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Dominic Thiem möchte die in Kitzbühel gemachten Erfahrungen in Wien umsetzen. Er ist topgesetzt und hofft zumindest auf den Finaleinzug.

Foto: REUTERS/Thomas Peter

Der 26-jährige Niederösterreicher Dominic Thiem tritt kommende Woche bereits zum zehnten Mal bei den Erste Bank Open in der Wiener Stadthalle an. Sein bisher bestes Ergebnis war das Viertelfinale. Nach der Absage des Russen Daniil Medwedew wegen Erschöpfung ist der Lokalmatador topgesetzt. Er hat heuer schon vier ATP-Turniere gewonnen – Indian Wells (höchste Kategorie), Barcelona, Kitzbühel und Peking. Sein erstes Match in der Stadthalle bestreitet Thiem am Dienstagabend gegen den Franzosen Jo-Wilfried Tsonga. Turnierdirektor Herwig Straka ist auch Thiems Manager.

STANDARD: Sie sind der zweite Ehrenbürger von Lichtenwörth. Wissen Sie, wer der erste ist?

Thiem: Leider nein.

STANDARD: Erwin Pröll.

Thiem: Stimmt. Mein Opa hat mir das irgendwann erzählt.

STANDARD: Pröll ist angeblich in 77 Gemeinden Ehrenbürger, das zählt also nicht. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Thiem: Viel. Lichtenwörth wird etwas Besonderes, meine wahre Heimat bleiben. Ich werde immer wieder gerne zurückkommen.

STANDARD: Die Saison neigt sich dem Ende zu. Sie war mit bisher vier Titeln die erfolgreichste Ihrer Karriere. Empfinden Sie Stolz?

Thiem: Ich habe Indian Wells und zwei starke 500er gewonnen, stand erneut im Finale der French Open. Und ich spiele richtig starkes Tennis, ich erwarte mir noch viel von den letzten drei Turnieren. Ja, ich blicke mit Stolz zurück. Aber es waren auch viele schlechte Sachen dabei. Drei Grand-Slams waren zum Vergessen, das gehört geändert. Erstrundenniederlagen in Rom und Miami. Es wären noch viele Punkte drin gewesen. Trotzdem stehe ich auf Platz fünf, schlechter als Sechster oder Siebenter werde ich nicht sein. Es passt also.

STANDARD: Es war wohl auch das turbulenteste Jahr. Im April haben Sie nach 17 Jahren die Zusammenarbeit mit Entdecker, Trainer, Manager Günter Bresnik beendet. Im Rückblick betrachtet: War es ein notwendiger Schritt?

Thiem: Ja, es war turbulent, das Ganze hat mich auch ziemlich beschäftigt. Davor und danach. Wäre der Schritt nicht notwendig gewesen, hätte ich ihn nicht gesetzt. Das war keine Kurzschlussreaktion, es war gründlich überlegt. Ich habe erwartet, dass es meiner Karriere hilft.

STANDARD: War die Abnabelungein Schritt zum Erwachsenwerden?

Thiem: Auf jeden Fall. Für die Reife auf und neben dem Platz war das enorm wichtig.

STANDARD: Ihr neuer Manager, Herwig Straka, meinte damals, man müsse Ihr Profil schärfen, verdeutlichen, wofür Thiem steht. Genügt es heutzutage nicht mehr, großartig Tennis zu spielen?

Thiem: Wichtig ist, authentisch zu bleiben, sich nicht zu verstellen, das ist die Grundvoraussetzung. Ich bin kein Schauspieler. Noch entscheidender ist der sportliche Erfolg, dein Tennis. Passt es nicht, wirst du unglaubwürdig. Wir leben in anderen Zeiten, die ganzen sozialen Netzwerke hinterlassen Spuren. Man sucht sich eine gescheite Fanbasis auf der ganzen Welt. Du musst die Sponsoren präsentieren. Die jungen Leute verfolgen deine Karriere, du musst sie bedienen und in den Netzwerken vertreten sein.

STANDARD: Sie wollen nicht der ideale Schwiegersohn sein, oder?

Thiem: Nein. Die Leute sollen sagen, der Thiem ist nicht abgehoben, sondern bodenständig.

STANDARD: Für die meisten internationalen Schlagzeilen hat Ihr Disput mit Serena Williams bei den French Open gesorgt. Williams sprengte quasi Ihre Pressekonferenz. Sie nannten den Superstar respektlos.

Thiem: Es war aufgebauscht, Williams hat mir dann in Wimbledon alles erklärt. Es war ein Fehler von den Organisatoren und eine Verkettung extrem unglücklicher Umstände. Die Sache ist gegessen. Es macht aber schon Sorgen, wie schnell sich so etwas verbreitet und wer aller seinen Senf dazugibt. Zum Beispiel Whoopi Goldberg.

STANDARD: Auffallend war, dass der sportlich kleinste Erfolg, der Sieg in Kitzbühel, bei Ihnen die größten Emotionen ausgelöst hat? Sind die kleinen Dinge manchmal die schöneren?

