US-Sopranistin Nicole Chevalier als Vitellia

Kmetisch

Der Liebesquickie – an der Wand stehend genossen – entspannt das Pärchen nur kurz. Vitellias Wut ist schnell zurück. Rachegelüste elektrisieren ihr – die Herrschaft über Rom herbeisehnendes – Gemüt. Um toten Vater und Lorbeerkranz beraubt, überredet sie denn auch mit intensivem Körperkontakt Sesto, sich vom Amigo des aktuellen Monarchen Titus zu dessen Mörder zu wandeln. Nachvollziehbar, dass Sesto der wilden Dame folgt, diesem Energiezentrum.

In die Steckdose der Aggression geraten, schäumt die Gedemütigte, tobt Vitellia, ist bereit, alle Argumente manipulativ einzusetzen. Nicole Chevalier ist zu glauben: Unlängst war sie in Festspielsalzburg bei Mozarts Idomeneo Elettra. Auch bei Titus vermittelt sie nun die seelischen Konflikte effektvoll, während um sie herum leider viel Marionettenhaftes Bremseffekte auslöst.

Die Figurenstatik fällt besonders auf, da hier auf räumlichen Minimalismus (Ausstattung Alex Lowde) gesetzt wird. Das alte Rom ist ein Spiegelkabinett, das auch als Videoleinwand fungiert. In diesem reizvoll abstrakten Ambiente steigt zwar da und dort Nebel auf oder suchen verzweifelte Hände nach einem Kerkerausgang, während Sestos zehn Finger blutig auf ein Massaker hindeuten. Auch die intensiven Videos von Tabea Rotfuchs bilden eine die Figuren deutende zweite Ebene: Da wird Titus Antlitz von Händen abgetastet. Es wird in Nahaufnahmen ein Auge dramatisch groß oder Verzweiflung in schmerzverzerrte Mimik gebannt.

Allzu statisch

Auch all dieser szenische Zierrat (abseits jeglichen Sandalenfilmflairs) nützt sich jedoch mit der Opernzeit ab. Der Raum dreht sich zwar, die Videos leuchten. All die skulpturalen Bühnenmomente vermag dies alles nicht zu kompensieren. Es wirkt trostlos, wie etwa Sesto seinen emotionalen Zwiespalt in einer Art Arienabend zelebriert (schöne Linien, mitunter etwas forciert in der Höhe David Hansen).

In Annio besitzt er zudem einen Freund, der wirkt, als wäre er aus dem Wachsfigurenkabinett von Madame Tussauds geflohen (klangschön Kangmin Justin). Und ähnlich unlösbare Gestaltungsprobleme müssen Regisseur Sam Brown auch mit Publio (vokal solide Jonathan Lemalu) belastet haben, wobei er immerhin bei Berenice eine Idee hatte: Titus‘ Wunschdame wird von Stina Quagebeur ertanzt. Ein auflockernder Effekt, der ebenso belebt wie Titus‘ emotionale Zerrissenheit. Jeremy Ovenden vermittelt sie empfindsam, mit leichtem, bisweilen an Grenzen gehenden Tenor.

Eher rätselhaft

Kein versöhnliches Happy End:_Titus platzt vor Güte am Schluss fast der Schädel. Er zieht ins Innere des Spiegelkabinetts, wird zum Gefangenen ebendort, wo zuvor Sesto (im Guantanamo-Outfit) einsaß. Während der Concentus Musicus unter Stefan Gottfried die letzten Mozartnoten spielt und (wie den ganzen Abend) etwas zu behutsam und schüchtern wirkt, bleibt auch noch offen, wieso die Massen (respektabel der Schönberg Chor) und Servilia (solide Mari Eriksmoen) in den Zustand guter Hoffnung samt Schnellgeburt versetzt worden waren. Das überflüssige Rätsel wurde von einigen mit Buhs bedacht, denen sich allerdings reichlich Applaus entgegenstellte. (Ljubiša Tošic,18.10.,2019)