Joseph von Hammer-Purgstall gilt wohl zu Recht als der größte Orientalist, den Österreich hervorgebracht hat. Gleichzeitig ist er relativ unbekannt, den meisten Österreicherinnen und Österreichern ist weder Person noch das reiche Werk ein Begriff.

Das könnte sich aber bald ändern: Hammer-Purgstall erlebt gerade eine kleine literarische Wiedergeburt. In Mathias Énards Roman "Der Kompass" tritt er als stark idealisierte Orientalistenfolie auf, und der dieser Tage erschienene Roman "Der Hammer" von Dirk Stermann hat gar Hammer-Purgstalls langes Leben zum Inhalt, freilich ausgestattet mit allen Freiheiten eines Romans. Darüber spreche ich mit Dirk Stermann auch im Podcast "Makro Mikro".

Welche Rolle wäre wohl Hammer-Purgstall selbst angemessen? Die des international bekannten Orientalisten und Netzwerkers, des Diplomaten, des Literaten, des bisweilen engstirnigen Sonderlings?

Hammer-Purgstall, Lithografie von 1843.
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Welt im Umbruch

Hammer-Purgstalls Lebensspanne von 1774 bis 1856 ließ ihn wesentliche Ereignisse der europäischen Geschichte selbst erleben: die Französische Revolution, die Kriege des Napoleon, den Wiener Kongress, der die Verhältnisse Europas für einige Jahrzehnte ordnete, und schließlich die Revolution von 1848. All diese Ereignisse fegten während seines Lebens über Europa und die Welt hinweg und veränderten sie nachhaltig.

Sein eigenes Leben blieb davon jedoch verhältnismäßig unberührt. Er fühlte sich der Wissenschaft verpflichtet, auch wenn er sein gesamtes Leben im Staatsdienst verbrachte. Ausgebildet in der Orientalischen Akademie, war Hammer die längste Zeit Hofdolmetscher in Wien. Mit seiner Arbeit verschaffte er sich einen detaillierten Überblick über die Literatur des Orients, die er in einem umfangreichen enzyklopädischen Werk verarbeitete.

1835 wurde Joseph Hammer in den Freiherrenstand erhoben und zu Joseph von Hammer-Purgstall, wie auch seine eigenhändige Unterschrift bezeugt.
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Inspiration für Goethe

Hammer war der Auffassung, dass persische Literatur zu der edelsten der Welt gehört und sich gerade Deutsch hervorragend eignen würde, um die Werke in diese Sprache zu übertragen. Damit war er übrigens nicht allein, in seiner Zeit gab es etliche Aficionados persischer Literatur. Hammer selbst übersetzte den gesamten Divan, einen Korpus von etwa 900 Gedichten des persischen Dichters Hafis, der bis heute im iranischen Kulturverständnis eine überragende Rolle innehat.

Über diese Übersetzung von Hafis hat Hammer auch Eingang in die deutsche Literaturgeschichte gefunden. Kaum hatte er den Hafis gelesen, machte sich Goethe wie im Rausch daran, die ersten Gedichte seines Werkes zu schreiben, das später als "West-östlicher Divan" Berühmtheit erlangen sollte. Hammer beließ es nicht bei Hafis, er schrieb in weiterer Folge eine persische Literaturgeschichte und übersetzte eine Reihe weiterer persischer Autoren.

Das Osmanische Reich verstehen

Wenn man den Roman von Dirk Stermann liest beziehungsweise die Autobiografie Hammer-Purgstalls, so schwingt oft der Ton tiefer Enttäuschung darüber mit, nicht die Bedeutung erlangt zu haben, die anderen zuteil wurde – und nicht in die Position versetzt worden zu sein, die Hammer-Purgstall selbst angemessen schien. Seine Enttäuschung leitete er in wissenschaftliches Schaffen um, das durchaus einen politischen Anspruch hatte.

Politische Expertise erwächst aus historischem Wissen, das war sein Credo. Er war der Auffassung, dass die Politik verstehen müsse, wie das Osmanische Reich im Inneren funktioniert und wie es sich entwickelt hat. Die in ihrer Gesamtheit bislang nicht ersetzte "Geschichte des Osmanischen Reiches" in zehn Bänden und das Werk "Des Osmanischen Reiches Staatsverfassung und Staatsverwaltung" spiegeln dieses Selbstverständnis eindrucksvoll wider.

