Noch ehe das mächtige Stift Melk in seiner ganzen barocken Pracht zu sehen ist, schiebt sich wenige Kilometer davor etwas verschämt, aber nicht unelegant eine blitzblanke Riesenschachtel ins Bild. 12.000 Quadratmeter, einen solchen Koloss kann man von der Westautobahn aus nicht übersehen: das Logistiklager des Diskonters Hofer, in der Hoferstraße, unmittelbar nach der Abfahrt Loosdorf im ersten Kreisverkehr rechts. In einem halben Jahr werden die Hofer-Schilder abmontiert sein. 68 Filialen werden dann von den Standorten Trumau, Stockerau und Sattledt aus mitbetreut.

Um zehn Uhr vormittags ist es hier ruhig. Die großen Lkws mit Krapfen essenden Kindern und Werbebotschaften wie "Frisch gebacken und schon weg zum Hofer-Preis" stehen auf der Rückseite in Reih und Glied. Betriebsamkeit herrscht hier vor allem nachts, wenn die Ware aufgeteilt wird, um später zu den Filialen zu kommen. Es ist für viele der fast 300, meist weiblichen Mitarbeiter, die hier arbeiten, ein guter Job. Drei Stunden nächtliche Arbeit, 15 die Woche, 1000 Euro im Monat auf die Hand, morgens ist man daheim und versorgt die Kinder. Für ungelernte Kräfte fast perfekt, wenn auch wortwörtlich sauschwer. Man bewegt viel Gewicht. So wird es später erzählt. Offiziell darf keiner reden.

Hinter der blitzblanken Fassade herrscht vor allem zu nächtlicher Stunde emsige Betriebsamkeit. Hofer gilt als hocheffizient. Das Management findet, da geht noch mehr.
Regine Hendrich

Dabei wäre es eigentlich kein singuläres Ereignis. Unternehmen drehen immer wieder an Schrauben. Logistik ist besonders im Handel wichtig. Wäre nur die Überraschung nicht gar so groß. Einen Tag vor dem 15-Jahr-Jubiläum sickerte die Nachricht durch. Noch vor zwei Jahren wurde die Lagerfläche erweitert. Und jetzt das. Strategiewechsel lautete die Erklärung.

Ganz überraschend kommt das zumindest für Experten nicht. Jeder Marktteilnehmer im hochkonzentrierten Lebensmitteleinzelhandel steht unter enormem Druck. Als Zielpunkt 2015 in die Pleite rutschte, hat man sich die Filialen aufgeteilt. Der Grund: In städtischen Lagen gibt es kaum freie Flächen, dazu kommt die restriktive Flächenwidmung. Auch Hofer schlug kräftig zu. Als Loosdorf 2004 als jüngste von sieben Niederlassungen eröffnete, hatte der Konzern 340 Filialen, heute sind es 500.

Das Weihnachtsgeschäft soll noch in Loosdorf über die Bühne gebracht werden. Doch dann wird es ernst. Ein Nachnutzer wird gesucht. Wird es vielleicht Ikea sein oder möglicherweise gar Amazon? Derzeit wird viel spekuliert.
Foto: Regine Hendrich

Große wie Rewe, Spar und Hofer teilen sich einen Großteil des Marktes auf. Anteile werden nur verschoben, erkämpft mit hohem Aufwand. "Wenn einer gewinnt, verliert der andere", sagt Handelsforscher Anton Salesny von der WU Wien. Hofer ist in Sachen Flächenproduktivität einsame Spitze. Im Vorjahr gab sie allerdings leicht nach. "Hofer hat eine unglaubliche Erfolgstory hingelegt, nahezu jeder in Österreich kauft bei Hofer", sagt Salesny. Beim Umsatz hat der Diskonter die Rewe-Tochter Billa überholt. Jetzt steht man quasi unter Erfolgszwang.

Wachsen wollen alle, nur wie? "Das Ziel muss sein, dass die Österreicher öfter kommen und den gesamten Einkauf machen", sagt Salesny. Keine leichte Aufgabe. Um die Konsumenten zu locken, lassen sich alle viel einfallen. Man verkauft Reisen, Mobilfunk oder lockt mit Tankstellen. Diskont und klassischer Supermarkt näherten sich in den vergangenen Jahren stetig an. Bio, vegan, frisches Obst, Gebäck findet man schon lange auch bei Hofer und der Diskont-Konkurrenz. Neben Penny drückt die deutsche Lidl mächtig aufs Gas. Dazu kam, dass Diskonter zunehmend auf bekannte Herstellermarken setzen. "Die Produkte werden für die Konsumenten plötzlich hinsichtlich der Preise vergleichbar", sagt Salesny. Für einen Diskonter, der auf Preisführerschaft setzt, keine Kleinigkeit. So kommt es, dass es nun Rabatte – bei Penny und Lidl Alltag – verstärkt auch bei Hofer gibt. Denn nachdem auch der klassische Handel mit Aktionen lockt, passiert es plötzlich, dass die bekannte Marke am Wochenende bei Billa, Spar und Co günstiger ist als beim Diskonter.

