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Boliviens Präsident Morales hat den kompletten Staatsapparat für seinen eigenen Wahlkampf mobilisiert. Bis 2025 würde er amtieren, wenn er am Sonntag die Wahl gewinnt.

Foto: Reuters/Claure

Hugo Chávez: tot. Rafael Correa: im Exil. Ollanta Humala und Luiz Inácio "Lula" da Silva: im Gefängnis. Der Bolivianer Evo Morales ist einer der wenigen noch amtierenden Staatschefs der "rosaroten Welle" in Lateinamerika. Das hätten wohl nur wenige dem indigenen Kokabauern zugetraut, als er mit einem marxistisch angehauchten Diskurs und gegen den geballten Widerstand der US-Regierung vor 14 Jahren an die Macht kam. Am Sonntag will Morales nun zum vierten Mal in Folge zum Präsidenten des Andenlandes gewählt werden – doch es wird Meinungsforschern zufolge die schwierigste Wahl seiner Karriere.

Umfragen sehen ihn bei 35 bis 38 Prozent. Das reicht nicht für einen Sieg im ersten Wahlgang. Dafür brauchte er mindestens 40 Prozent und zehn Punkte Vorsprung auf seinen stärksten Widersacher. Der heißt Carlos Mesa, ist ein bürgerlicher Universitätsprofessor und kommt laut Umfragen auf 25 bis 28 Prozent. Drittplatzierter mit knapp unter zehn Prozent ist Oscar Ortíz, der die neoliberale Agrar- und Unternehmerelite des Tieflandes repräsentiert. Käme es zu einer Stichwahl, stünden die Chancen für das vereinte bürgerliche Lager gut. Morales' Bewegung zum Sozialismus (MAS) setzt daher alles auf einen Sieg in der ersten Runde – weshalb die Gegner befürchten, es könne zu Wahlbetrug kommen.

Nachbarländer schrecken ab

Morales hat den kompletten Staatsapparat für seinen Wahlkampf mobilisiert. Seine Kernbotschaft lautet "weiter so" statt riskanter Experimente. Zur Abschreckung dienen ihm die krisengeschüttelten, konservativ oder liberal regierten Nachbarländer, von Argentinien bis Ecuador. Denn dass der Stern des mittlerweile 59-Jährigen weniger verblasst ist als der seiner linken Freunde, verdankt er seinem wirtschaftlich erfolgreichen Pragmatismus, gepaart mit Autoritarismus und einer Opposition, die – wie in Venezuela – unfähig war, ihre taktischen Erwägungen und internen Streitigkeiten beiseitezulegen.

In den vergangenen 14 Jahren hielt in Bolivien politische Stabilität Einzug. Die Wirtschaft wuchs durchschnittlich um 4,5 Prozent pro Jahr, und die vor allem indigene Unterschicht erlebte einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg. Morales verstaatlichte die Grundstoffindustrien, womit er dank der Rohstoff-Hausse auf den Weltmärkten die Staatskassen füllen konnte.

Das Geld sparte er zum Teil in einem Fonds – aus dem er dann in den vergangenen Jahren staatliche Investitionsprogramme finanzierte – und verteilte es mittels sehr populärer Sozialprogramme an Kinder, Schwangere und Alte. Die Armut sank von 63 auf 36 Prozent. Die Anhänger der MAS stammen entsprechend vor allem aus dem Hochland, dem ländlichen Raum und den urbanen Armenvierteln.

Mesa hingegen ist gemäßigt, kein rechter Populist oder fundamentalistischer Marktliberaler. Das macht ihn vor allem für die Mittelschicht attraktiv, die sich zunehmend von Morales' Klientelismus und autoritärem Führungsstil abwendet. Mesa kandidiert für die Bürgerplattform Comunidad Ciudadana (CC), die aus den Massenprotesten Anfang 2018 gegen eine repressive Strafrechtsreform und die Kriminalisierung von Protesten entstand.

Autoritäre Vorbilder

Morales regiere zunehmend autoritär, sagen seine Kritiker, die ein Abgleiten in die Diktatur nach dem Vorbild Venezuelas fürchten. Allein die Tatsache, dass Morales erneut antrete – obwohl die Verfassung ursprünglich nur eine Wiederwahl zuließ und er ein Referendum über eine entsprechende Verfassungsänderung verlor –, sei dafür symptomatisch. Ebenso wie die Tatsache, dass eine unterwürfige Justiz mit juristischen Spitzfindigkeiten den Weg für eine erneute Kandidatur trotzdem freimachte – unter anderem mit dem Argument, ein Wiederwahlverbot verstoße gegen das Menschenrecht auf politische Partizipation.

Wer auch immer gewinnt – die kommenden Jahre werden schwierig. Das Sinken der Rohstoffpreise und die Abkühlung der Weltwirtschaft, die die Handelsbilanz in die roten Zahlen abrutschen ließen, dürften noch einige Zeit anhalten. Das zwingt zu Haushaltsdisziplin und dürfte auf die Wachstumsraten drücken. Ob sich die Hoffnungen auf die E-Mobilität und die Industrialisierung der Lithiumreserven erfüllen, ist noch unklar. Auch politisch wird es unruhiger: In dem ebenfalls am Sonntag zu wählenden Parlament dürfte die MAS ihre Zweidrittelmehrheit verlieren. (Sandra Weiss, 18.10.2019)