die DER STANDARD kontaktierte, sprechen unterschiedlich gut Deutsch. Einen Satz kennen alle: "Ohne Vitamin B geht in Österreich nichts."

Wie schwer ist es, ohne Vitamin B in Apotheken unterzukommen, angesichts des angespannten Jobmarkts?
Foto: Christian Fischer

Der Studiengangleiter für Pharmazie an der Uni Wien, Helmut Spreitzer, sagt, dass für seine Studierenden die Jobaussichten "gut bis sehr gut sind". Zwei Drittel seiner Absolventen haben eine Jobzusage, wenn sie die Diplomprüfung absolvieren. Viele fixieren ein Aspirantenjahr nach einem Praktikum noch in der Studienzeit. Andere gehen zu Pharmafirmen. Und in ländlichen Regionen erzählen Apotheker, dass offene Stellen oft Monate unbesetzt bleiben. Jobs gibt es also sehr wohl.

Einige syrische Apotheker erzählen, dass sie aber auch außerhalb der großen Städte vergeblich Arbeit gesucht haben: in Wels, Traiskirchen und Baden, im Umland von Salzburg. Für die meisten gab es nicht einmal einen Praktikumsplatz. Eine Vermutung der Österreicherin Sabrin Ibraheem, die selbst Pharmazie studiert hat und Geflüchteten bei der Jobvermittlung hilft, lautet, dass Apotheker in Österreich nicht genau wissen, dass die syrischen Bewerber nicht mit Scheinen aus Damaskus kommen, sondern ihre Ausbildung offiziell in Österreich anerkannt wurde. Das wäre Ablehnung aus Unwissenheit.

Schlechte Erfahrung

Eine Apothekerin aus Salzburg, die es mit einem Bewerber aus Syrien probiert hat, erzählt noch eine andere Geschichte. Der Herr habe Wissenslücken gehabt, konnte keine Salben herstellen. Tatsächlich schildert ein syrischer Apotheker, dass die Arbeit in Syrien und Österreich in einem Punkt ganz anders ist: In Syrien würden nur fertige Medikamente verkauft, während in Österreich viele Präparate gemischt werden.

Kann es sein, dass die Flüchtlinge unqualifiziert sind? Der zuständige Professor für Nostrifizierungen am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften an der Uni Graz, Andreas Zimmer, verneint. Syrer, die sich ihr Studium anerkennen ließen, wurden auf ihr Wissen getestet und mussten im Labor Präparate mischen. Wo es Wissenslücken gibt, müssen zusätzliche Prüfungen abgelegt werden. "Unter den Syrern gibt es wie unter den Österreichern gut und weniger gut qualifizierte Pharmazeuten", so Zimmer.

Interessantes Detail: In Wien läuft die Nostrifizierung seit jeher anders ab. Hier wird nur geschaut, welche Prüfungen in Syrien absolviert wurden – nur wo etwas fehlt, muss ein Kurs besucht werden.

Ein Aspekt, der sicher eine Rolle spielt, ist die Sprache. Die syrischen Apotheker sprechen Deutsch auf Niveau B2, sie können sich also ganz gut unterhalten. Vielen ist aber die mangelnde Praxis anzuhören. Monzer sagt, er würde gern besser Deutsch sprechen, aber ohne Job fehle es ihm an Praxis. Bei manchen kommt noch das Alter erschwerend als Faktor bei der Jobsuche hinzu: Gaidaa, die Apothekerin aus Aleppo, ist über 50 und hat es also, wie viele Österreicher, zusätzlich schwer.

Die Rolle der Sprache

Zu wenige Stellen für Apotheker, Sprachbarrieren, fehlendes Wissen über die Qualifikationen der Syrer, das hohe Alter mancher Bewerber, manches Vorurteil, Unterschiede in der praktischen Arbeitsweise: All das trägt dazu bei, dass Syrer kaum unterkommen. Für den Staat ist der Status quo jedenfalls ein Verlustgeschäft: Die Syrer beziehen Mindestsicherung, die öffentliche Hand kommt für die Nostrifizierungen auf, ein oft monatelanger Prozess.

Rund 1.400 Apotheken gibt es in Österreich.
Foto: Christian Fischer

Ließe sich etwas tun? Die Apothekerkammer organisiert mit dem Bildungsinstitut Wifi ab 2020 Deutschkurse für Aspiranten. Dieses Angebot könnte Hemmungen wegen der Sprachbarriere senken. Bei den Institutionen für die Syrer setzt sich Ghazwan Aktaa ein. Der aus Syrien stammende Zahnarzt lebt schon lange in Wien und hat sich hunderter Ingenieure, Ärzte und Apotheker aus Syrien angenommen.

Verschwendetes Humankapital

Er weiß, wie viele Pharmazeuten es aus seiner alten Heimat in Österreich gibt, er hat die Gruppe vernetzt. Aktaa schlug vor, dass Syrer ein unbezahltes Aspirantenjahr machen und weiter Mindestsicherung beziehen. Aus rechtlichen Gründen gehe das nicht, so das AMS. Aktuell hat Aktaa keine Ideen. Einige Syrer wollen ihr Glück inzwischen anderswo probieren, sagt er. Sie bewerben sich nun in Deutschland.

"Das Ganze ist eine Verschwendung von Ressourcen und Humankapital", sagt Judith Kohlenberger, die an der Wirtschaftsuni Wien zu Integrationsfragen forscht, zur Causa. Dass viele Apotheker aus Syrien nur unterkommen, wenn sie als Hilfskräfte jobben, entspreche einer Tendenz hin zur "Dequalifikation", die Migranten und besonders Flüchtlinge häufiger trifft. (András Szigetvari, 18.10.2019)