Den Gürtel werde man wohl enger schnallen müssen, sagt Ortschef Thomas Vasku.
Regine Hendrich

Der Konsument nimmt, was er kriegt. Im Handel, wo die Umsatzrentabilität bei unter zwei Prozent liegt, wird jede mögliche Effizienzschraube gedreht. Die Niederlassung in Loosdorf bleibt dabei auf der Strecke. Sorgen um die Region müsse man sich dennoch nicht machen, sagt Sonja Zwazl. Die NÖ-Chefin der Wirtschaftskammer zählt die namhaften Leitbetriebe auf, die in der Gegend daheim sind. Von der Voest über Welser Profile, bis zum Getränkehersteller Egger, der gerade 25 Mio. Euro in eine neue Glasabfüllanlage steckt.

Man sei gut aufgestellt, die Arbeitslosenquote mit 6,7 Prozent nicht besorgniserregend. Die Unternehmer seien optimistisch sagt Zwazl. Trotz der zunehmenden Wolken am internationalen Konjunkturhimmel sogar weitaus optimistischer als jene in den anderen Bundesländern. "Wir sind nicht so industrielastig wie Oberösterreich oder die Steiermark", so Zwazl. Wachstumsmäßig hält man sich im Österreichschnitt. Größere Turbulenzen könne man gut überstehen.

40 Millionen Schilling hat die Gemeinde vor Jahren in die Errichtung des Industriegebietes investiert und wie alle anderen die Betriebe bei der Ansiedlung mit Förderungen zum Beispiel durch Übernahme der Anschlusskosten für den Kanal oder Erschließungskosten unterstützt. Das hätte man binnen eines Jahres wieder herinnen, so Vasku.
Regine Hendrich

Das gilt wohl auch für Loosdorf – so dramatisch die Nachricht für Betroffene ist. Den Abschied von Hofer wird sie wohl verdauen. Rund 600 Leute arbeiten alleine im rund 30 Hektar großen Industriegebiet. Loosdorf wächst. In der freundlichen, langgestreckten Gemeinde gibt es vieles, was man anderswo mittlerweile vergeblich sucht: Banken, Apotheken, Billa, Spar, Drogeriemärkte, Gasthäuser, Modehändler, gut 300 Unternehmen und Dienstleister werken hier. Der Leerstand ist überschaubar. Nur da und dort hängt ein Schild mit der Aufschrift "zu vermieten".

Derzeit pendeln mehr Leute zum Arbeiten ein als aus. Wenn im April 2020 das Hofer-Lager besenrein übergeben wird, könnte sich das ändern, fürchtet SPÖ-Ortschef Thomas Vasku.

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht: Am späten Vormittag ist hier in der Konditorei Ries ziemlich viel los. Der Altersschnitt um diese Zeit liegt wohl bei 60 Plus. Manch einer nimmt bereits das Mittagessen ein, andere lassen es sich bei einem Bierchen und dem dazugehörigen Schwätzchen wohl sein.
Regine Hendrich

So richtig bang wird dem Mitvierziger um seine 3800 Schäfchen trotzdem nicht. Eben wurde ein Kindergarten mit zehn Gruppen eröffnet. Bald steht der Umbau der Schule an. "Den werden wir wohl etwas langsamer angehen", sagt Vasku. Denn in der Gemeindekassa werden die 370.000 Euro Kommunalsteuer, die Hofer zahlte – fast so viel wie in der Regel der Überschuss ausmacht -, fehlen. Und dass viele Frauen das Angebot, in einem weiter entfernten Lager zu arbeiten, wohl nicht annehmen können, das tue weh. Deswegen würde er doch von einer "Hiobsbotschaft" sprechen.

In der Konditorei Ries in Gehweite des Rathauses hat zu der Sache jeder eine Meinung, in der Zeitung stehen will niemand. "Das war ein abgekartetes Spiel", sagt eine junge, resolute Frau, die früher selbst im Logistikzentrum gearbeitet hat. Es könne ihr keiner erzählen, dass das so überraschend gekommen sei, sagt sie energisch. Die Dummen seien immer die Arbeitnehmer ergänzt ein älterer Herr und weiß von Familien, wo beide bei Hofer arbeiten. Dramatischer ginge es nicht. Sozialplan hin oder her.

Ein solcher soll bis Mitte November stehen, wie Hofer-Generaldirektor Horst Leitner ausrichten lässt, der ergänzt, dass an den anderen Standorten neue Arbeitsplätze entstehen würden. Loosdorf hat davon nichts. Einkaufen wollen die Einheimischen trotzdem weiter bei Hofer. Wenn auch nicht im Ort, hier gibt es keine Filiale. "Die Produkte sind gut, und wem nutzt es schon, wenn man woanders hingeht", sagt einer achselzuckend und fügt an: "Es machen doch alle großen Konzerne so." (Regina Bruckner, 19.10.2019)