Thiem: Vielleicht. Das waren andere Emotionen, ich wusste, dass es sportlich nicht so wertvoll war. Der Rummel war groß, zum ersten Mal konnte ich mit einem Heimturnier umgehen. Es war von der ersten Partie an ausverkauft, das macht demütig. Schon als kleiner Bub wollte ich einmal in Kitzbühel gewinnen.

STANDARD: Vergleichen Sie den heutigen Thiem mit dem vor zwei Jahren. Was hat sich geändert?

Thiem: Ich bin kompletter, reifer, erfahrener, ein besserer Spieler.

STANDARD: Macht Tennis jetzt mehr Spaß?

Thiem: Teilweise ja, teilweise nein. Es macht meistens mehr Spaß, es wachsen aber auch die Drucksituationen. Du musst den Status verteidigen.

STANDARD: Wünschen Sie manchmal, dass die drei reiferen Genies da vorne, also Djokovic, Nadal und Federer, endlich aufhören und den Weg freimachen?

Thiem: Nein, das nicht. Der Generationenwechsel ist halb vollzogen, man sieht es bei den Masters-1000-Turnieren, die sind komplett aufgeteilt. Das Einzige, was wir quasi noch erobern müssen, sind die Grand Slams. Die werden nur von den drei gewonnen. Ich nehme aber schwer an, dass wir im nächsten Jahr einen neuen Grand-Slam-Sieger sehen.

STANDARD: Wer imponiert Ihnen von den drei am meisten?

Thiem: Jeder auf seine eigene Art und Weise. Es sind absolute Könner und Ausnahmeathleten.

STANDARD: Federer ist 38. Glauben Sie, in zwölf Jahren noch auf dem Tennisplatz zu stehen?

Thiem: Das glaube ich nicht.

STANDARD: Es kommt Druck von hinten. Medwedew hat Sie überholt, Tsitsipas, Zverev, Chatschanow oder Berrettini sind zum Teil deutlich jünger. Sind Sie mehr Jäger oder schon Gejagter?

Thiem: Ich bin genau in der Mitte. Ich jage noch immer die Legenden da vorne, aber ich werde auch verfolgt. Das Niveau ist sehr hoch.

STANDARD: Wenn Sie die Wahl hätten: Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier oder Nummer eins?

Thiem: Eindeutig Grand-Slam. Das kann nur mein logisches Ziel sein.

STANDARD: Sie hatten heuer immer wieder körperliche Probleme, waren schwer verkühlt. Sollte man das Programm reduzieren?

Thiem: Generell bin ich sehr zufrieden und glücklich mit meinem Körper. In Österreich kriegt man halt mit, wenn ich etwas habe. Andere sind auch oft krank, jeder hat Wehwehchen. Kitzbühel hat mir wahnsinnig viel bedeutet. Ich war auf Vollstrom, auf Vollspannung. Das ist dann abgefallen, ich wurde krank, musste nach Montreal.

STANDARD: Sie sind dauernd unterwegs. Ist es schwierig, Siege nicht auskosten zu können?

Thiem: Ja. Ich wollte in Kitzbühel richtig feiern gehen, war aber zu müde. Das ist ein bisserl traurig. Die Tour ist hektisch, es geht Schlag auf Schlag.

STANDARD: Und die Einsamkeit? Hotels sind ja nicht unbedingt heimelige Wohlfühloasen.

Thiem: Einsam ist es nicht. Ich kann es mir leisten, Familie oder Freunde auf Reisen mitzunehmen. Mit dem Trainerteam musst du dich auch privat verstehen, das ist bei mir der Fall.

STANDARD: Wie hoch sind die Anteile von Trainer Nicolas Massu?

Thiem: Sehr hoch, ich bin wirklich zufrieden, wie man mein Spiel gemeinsam weiterentwickelt hat. Er analysiert die Gegner, legt mir den Matchplan zurecht.

STANDARD: Jetzt stehen die Erste Bank Open an. Nach Wimbledon kommen die Leute wegen Wimbledon. In die Wiener Stadthalle kommen die Fans wegen Thiem. Also ist der Druck größer als anderswo.

Thiem: Die Kunst ist es, bei der ersten Runde voll da zu sein. Das habe ich früher nicht geschafft, da war ich noch ein Kind. Kitzbühel hilft mir für Wien. Wenn das Publikum hinter dir steht, kann es die letzten Prozente aus dir rausholen. Es kann auch ins Negative umschlagen. Wenn es nicht läuft, merkst du die Unzufriedenheit. Das macht zwar keine Angst, aber du denkst nach. Ich will ja die Leute glücklich machen, sie sollen etwas geboten bekommen.

STANDARD: Ziel für Wien?

Thiem: Finalteilnahme.

STANDARD: Macht Applaus süchtig?

Thiem: Er ist schön, aber süchtig danach bin ich nicht. (Christian Hackl, 19.10.2019)