Dass man sich Kunst leistet als Staat und dass man ihr alle Freiheit lässt, das erfordert nicht nur Geld und Liberalität, sondern auch Souveränität. Manchmal sagen Künstlerinnen und Künstler ja auch Sachen, die man eigentlich gar nicht hören will. In Zukunft, das steht zu befürchten, wird die Kunstfreiheit vielleicht öfter einmal infrage gestellt werden. Und damit die Kunstförderung – man kann sich in Oberösterreich erkundigen, was dann passiert.

Wer nun glaubt, das sei nur recht und billig so, wofür braucht man schon die Kunst, kann man sich auch nichts kaufen davon, dem sei die Salzburger Stefan-Zweig-Poetikvorlesung von Doron Rabinovici sehr ans Herz gelegt, die unter dem Titel I wie Rabinovici. Zu Sprachen finden im Sonderzahl-Verlag erschienen ist. Wobei sie eigentlich auch allen anderen empfohlen sei.

Sprache gegen das Vergessen: Doron Rabinovici.
Foto: Robert Newald

In den drei Vorlesungen Von der Sprache adoptiert, Vom Schreiben nach dem Tod und Das Unsägliche schreibt Rabinovici unaufgeregt und unprätentiös, mit großer Klarheit und unaufdringlicher Poetik darüber, wieso wir die Sprache brauchen, die literarische zumal. Er erzählt davon, wie er als Dreijähriger von Tel Aviv nach Wien kam. Wie er, das Kind einer Frau, die gemeinsam mit ihrer Mutter Ghetto, Lager und Todesmarsch überlebt hatte, das Nachkriegswien erlebte, in dem "junge Frauen mit ihren Kindern noch den älteren Wienerinnen mit Haarnetz und Dackel auszuweichen hatten".

Schon allein, wie Rabinovici von seinem Verhältnis zur deutschen Sprache erzählt, davon, was sie für zugewanderte Autorinnen und Autoren bedeutet, ist so klug, richtig und wichtig, dass man unentwegt daraus zitieren möchte. Weil es, auch wenn das vielleicht nicht jede und jeder glauben möchte, uns alle angeht: Niemand hat seine Sprache gepachtet, und selbst wenn man sich selber nie vom Fleck rührt, so rührt sich doch die Sprache drumherum. Wie erst für Menschen, die sich bewegen, teils gezwungen, teils freiwillig, die sich den Sprachen aussetzen.

Der kleine Doron will mitreden

Der kleine Doron will so schnell wie möglich Deutsch lernen, verstanden werden, mitreden können. Zugleich jedoch "war mir wichtig, kein Österreicher zu sein und auch keiner zu werden". Heimisch wird es nur im Dazwischen, nicht in Wien, nicht auf Besuch in Israel. Er beschreibt das latente Gefühl der Andersartigkeit, das wohl alle Zugewanderten kennen, die in zwei oder mehr Ländern, Kulturen und Sprachen leben, fühlen und denken. Aber gerade dieses Nichtaufgehen in einer (sprachlichen) Identität gibt ihm auch Freiheit: "Die Distanz zur Sprache kann den Blick schärfen und die Kontraste im Vokabular deutlicher hervortreten lassen."

Doron Rabinovici, "I wie Rabinovici. Zu Sprachen finden. Salzburger Stefan-Zweig-Poetikvorlesung", € 16,00 / 124 Seiten. Sonderzahl, 2019
Foto: Sonderzahl-Verlag

Und, gibt er nebenbei all jenen zu bedenken, die sich erregen, Ausländer würden die Sprache kaputt machen, den Pisa-Schnitt sowieso: "Wenn ich einige der hiesigen Politiker reden höre, insbesondere jene politischen Hiasln, die ihre Ignoranz für ein Qualitätsmerkmal halten, dann weiß ich mit Sicherheit: An uns Zugewanderten liegt es nicht, wenn diesen Volksvertretern kein gerader Satz gelingen will."

Über das Vergessen

Es gibt bedrückende Passagen, zuvorderst wenn Rabinovici von der Geschichte seiner Familie erzählt und seinem Aufwachsen im Nachkriegsösterreich, in dem jemand wie Franz Murer noch unter öffentlichem Jubel freigesprochen werden konnte. "Ich war einer jener Judenjungen, die es gar nicht mehr geben konnte. Meine Herkunft war die Erinnerung. Ich trippelte als Schatten der Vergangenheit ins Alpenland. Ich war ein Wiedergänger, ein Untoter." Man muss diese Sätze in ihrer Ungeheuerlichkeit wirken lassen. Es gibt immer noch und wieder Menschen, die mit einer solchen Gewissheit herumlaufen, das darf man nicht vergessen.

Um das Vergessen dreht sich überhaupt viel in Rabinovicis Vorlesungen, und darum, wieso man genau deshalb die Sprache braucht. Vom Schreiben nach dem Tod geht von der Trauer um den Vater aus, dem 2016 verstorbenen David Rabinovici, dem das Buch gewidmet ist und von dem der Sohn schreibt: "Nichts war so aufmunternd und nichts so beruhigend wie das Lächeln dieses Mannes." Aber nicht nur Menschen brauchen die Sprache gegen das Vergessen, auch ganze Gesellschaften. Auch die können von einer Art Demenz befallen sein, man nennt das Geschichtsvergessenheit, und es ist eine verheerende Krankheit, die nicht selten tödlich endet. Dagegen braucht es Literatur, erst recht, wenn jene, die noch vom Erlebten künden könnten, die Zeitzeugen, wegsterben.

"Die Autoren und Autorinnen füllen eine Lücke, die von der Politik, von der Wissenschaft, von den Medien hinterlassen wird", schreibt Rabinovici. "Sie sprechen seit Jahrzehnten immer wieder an, was hierzulande totgeschwiegen oder verleugnet wird. Wer denkt da nicht sogleich etwa an Namen wie Thomas Bernhard, Peter Handke, Elfriede Jelinek. Der Schriftsteller rebelliert dabei nicht nur gegen die eigentümliche Sprachlosigkeit, die diese Zweite Republik über Jahrzehnte kennzeichnete, sondern er versucht, zur Sprache zu bringen, was sie ihm verschlägt." Das ist, was er auch in diesem kleinen Büchlein getan hat. Unbedingt lesenswert. (Andrea Heinz, Album, 18.10.2019)