Vor 500 Jahren ist Leonardo da Vinci gestorben. Und vor allem: Er ist in Frankreich gestorben, genauer gesagt im Loire-Schloss Clos-Lucé. Zwei gute Gründe für die Louvre-Konservatoren, die spektakulärste Da-Vinci-Ausstellung der letzten fünf Jahrhunderte aufzuziehen: 160 Gemälde, Zeichnungen, Manuskripte sowie Modelle des Renaissance-Künstlers und Gelehrten.
Das Pariser Museum verfügt selber über seine wichtigsten Werke, etwa die Felsgrottenmadonna, Anna selbdritt – und natürlich Mona Lisa. Der Grund für diese Sammlung ist historischer Natur. Da Vinci hatte in Rom weniger Anerkennung erhalten als seine jüngeren Konkurrenten Raffael und Michelangelo; man verdächtigte ihn gar der Leichenfledderei für seine Anatomiezeichnungen. Ganz anders König Franz I.: Auf seinem Feldzug in Italien lud er Leonardo nach der Schlacht bei Marignano 1515 zu sich; der Monarch erkannte das Genie des ergrauten Künstlers und stellte ihm eine großzügige Pension aus, damit er in seinen letzten Lebensjahren in Ruhe weiterzeichnen und -forschen konnte. Die meisten Spät-, aber auch viele Frühwerke, die Leonardo mit sich nahm, kamen deshalb in Privatbesitz des französischen Königs. Und damit später in den Louvre.
Jetzt, zum 500. Todestag des illustren Toskaners, kann das Pariser Museum aus diesem Fundus schöpfen. Dazu gehören weitere absolute Meisterwerke wie La Belle Ferronière oder Johannes der Täufer, wohl da Vincis letztes Gemälde.
Neue Frankophilie
Dazu kommen in letzter Minute zahlreiche Werke aus Italien – dank des Regierungswechsels in Rom. Der vormalige Innenminister Matteo Salvini hatte sich noch persönlich gegen Leihgaben an das Land seines Widersachers Macron gesträubt; im Gegenteil, er wünschte sogar die Rückgabe der Mona Lisa an Italien. Der neue Kulturminister Dario Francheschini ist frankophiler. Im Gegenzug zu einer französischen Leihgabe für das kommende Raffael-Jubiläum in Italien 2020 bot er eine mehrteilige Leihgabe aus Gemälden und Zeichnungen Leonardos. Darunter ist auch der vitruvianische Mensch mit seinen vier Armen und Beinen in einem Kreis und Viereck, der sonst (selten) in der Accademia in Venedig zu sehen ist. Seine Reise nach Paris wurde Anfang Oktober von einem Regionalgericht gestoppt. Dieses gab dem Traditionsverein Italia Nostra recht, der fand, dass dieses nationale Kulturgut das Land nicht verlassen dürfe. Diesen Mittwoch hob ein Verwaltungsgericht das Urteil auf.
Wenig Glück hatte der Louvre mit Anfragen an die Alte Pinakothek in München, die National Gallery in London oder das Krakauer Museum, wo die Frau mit dem Hermelin hängt. Als Kompensation für dieses vielleicht schönste Frauenporträt da Vincis präsentiert der Louvre das unvollendete Gemälde La Scapigliata, das Leonardo-Fans noch höher hängen.
Nicht höher, aber für sich allein hängt die Gioconda: Mona Lisa ist Anfang Oktober nach ein paar Monaten Exil wieder an ihren frisch renovierten Standort im Louvre zurückgekehrt. Und sie bleibt dort, hinter einem Vier-Millimeter-Glas. Denn selbst der museumsinterne Transfer erschien zu heikel. Die Ausstellungsbesucher können aber mit dem gleichen Ticket auch sie besichtigen.
Digital drängeln um die Tickets
Falls sie ein Ticket kriegen. Über 170.000 sind schon verkauft, viele Terminfenster sind ausgebucht. Als Novum für den Louvre wickelt sich der Billettverkauf erstmals ausschließlich online ab. Wer überhaupt noch einen Platz ergattern will, muss sich sputen.
Angefacht wird der Leonardo-Hype durch ein Gemälde, das wahrscheinlich gar nicht von der Hand des Meisters stammt – Salvator mundi. Das teuerste Gemälde der Kunstgeschichte erzielte bei einer Versteigerung in New York 2017, hochgeschaukelt durch fünf Bieter, einen Spitzenerlös von 450 Millionen Dollar, in der Annahme, es sei ein authentischer "da Vinci". Die Kunstwelt zweifelte schon damals, in den letzten Monaten mehr denn je.
Skeptisch zeigen sich heute sogar Kunstexperten wie die Amerikanerin Carmen Bambach, die vom Auktionshaus Christie's noch als Echtheitszeugen angeführt worden waren. Die Mehrheit der Fachleute ordnen den Weltenerlöser Leonardos Schülern Luini oder Boltraffio zu; vom Meister sollen höchstens einige Passagen stammen.
Nicht nur deshalb gerät der Salvator mundi in die – negativen – Schlagzeilen. Beanstandet wird auch die fast schon manipulativ scheinende Preistreiberei. Der frühere Besitzer des Gemäldes, der russische Oligarch Dmitri Rybolowlew, hatte 2013 noch 127 Millionen Dollar für den Salvator bezahlt; danach klagte er den Schweizer Kunsthändler Sylvain Bouvier wegen Übervorteilung ein, weil dieser das Gemälde unmittelbar zuvor für 80 Millionen Dollar erstanden hatte.
Wo steckt das Hauptwerk?
Wer das teuerste Gemälde der Welt ersteigert hat, war lange unklar. Vermutet wird zumindest indirekt der saudische Erbprinz Mohammed bin Salman. Sicher ist, dass die neue Louvre-Dependance in Abu Dhabi Ende 2018 erklärte, sie werde das Da-Vinci-Werk noch im gleichen Jahr ausstellen. Daraus wurde aber erstaunlicherweise nichts. Heute ist nicht einmal sicher, wo sich das 45 mal 66 Zentimeter große Gemälde befindet – möglicherweise auch in einem Zollfreilager in der Schweiz.
Der Pariser Louvre will bis jetzt nicht wissen, ob er das umstrittene Renaissancegemälde in die 500-Jahr-Schau aufnehmen kann. Oder soll? Die Museumssprecherin Céline Dauvergne erklärte auf Anfrage, sie könne "nur bestätigen, dass der Louvre um die Leihgabe des Salvator mundi gebeten hat" – ein indirektes Eingeständnis, wie schwierig die Beziehung des Hauptmuseums zu seinem 2018 eröffneten Ableger in den Emiraten ist.
Es sei denn, die Unklarheit über die Anwesenheit des Salvator in Paris sei vom Louvre der Publicity halber selbst inszeniert. Sehr transparent ist der Fall nicht. Leonardo, der enigmatische Hell-dunkel-Maler, der sich nie längere Zeit von seiner mysteriös lächelnden Mona Lisa trennte, hätte wohl seine helle Freude an diesem Vexierspiel. (Stefan Brändle aus Paris, 18.10.2019)