Im Jahr 2008 gelang dem ÖVP-nahen Buchautor und Mitbegründer der Wiener Sir-Karl-Popper-Schule für Hochbegabte Andreas Salcher ein Long- und Bestseller. Nun kämpft Salcher in einer überarbeiteten Auflage weiter gegen die "ewigen Feinde" des talentierten Schülers. Diese Feinde seien vor allem im "Schulsystem" zu Hause, das die Talente unserer Kinder "systematisch zerstöre" und im Grunde genommen einer "Talentvernichtungsindustrie" gleichzusetzen sei.

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Die Weichen werden in der Volksschule gestellt.
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Auch an dieser Neubearbeitung kann vieles kritisiert werden, obwohl sie sicherlich besser ist als die erste Fassung. Da sind zunächst klare Widersprüche. Salcher beteuert zwar, er habe nie "die Lehrer" als größte Feinde gemeint. Dann aber bekommen diese im Text doch am meisten Fett ab – etwa mit ihrer "Osterhasenpädagogik", dem "stupiden Ausfüllen" von Arbeitszetteln oder der Fixierung auf Versagen. Ein anderer Widerspruch: Wie heute meist üblich ist viel von "selbstbestimmten" und "individuellem" Lernen die Reden, obwohl dann Salcher alle Kinder über einen Kamm schert und genau skizziert, wie Schule für alle Kinder auszusehen habe.

Pauschalurteile und Klischees

Eine weitere Schwäche des Buchs sind die häufigen Pauschalurteile und Klischees. Die Hauptthese, dass "das System" versage und Talente zerstöre, wird nicht empirisch begründet. Ein Zitat von Stefan Zweig (maturierte 1899) und ein Zeugnis aus dem Jahre 1935 werden beispielsweise als Belege dafür angeführt, dass sich unsere Schulen seit 100 Jahren nicht wirklich verändert hätten. Als Historiker und Lehrer mit 30 Dienstjahren kann ich diese These nicht einmal in Ansätzen nachvollziehen.

Schließlich betont Salcher zwar, dass er den "neuesten Stand der Bildungsforschung" berücksichtige. Viele Statements sind aber wissenschaftlich nicht abgesichert, etwa wenn es heißt, die Lehrkräfte "müssen eben nicht Experten ihres Faches sein". Das Buch ist voll von Erzählungen und Anekdoten, die den Text sehr lesbar und einem breiten Publikum zugänglich machen, aber wenig mit Wissenschaft zu tun haben.

Andreas Salcher, "Der talentierte Schüler und seine ewigen Feinde", € 10,30 / 423 Seiten. Ecowin-Verlag, 2019
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Vieles sieht Salcher aber richtig: dass viele Familien versagen, dass unfähige Lehrkräfte kündbar sein müssten, dass die entscheidenden Weichen im Kindergarten und in der Volksschule gestellt werden, die daher unbedingt mehr Ressourcen benötigen, dass die Lehrkräfte ganz zentral sind, dass nur die Fähigsten eine Lehramtsausbildung beginnen sollten.

Das Hauptproblem hat Salcher aber nicht scharf genug gesehen: Es ist eine Katastrophe, wenn jeder fünfte 15-Jährige nach neun Jahren Pflichtschule an einfachen Aufgaben scheitert. Dieses Phänomen hat aber ein ganzes Bündel an möglichen Ursachen – etwa bildungsferne Eltern, resignierende oder ungeeignete Lehrkräfte, die Tendenz, auch bei Totalversagen positive Noten herzuschenken und vieles mehr. Das ist unser größtes Problem, nicht hochtalentierte Schüler, die – angeblich – zu wenig Förderung erfahren.

Salcher sieht sich selbst offenbar als edlen Ritter, der die Schwachen (die Schülerinnen und Schüler) gegen ein übermächtiges, ungerechtes und dummes "System" verteidigt – so schon auf dem Cover. Das zeigt sich auch an der Sprache, denn es ist von "Feinden", von "Kleinkriegen" und "Frontberichterstattung" die Rede. Mir erscheint Salcher eher als Don Quijote, der teilweise die Windmühlen attackiert und sie für feindliche Armeen hält. (Georg Cavallar, Album, 19.10.2019)