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Es ist ein ebenso vielgenutztes wie kaum jemals abnutzbares Motiv, dem sich die österreichische Autorin Caroline Hofstätter in ihrem Kurzroman "Das Ewigkeitsprojekt" gewidmet hat, nämlich: "Stell dir vor, du wachst auf und stellst fest, dass du der einzige Mensch auf der Welt bist". Zumindest ist das der Ausgangspunkt – allzu lange wird sich Hofstätter mit dem Wandeln durch die neue Einsamkeit nämlich nicht aufhalten.

Die Person, die es diesmal erwischt, ist die 28-jährige Medizinerin Sarah Berger. Als Erstes fällt ihr morgens auf, dass ihr Ehemann verschwunden ist. Und seltsamer noch: Das Bett ist auf seiner Seite auf Hotelniveau glattgezogen, als hätte da nie jemand gelegen. Später wird Sarah sowohl in ihrem eigenen Haus als auch in denen von Freunden feststellen, dass alles außergewöhnlich ordentlich und sauber ist – als wäre sie in einem Schöner-Wohnen-Katalog gefangen. Schwerer wiegt jedoch, dass nirgendwo eine Menschenseele zu finden ist (Tiere übrigens auch nicht). Komplettiert wird das Mysterium durch eine bemerkenswerte Wetterlage: Vom Fenster aus sieht man alles in strahlenden Sonnenschein getaucht – doch kaum tritt man aus dem Haus, steht man in einer dicken Nebelbrühe.

Erster Stopp

An dieser Stelle könnte man eine erste Spoilergrenze einziehen; nur für diejenigen, die die Geschichte gänzlich unbeleckt angehen wollen. Wir sind allerdings erst auf Seite 33, als Sarah neue Gesichtspunkte eröffnet werden. Per E-Mail erhält sie nämlich eine Nachricht von der "Abteilung für Zukunftssicherheit" des Unternehmens Econ Labs, in der ihr nonchalant eröffnet wird, dass sie sich in einer virtuellen Umgebung befindet. Einer virtuellen Arbeitsumgebung zwecks besserer Konzentration genau genommen, und der erste Auftrag wird gleich mitgeschickt.

Vom "Last Man on Earth"-Motiv zieht die Erzählung nun zu "Und täglich grüßt das Murmeltier" weiter: Jeden Tag hat Sarah von 9 bis 5 zu schaffen, danach wird sie samt Umgebung wieder auf Default-Einstellung zurückversetzt. Weigert sie sich, ihre Aufträge zu erfüllen, wird die Simulation "auf ein Minimum reduziert". Anders ausgedrückt: Sarah hat dann den Eindruck, über einem schwarzen Abgrund zu hängen. Immerhin stellt sie fest, dass sie ihre Umgebung per Gedankenkraft in gewissem Ausmaß umgestalten kann. Eine Ausgangstür vermag sie nicht herzustellen, aber wenigstens Annehmlichkeiten wie Essen und Trinken nach Wunsch. "Ich war hier definitiv nur die Göttin der kleinen Dinge."

So langsam bewegen wir uns nun auf die normale Spoilergrenze zu. Angemerkt sei nur – das kann sich eh jeder denken –, dass Sarah nicht dauerhaft allein bleiben wird. Wen sie dann so trifft (darunter eine Figur, die ein paar hundert Mal zu oft das Wort "Schätzchen" im Mund führt), gehört aber zu den Überraschungen, die Hofstätter ihrer Protagonistin und uns serviert. Wobei Sarah mitunter überraschter ist als der Leser: Titel und Coverbild verraten eigentlich schon so einiges.

Die Ausnahme von der Regel

Sprachlich unauffällig, könnte "Das Ewigkeitsprojekt" mehr Wirkung entfalten, wenn es – Achtung, das sage ich wirklich nicht oft! – etwas länger wäre. Zum Beispiel stößt Sarah auf einige Inkongruenzen, die sich aus ihrem (und nicht nur ihrem) veränderten Zeitrhythmus ergeben. Der Takt von De- und Reaktivierung kann nämlich sowohl deutlich langsamer als auch schneller als der gewöhnliche Tag-Nacht-Rhythmus eines Menschen sein. Und weil man ja seine Ansichten mit der Zeit ändert, können von diesem Effekt Betroffene mitunter unerwartetes Verhalten zeigen. Das wird zwar explizit erklärt – aber besser wäre es gewesen, wenn sich Hofstätter den erzählerischen Raum genommen hätte, den Effekt erst mal so ausführlich zu schildern, dass man ihn wirklich fühlen kann.

Eine andere Inkongruenz betrifft übrigens Sarahs Beruf: Hat sie jetzt für Econ Labs gearbeitet oder war sie eine Hörsaalvorträge haltende Professorin (mit 28), wie es an einer Stelle heißt? Scheint mir nicht recht miteinander vereinbar zu sein, aber vielleicht könnte eine Fortsetzung das präzisieren. Eine solche ist nämlich durchaus denkbar, da nach kurzem Streifen verschiedenster Themen und Motive auch der Schluss ausgesprochen hastig heruntergekurbelt wird (und einige Fragen offenlässt). Manchmal wäre mehr doch tatsächlich mehr.