Leistbare Wohnungen sind in München Mangelware.

Foto: istockphoto/Pablo_K

Mit dem Projekt "WagnisART", geplant von bogevischs buero, shag und Walter Hable Architekten, ist Gemeinschaft entstanden.

Foto: WagnisArt/Michael Nagy

Mit dem Projekt "Wohnen am Dantebad" wurden städtische Parkplätze überbaut.

Foto: Guiding Architects

Die Sonnenblumen sind am Verblühen, ebenso der Mohn und die längst leergeräumten Erdbeerstauden. Der Herbst ist da. Rosemarie König ist im Dachgarten im Münchner Domagkpark immer noch am Werken. Einige Ranken haben sich im schlohweißen Haar der 80-Jährigen verfangen, in ihrem Gesicht klebt Erde. Der Garten ist ihr Bereich im Wohnprojekt "wagnisART" in einem Stadtentwicklungsgebiet, das in auf den Gründen einer ehemaligen Kaserne gewachsen ist.

Mit "WagnisART" hat die Wohngenossenschaft Wagnis ihr bereits fünftes Projekt realisiert. Entstanden sind fünf freistehende Wohngebäude, die über Verbindungsbrücken miteinander verbunden sind. Die zentralen innenliegenden Stiegenhäuser wurden mit Akustikdecken ausgestattet, damit das Leben, das sich hier in Form von spielenden Kindern und auf dem Gang sitzenden, Kaffee trinkenden und tratschenden Bewohnern abspielt, niemanden stört.

Im Sommer verlagert sich das Leben nach draußen. Auf die von unten nicht einsehbaren Verbindungsbrücken zum Beispiel: "Die Kinder wissen schon genau, wie lang man für eine Runde mit dem Bobbycar oder mit den Inlineskates braucht", erzählt Rut-Maria Gollan, die im Vorstand der Genossenschaft sitzt.

Rund 50 Wohnungsbaugenossenschaften gibt es in München derzeit, besonders in den letzten Jahren gab es viele Neugründungen. Ziel dieser Genossenschaften ist, leistbaren Wohnraum zu schaffen. Dafür werden ihnen von der Stadt Grundstücke zur Verfügung gestellt. 1000 Wohnungen sind in den letzten Jahren entstanden. Im Projekt "WagnisART" im Domagkpark leben seit 2016 etwa 200 Erwachsene und 130 Kinder.

Freifinanzierte Projekte

Bezahlt werden musste vorab eine Einlage zwischen 150 und 1000 Euro pro Quadratmeter, auch die Miete ist sehr unterschiedlich und liegt – je nachdem, ob es sich um eine geförderte oder freifinanzierte Wohnung handelt – zwischen 5,55 und 13 Euro. "Wenn man die Straße runtergeht, landet man bei 18 bis 25 Euro pro Quadratmeter", sagt Gallan und meint freifinanzierte Projekte, die im Grätzel entstanden sind.

München ist sehr teuer geworden. Die Erstbezugsmieten (netto, kalt) haben sich in München zwischen 2015 und 2018 um 20 Prozent auf 19,9 Euro pro Quadratmeter und Monat erhöht, der durchschnittliche Preis für eine Neubaueigentumswohnung liegt bei 9000 Euro pro Quadratmeter.

Die Gründe für die Misere liegen in der Vergangenheit: In den 1990er-Jahren startete eine Privatisierung der sozialen Wohnungsbestände, die Wohnbauförderung wurde zurückgefahren. Deutschland werde schrumpfen, war man überzeugt. Heute fehlen in München 80.000 leistbare Wohnungen. 7200 Wohnungen werden pro Jahr fertiggestellt. In Wien sind es mehr als doppelt so viele.

Wohnen über Parkplätzen

Dass es Lösungen gibt, bewies die städtische Wohnbaugesellschaft Gewofag 2016 mit dem Projekt "Wohnen am Dantebad", bei dem städtische Parkplätze im Rahmen des Förderprojekts "Wohnen für alle" innerhalb eines Jahres mit 100 kompakten Wohnungen überbaut wurden. Auf einen Betonsockel wurden in Holzsystembauweise vier Stockwerke gesetzt. Von den 111 überbauten Parkplätzen gingen nur vier verloren. Heute leben im preisgekrönten Projekt anerkannte Flüchtlinge und einkommensschwache Menschen.

Bei Großprojekten übt die Stadt außerdem seit 25 Jahren über die Sozialgerechte Bodennutzung (SoBoN) Einfluss auf private Entwickler aus. Ihnen werden bei Neubaugrundstücken Verpflichtungen auferlegt, etwa was die Errichtung von leistbaren Wohnungen angeht. Dabei, so betonte man beim Referat für Stadtplanung und Bauordnung, werden unterschiedliche Fördermodelle gemischt, um viele Bevölkerungsschichten unterzubringen.

Vorkaufsrecht der Stadt

Und noch ein Instrument macht sich die Stadt im Umgang mit Investoren zunehmend zunutze: In der Stadt gibt es sogenannte Erhaltungssatzgebiete. Investoren, die hier kaufen wollen, müssen sich zu sozialen Auflagen verpflichten. Die Umwandlung in Eigentumswohnungen und unangemessene Modernisierungsmaßnahmen sind beispielsweise verboten.

Wird eine entsprechende Erklärung vor dem Kauf nicht unterzeichnet, macht die Stadt ihr Vorkaufsrecht geltend und kauft selbst. Das ist allerdings teuer: Alleine 2018 kostete es die Stadt 230 Millionen Euro. Geld, um das man neue Wohnungen errichten sollte, wie Kritiker bemängeln.

Wie groß die Wohnungsnot in München mittlerweile ist, zeigte sich vor rund einem Jahr: Damals gingen 10.000 Münchner auf die Straße, um bezahlbaren Wohnraum einzufordern.

Leichterer Zugang

Die Situation in Österreich sei eine andere, resümierten Michael Gehbauer, seit dem Frühjahr Obmann des Vereins für Wohnbauförderung (vwbf), und Bernd Rießland, Obmann des Verbands der gemeinnützigen Bauvereinigungen (GBV), am Ende einer Studienreise nach München. Der soziale Wohnbau spiele hierzulande eine größere Rolle und stehe mehr Menschen offen. In München liegt der Anteil des kommunalen und gemeinnützigen Wohnbaus bei nur acht Prozent, in Wien bei über 40.

Rosemarie König werkt immer noch in ihrem grünen Refugium. Für nächstes Jahr hat sie große Pläne für ihren Garten, das sei immer ein "Fulltime-Job". Den Ertrag teilt sie am Ende trotzdem mit allen Bewohnern des Hauses. Das hat sie vielen Münchner Investoren voraus. "So viel könnte ich ja gar nicht essen!" (Franziska Zoidl, 20.10.2019)