Bevor es losgeht, muss Peter noch die Plane seines Anhängers mit einem Spanngurt festzurren. "Mia fahren arschlings am Brenner, da fetzt's sonst alles runter", erklärt der 55-jährige Oberpfälzer auf gut Bayrisch. Und dann geht es los, Sektion "F" am Vorstau-Parkplatz der Rollenden Landstraße (RoLa) in Wörgl ist an der Reihe. Langsam setzt sich der 42 Tonnen schwere Sattelzug in Bewegung und ordnet sich in die Lkw-Warteschlange neben den Geleisen ein.

Peters Reise geht nach Rom. Er kommt gerade aus Tschechien, wo er gemahlenen Feldspat für die italienische Keramikproduktion geladen hat. "Die moch'n Kloschüsseln draus", erklärt er. Seit über 30 Jahren sitzt der Trucker, der für eine bayrische Spedition unterwegs ist, schon im Führerhaus. Die RoLa nutzt er seit 2001 regelmäßig. Von Wörgl auf den Brenner und retour. "Wenn der Zug pünktlich ist, eine feine Sache", sagt Peter. Einerseits spare er sich "einen Haufen Diesel", andererseits Lenkzeit. Denn er kann die fast dreistündige Zugfahrt plus Verladung zu den vorgeschriebenen Ruhepausen dazurechnen.

Die RoLa als "verkehrspolitisch gewünschtes Verlagerungsinstrument", um die Transitbelastung entlang der Brennerroute zu reduzieren.
Florian Lechner

Die RoLa ist ein "verkehrspolitisch gewünschtes Verlagerungsinstrument", um die Transitbelastung entlang der Brennerroute zu reduzieren. Im Zuge der heftig geführten Verkehrsdebatte zwischen Tirol und Bayern Anfang des Sommers war auch die RoLa immer wieder Thema. Als Teil der Lösung des Problems soll sie bis 2021 ausgebaut werden. Die Kapazitäten werden verdoppelt, hieß es nach dem Transitgipfel in Berlin. Bis zu 450.000 Lkws sollen dann pro Jahr per Zug über den Brenner fahren statt auf der überlasteten Autobahn. Ein hehres Ziel, im Jahr 2018 waren es 145.000.

Jetzt ist Peter an der Reihe. Er manövriert seinen Sattelzug auf den Niederflurwagen. Zentimeterarbeit, denn links und rechts ist kaum eine Handbreit Platz. Das Führerhaus ist derart weich gefedert, dass es wie ein Schiff auf hoher See schaukelt, während Peter "das Trum" auf den Zug fährt. "Oben muss man auch aufpassen, wegen der Stromleitung", erklärt er nebenbei. Wer vergisst, die Antennen einzufahren, riskiert einen tödlichen Schlag. "Hamma alles schon g'habt. Bei den türkischen Kollegen sind oft richtige Funktürme am Dach. Passt wer nicht auf, gibt's a Feuerwerk."

Sybille und ihre Männer

Das Beladen geht schnell und problemlos vonstatten. Die Chauffeure – Frauen sind die große Ausnahme, und auch heute ist keine dabei – fahren im schmucklosen Begleitwagon mit. Dort empfängt Zugbegleiterin und "Mädchen für alles" Sybille "ihre Männer". Im breiten Sächsisch begrüßt sie Peter. Man kennt sich. Die 54-Jährige fährt schon bald zehn Jahre auf der RoLa mit. Sie hat hier sogar ihren Mann kennengelernt. Er ist ebenfalls Trucker.

40 RoLa-Züge verkehren täglich auf der Tiroler Brennerroute. Bis 2021 soll die Kapazität verdoppelt werden, um die transitgeplagte Bevölkerung zu entlasten.
Florian Lechner

Sybille führt eine Liste mit allen Fahrern. Jeder wird beim Einsteigen begrüßt und bekommt seine Abteilnummer von ihr. Sie weiß anhand der Liste, woher die Männer stammen, und teilt nach Nationen ein. Die resolute Blondine spricht fast alle ihrer Gäste in der jeweiligen Landessprache an. "Als Kind des Ostens hatte ich noch Russisch in der Schule", erklärt sie ihr Fremdsprachentalent. Peter ist der einzige, mit dem sie heute Deutsch reden kann. Bevor er sich in sein Abteil zurückzieht, kauft er ein Bier bei Sybille: "Dann schlafe ich besser ein."

