Während sich auf Bundesebene Türkis und Grün vorsichtig beschnuppern, lebt die oberösterreichische Familie Mair den schwarz-grünen Alltag seit vielen Jahren. Vater Karl Mair-Kastner ist grüner Stadtrat in Eferding, Sohn Severin Mair ÖVP-Bürgermeister der oberösterreichischen Bezirksstadt. Grund genug für ein innerfamiliäres Koalitionsgespräch.

Fehlt es der ÖVP an Nächstenliebe, oder war die Reform der Mindestsicherung dringend nötig? Sohn Severin (türkis) und Vater Karl (Grün) sind und bleiben in dem Punkt uneinig.
Foto: Werner Dedl

STANDARD: Wie der Vater, so der Sohn, das gilt in der Familie Mair zumindest politisch nicht. Was haben Sie falsch gemacht?

Mair-Kastner: Ganz im Gegenteil – ich habe alles richtig gemacht. Ich habe meinen Sohn zu einem selbstständigen Menschen herangezogen.

STANDARD: ÖVP-Klubobmann August "Gust" Wöginger hat sich bitter beklagt, dass "unsere Kinder nach Wean fahren und als Grüne zurückkommen". Nachsatz: "Wer in unserem Haus schläft und isst, hat auch die Volkspartei zu wählen." Sie haben mit dem politischen Mitbewerber in den eigenen vier Wänden offensichtlich weniger Probleme?

Mair-Kastner: Bei uns war ja das umgekehrt. Der Bua ist aus einem grünen Elternhaus nach Linz zum Studieren gegangen. Und hat sich schwarz sozialisiert.

Mair: Und, bitte, mittlerweile habe ich eine eigene Wohnung.

STANDARD: Zumindest beim Amtsantritt haben Sie aber noch bei den Eltern gewohnt.

Mair-Kastner: Hat er, ja. Und da muss ich Sie gleich rügen. Damals haben Sie geschrieben, der Severin wohnt im "Hotel Mama". Dabei koche ich viel öfter für den Buam.

STANDARD: Bitte um Nachsicht. Prallen im Hause Mair beim Mittagstisch die politischen Gegensätze aufeinander? Wird auch gern heftig diskutiert?

Mair: Nein. Wir haben gelernt, bei gemeinsamen Essen wenig zu politisieren.

STANDARD: Herr Bürgermeister, Sie wachsen in einem grünen Umfeld auf – und biegen dann scharf schwarz ab. Gab es da einen konkreten Auslöser? War es der Wille, gegen den Vater aufzubegehren?

Mair: Es war eine längere Entwicklung. Ich habe mich schon in der Schulzeit für die Tagespolitik interessiert. Und daheim habe ich schon ganz bewusst provokante Thesen aufgestellt, um den Papa herauszufordern. Und zu meiner Verteidigung: Die größere Familie ist ja in der ÖVP sozialisiert. Auch der Opa war schwarzer Vize-Bürgermeister.

"Und selbst, als er dann Bürgermeister geworden ist, hat er kein Fernsehverbot bekommen. Und ich habe ihn auch nicht enterbt." Karl Mair-Kastner, der Grüne, ist stolz auf Sohn Severin, den Türkisen

Mair-Kastner: Eigentlich bin ich das grüne Schaf der Familie.

Mair: Zwangsweise habe ich mich auch mit den grünen Inhalten auseinandergesetzt. Aber ich habe rasch gemerkt, dass das nicht meine Welt ist.

Mair-Kastner: Ich habe ihn schon als Jugendlichen zu grünen Treffen mitgenommen. Es kann also keiner sagen, ich hätte es nicht versucht. Aber es ist sein Weg, da mische ich mich nicht ein. Und ehrlich: Es hätte doch schlimmer kommen können. Wäre es in Richtung FPÖ gegangen, hätte ich sicher ein deutliches Machtwort gesprochen.

STANDARD: Im Wahlkampf 2015 sind Sie im Rennen um den Bürgermeistersessel gegeneinander angetreten. Wie muss man sich das vorstellen? Fliegen da auch abseits der Wahlkampfbühne die Fetzen, daheim im Wohnzimmer?