Hammer-Purgstall übersetzte den Divan von Hafis aus dem Persischen. Seine Übersetzung inspirierte Goethe zu dessen "West-östlichem Divan".
Foto: public domain

Netzwerke von Kalkutta bis Washington

Beeindruckend ist auch Hammer-Purgstalls intensiv gepflegtes Netzwerk, das in Form von wissenschaftlichem Austausch weit über die eigenen Landesgrenzen hinausreichte. Er war hoch angesehener Korrespondenzpartner, bereits in frühen Jahren wurde er Mitglied bedeutender Wissenschaftsakademien von Kalkutta bis Washington. Als er 1807 vom polnischen Grafen Wenzel Rzewuski die Aussicht auf Finanzierung erhielt, trommelte er Kollegen der Orientalischen Akademie, Wissenschafter und auch Reisende zu einem damals sehr bedeutsamen Zeitschriftenwerk mit dem Titel "Fundgruben des Orients" zusammen, das immerhin in sechs Bänden zwischen 1809 und 1819 erschien.

Die Beiträge, von denen sehr viele von Hammer selbst stammen, zeugen von einer ungemein breiten Auslegung des Faches Orientalistik. Der inhaltliche Bogen spannt sich über die Entdeckung von Ninive durch den englischen Reisenden Claudius James Rich zu Ausführungen über Münzen bis hin zum letzten Reisebericht des durch Arabien reisenden Jasper Seetzen, bevor dieser von Beduinen erschlagen wurde. Die Zeitschrift wurde viel gelesen, auch Goethe und andere bekannte Zeitgenossen stürzten sich auf diese Informationsquelle zu dem damals noch reichlich unbekannten Orient. Das trug nicht unwesentlich zu Hammers wissenschaftlichem Ruhm bei.

Aus Hammer wird Hammer-Purgstall

Privat veränderte seine Freundschaft zum Ehepaar Graf und Gräfin von Purgstall sein Leben entscheidend. Das Ehepaar war fester Bestandteil der Salons von Wien, in denen auch Hammer verkehrte. Als zunächst der Graf starb, blieb Hammer der Gräfin in fester Freundschaft verbunden, und als auch die Gräfin 1835 starb, vermachte sie Hammer Besitz und Namen derer von Purgstall. Stolz trug er also ab 1835 den Namen Hammer-Purgstall. Und stolz nahm er auch das heute desolate Renaissance-Wasserschloss in Hainfeld in der Steiermark in Besitz, das er mit orientalischem Leben erfüllte. Das ganze Schloss versah er mit verschiedenen Inschriften in griechischer, lateinischer und arabischer Sprache. Er verbrachte mit seiner Familie glückliche Sommer in diesem Schloss, schrieb hier seine gesamte Autobiografie und durfte auch, wie er mit Befriedigung schreibt, die sogenannte niedere Gerichtsbarkeit bis 1848 über die Untertanen ausüben.

Hammer-Purgstall war der erste Präsident der 1847 gegründeten Akademie der Wissenschaften. Seine Büste steht heute in der Aula der Akademie.
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Gründung der Akademie der Wissenschaften

1847 wurde schließlich unter seiner intensiven Beteiligung die k.k. Akademie der Wissenschaften gegründet. Im europäischen Vergleich geschah dies in Österreich erst sehr spät, denn der absolutistische Staat hatte seine Vorbehalte gegenüber Versammlungen von Gelehrten, auf die er keinen direkten Einfluss ausüben konnte. Dennoch bemühten sich Hammer-Purgstall und eine ganze Gruppe von Gelehrten darum, eine Gründung zu erreichen. Die Universität war zum damaligen Zeitpunkt ausschließlich Lehranstalt für die vier Fakultäten, also Philosophie, Theologie, Jurisprudenz und Medizin. Wissenschaft, wie wir sie heute verstehen, fand außerhalb der Universitäten statt, der Wunsch nach einer Plattform für Gelehrte wurde anderswo aber nicht erfüllt.

Hammer-Purgstall wurde in Anerkennung seiner Bemühungen der erste Präsident der Akademie. Persönlich nicht unangefochten, versuchte er nachdrücklich seine orientalistischen Forschungsinteressen in der Akademie zu fördern, gelegentlich auch auf Kosten anderer Wissenschaftszweige. Das machte dem meinungsstarken Hammer-Purgstall nicht nur Freunde. Bereits nach einem Jahr verließ Hammer-Purgstall seine Position als Präsident, arbeitete allerdings weiterhin als Mitglied der Akademie mit. Die Akademie gab ihm endlich jenen institutionellen Rahmen für seine wissenschaftliche Tätigkeit, den er sein Leben lang vermisst hatte.

Ein letzter Gelehrter

Hammer-Purgstall ist ein letzter – und sehr prägnanter – Repräsentant der Gelehrsamkeit des 18. Jahrhunderts, bevor die Spezialisierungen der Universitäten die Gelehrsamkeit monopolisierten. Sein gewaltiges Werk hat vielfach dazu beigetragen, das Wissen über den Orient, die Literatur und Geschichte maßgeblich zu vergrößern. Allein deswegen sollte man sich von Zeit zu Zeit seiner erinnern. (Sibylle Wentker, 21.10.2019)