Täglich verkehren 40 RoLa-Züge auf der Brennerstrecke. Bergauf mit maximal 18, bergab mit 21 Sattelzügen beladen. Es sind vor allem Lkws, die wegen der Transitbeschränkungen keine Fahrerlaubnis mehr in Tirol haben. Ab 2020 werden diese Verbote verschärft, dann rechnen ÖBB und Land Tirol mit 120.000 Lkws mehr pro Jahr auf der RoLa. Die Schienen- und Terminalinfrastruktur sei für den Zuwachs gerüstet, heißt es. Nur einige bereits ausgemusterte Niederflurwagen müssen revitalisiert werden.

Neben der Brennerstrecke gibt es in Österreich noch eine RoLa zwischen Wels und Maribor, wo täglich sechs Züge verkehren und die Auslastung heuer bisher bei 88 Prozent lag. Sowie die Strecke von Salzburg nach Fernetti/Triest mit täglich zwei Zügen. Hier liegt die Auslastung aktuell zwar nur bei 51 Prozent, doch die ÖBB betreiben diese Verbindung im Auftrag eines Logistikers, der auch das Risiko trägt.

An Sybilles kleiner Theke im Begleitwagen herrscht reger Betrieb. Besonders beliebt sind Haus- und Currywurst. Das Essen kommt auch hier vom ÖBB-Caterer, doch für die Trucker gibt eine eigene Speisekarte mit deftigeren Mahlzeiten. Es wird wenig gesprochen, die meisten Fahrer sitzen stumm und in ihre Handys vertieft an einem der beiden Tische oder ruhen sich in ihren Abteilen aus, die man zu Sechs-Bett-Kojen umbauen kann.

Dimitrious mag die Pause im Zug. Nur das Rauchverbot versteht er nicht.
Florian Lechner

Dimitrious ist nicht nach Schlafen. Der 54-jährige Grieche aus Thessaloniki steht am offenen Fenster und betrachtet das draußen vorbeiziehende Wipptal. Seit 32 Jahren sitzt er im Führerhaus. Kurz hat er es als Selbstständiger versucht, heute arbeitet er wieder für eine Spedition. Das Geschäft sei hart und der Druck gewaltig. Er blickt immer wieder nervös auf die Uhr, denn er muss die Fähre in Italien erwischen. Derzeit hat der Zug eine halbe Stunde Verspätung. RoLa-Garnituren gelten als Güterverkehr und haben gegenüber Personenzügen Nachrang.

Dass im Begleitwagon seit kurzem Rauchverbot gilt, nervt Dimitrious. Fast alle Fahrer sind Raucher und wollen hier ein wenig entspannen. Sybille versteht das: "Der Zeitdruck ist enorm, besonders bei den Kühlern." Dimitrious ist ein solcher Kühler, er transportiert Obst, also verderbliche Ware, die gekühlt werden muss.

Einmal verspätet, fahren die Trucker die restliche Woche ihrem Zeitplan hinterher. Besonders absurd in dem Zusammenhang: Seit Tirol die Blockabfertigung eingeführt hat, um den Transit zu vermindern, versäumen immer wieder Lkws ihren RoLa-Zug. Denn sie dürfen in den Staus, die an der Grenze entstehen, nicht die Überholspur benutzen. Und der Zug wartet nicht.

Dimitrious kann aufatmen, er kommt rechtzeitig am Brenner an. Das Entladen der Lkws dauert nur wenige Minuten. Manche, wie Peter, legen noch eine Pause am Parkplatz ein, bevor es weitergeht. Der Grieche muss gleich los. "In zwei Tagen bin ich endlich zu Hause", sagt er. Dann sperrt Dimitrious seinen Lkw ab und hat eine Woche frei, bevor er, mit Weintrauben beladen, wieder in Richtung Hannover aufbricht. (Steffen Arora, 19.10.2019)