Als Charles Darwin in den letzten Tagen des Jahres 1831 die Gelegenheit bekommt, an Bord der königlichen HMS Beagle in See zu stechen, ist er noch ein reichlich unbeholfener 22-jähriger Student aus gutem Hause, noch dazu mit einem intensiven Hang zur Seekrankheit. Sein Traum ist, sich auf die Spuren des von ihm verehrten Alexander von Humboldt zu begeben (der ja heuer anlässlich seines theoretisch 250. Geburtstages ein strahlendes Comeback erlebte).

Trotz seiner nicht gerade robusten Konstitution fügt er sich recht schnell in das raue Leben an Bord, ist sich in seinem Forscherdrang zu nichts zu schade und eckt auch gern einmal an, wenn es darum geht, dem Kapitän und anderen Obrigkeiten ordentlich seine Meinung zu sagen. Die durchaus unkonventionell für damalige Verhältnisse ist.

Grundstein für revolutionäre Theorie

Dass die Strapazen sich lohnen, steht für den jungen Darwin stets außer Frage: Die letztlich fünfjährige Reise bringt den jungen Naturforscher unverhofft in mehreren Etappen zu den Kapverden, nach Brasilien, Patagonien, Feuerland und schließlich auf die Galapagosinseln. Die Reise wird später den Grundstein für Darwins Evolutionstheorie legen, die noch heute untrennbar mit seinem Namen verknüpft ist und unser Weltbild revolutionierte.

Was der junge Darwin auf dieser Entdeckungsfahrt erforscht, was ihn verblüfft, was ihn erschüttert, zeichnet die Graphic Novel "Charles Darwin und die Reise auf der HMS Beagle" (Knesebeck) in allen Schattierungen nach. Die Franzosen Fabien Grolleau und Jérémie Royer stützen sich dabei auf Darwins Reisetagebuch – ohne Anspruch auf biografische Vollständigkeit und mit einem Hauch romantisierender Vorstellung, wie das Autorenduo auch offen einräumt.

Staunen und Erschaudern

Umso mehr versteht es das Bio-Comic, ein Gefühl zu vermitteln, mit welchem Enthusiasmus Darwin sich durch die Vielfalt einer neu zu bestimmenden Pflanzen- und Tierwelt schlägt, sich durch Gesteinsschichten zu Knochen längst ausgestorbener Arten gräbt, zu den Korallen der rätselhaften Kokosinseln taucht. Die zum Teil großformatigen, in satte Farben getauchten Zeichnungen lassen die Leserinnen und Leser gemeinsam mit Darwin staunen, über "die eleganten Gräser, die Einzigartigkeit der parasitischen Pflanzen (...), die Energie und das allgemeine Leuchten der Vegetation", wie er an seinem ersten Tag im brasilianischen Wald notiert.

Recht schnell ereilen ihn aber auch die Schattenseiten der Kolonialherrschaft, die Gewalt und die Qualen, denen die indigene Bevölkerung ausgesetzt ist, die menschenverachtende Brutalität der ach so gottesfürchtigen Missionare und Sklavenhalter. Die Widersprüche des christlichen Glaubens (und Aberglaubens) zu Darwins freigeistigem Denken sind so offenkundig, wie sie unüberwindbar scheinen.

Evolution als Blasphemie

Schließlich kann jede Aussage, dass die Erde und das Leben um einiges länger existieren, als es die Bibel lehrt, als Blasphemie verstanden werden. Es ist ein Verdienst Darwins, dass es uns heute vollkommen lächerlich vorkommt, dass noch im fortgeschrittenen 19. Jahrhundert als maßgeblich galt, dass die Erde und das Universum gerade 6.000 Jahre alt sind.

So versteht es auch der Kapitän der HMS Beagle, Robert FitzRoy – an und für sich ein Unterstützer Darwins – als Blasphemie, als ihm der Forscher seine Vermutung schildert, dass sich die verschiedenen Finkenarten auf den Galapagosinseln an die jeweiligen Umweltbedingungen angepasst haben. FitzRoy lehnt eine Verlängerung des Aufenthalts ab, um die ungewöhnlichen Phänomene, auf die Darwin recht zufällig gestoßen ist, weiter zu untersuchen. Das spornt diesen aber nur weiter an, seine Thesen umfassend zu beweisen. Unterstützung bekommt er auch von dem Astronomen John Hershel, den er in Kapstadt besucht und dessen Beobachtungen am Sternenhimmel ebenso mit dem starren kirchlichen Weltbild kollidieren wie Darwins geologische Untersuchungen.

Patagonische Gefangene

Die Graphic Novel zeichnet aber nicht nur nach, wie die Reise Darwins Persönlichkeit prägte und ihm eine Ahnung vom "Ursprung der Arten", seinem Schlüsselwerk, gab. Parallel greift das Buch die in Vergessenheit geratene Geschichte der patagonischen Gefangenen auf, die sich gemeinsam mit Darwin an Bord der Beagle befanden. FitzRoy hatte sie als Kinder bei der ersten Reise der Beagle als Geiseln genommen – in der Hoffnung, sie durch gute Erziehung vom "wilden Glauben" zu befreien. Nur so viel: Der Plan, die nun erwachsenen Passagiere mitsamt ihren feinen Kleidern wieder in Feuerland abzusetzen, damit sie dort die Früchte einer vermeintlichen Zivilisation verbreiten, ging nicht auf.

Die Geschichte gibt damit auch Hinweise auf die Kollateralschäden, die in der kollektiven Erinnerung glorreicher Entdeckungsreisen meist unter den Teppich gekehrt werden, und zeigt auch die Zerrissenheit Darwins zwischen seiner humanistischen Auffassung und den paternalistischen Zügen, die seine Herkunft unweigerlich mit sich bringt.

Es erwarten einen jedenfalls farbenprächtige Einblicke in geologische, biologische und menschliche Phänomene und Entwicklungen – die weit über die allgemein bekannten Kapitel der Entwicklung der Evolutionstheorie hinausreichen. (Karin Krichmayr, 21.10.2019)