Mair-Kastner: Die Wände haben nicht gewackelt. Und selbst, als er dann Bürgermeister geworden ist, hat er kein Fernsehverbot bekommen. Und ich habe ihn auch nicht enterbt. Aber natürlich gab und gibt es auch emotionsgeladene Diskussionen. Ich sage dem Severin auch, dass die ÖVP meiner Meinung nach keine christlich-soziale Partei mehr ist. Positiver Ausreißer war da noch der ehemalige Vizekanzler Josef Riegler. Aber es ist generell so: In der ÖVP haben Leute aus der Provinz keine Chance. Die werden immer abgeschossen. Darum hat Kurz ein leichtes Spiel, der ist Wiener.

Mair: Geh bitte, Papa. Es gibt bedeutende Personen in der Partei, die nicht aus Wien kommen. Etwa eben der Gust Wöginger.

Mair-Kastner: Und der Mitterlehner? Ist aus dem Mühlviertel und wurde abgeschossen. Ich bleibe dabei: Die ÖVP hat mit der neuen Parteiausrichtung "Law and Order" über Barmherzigkeit und Nächstenliebe gestellt. Etwa in der Debatte um die Reform der Arbeitszeit und bei den Kürzungen im Bereich der Mindestsicherung.

Mair: Diese Reformschritte waren dringend notwendig. Es geht um Gerechtigkeit. Wir stellen die in den Mittelpunkt, die Leistung erbringen. Und unterstützen jene, die tatsächlich Hilfe benötigen. Aber erst, wenn sich jemand nicht mehr allein helfen kann, muss die Gemeinschaft einspringen. Das Christlich-Soziale ist eine starke Wurzel der neuen Volkspartei. Aber ich bin sicher konservativer als der Papa. Etwa bei sozialen Themen. Da hat er Papa ein sehr linkes Denken. Und ich bin sicher kritischer. Etwa beim bedingungslosen Grundeinkommen.

Mair-Kastner: Das will etwas heißen. Immerhin bin ich Theologe. Aber genau über diese Dinge reden wir daheim nicht mehr. Da ist das Wohnzimmer ein koalitionsfreier Raum.

STANDARD: Schon tun sich ideologische Gräben auf. Wie stehen Ihrer Meinung nach die Chancen, dass wir künftig eine türkis-grüne Bundesregierung haben?

Mair-Kastner: Es gibt Schnittmengen. Und ich sehe Türkis-Grün als eine große wirtschaftspolitische Chance für Österreich. Aber es wird nicht leicht. Das Motto der Sondierungsgespräche muss sein: Politisches Gestalten verlangt gegenseitigen Respekt über Parteigrenzen hinaus.

STANDARD: Ein heikler Punkt wird sicher der Bereich Migration sein. Wie stehen da die Chancen für einen gemeinsamen Weg?

Mair: Es braucht eine kontrollierte Zuwanderung. Wir haben 2015 gesehen, was passiert, wenn unkontrolliert die Massen kommen. Bei den Grünen gibt es sicher extreme Ansichten, wo ich nicht mitkann. Und die nicht rechtskonform sind. Aber es gibt auch Grüne mit vernünftigen Ansichten.

Mair-Kastner: Die Grünen haben nie einen unkontrollierten Zuzug gefordert. Aber der Migrationskurs der früheren Bundesregierung war einfach grauslig. Und ich danke dem lieben Gott jeden Tag, dass diese Regierung vorbei ist. Das ist jetzt Geschichte.

STANDARD: Herr Bürgermeister, Grünen-Chef Werner Kogler ist ...

Mair: ... ein erfahrener Politiker, der offensichtlich manchmal auch einen eigenen Schmäh hat.

STANDARD: ÖVP-Chef Sebastian Kurz ist ...

Mair-Kastner: ... ein Politiker, der in manchen Bereichen noch unerfahren ist. Und den das Flüchtlingsthema überfordert hat.

(Markus Rohrhofer, AGENDA, 20.10.2019)