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Nahe der Polizeizentrale Barcelonas entzündeten junge Demonstranten ein Feuer. Brände gab es auch nahe dem Plaza de Catalunya am Ende der Touristenmeile Las Ramblas, wo sich hunderte Demonstranten der Polizei entgegenstellten.

Foto: AP Photo/Emilio Morenatti

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Die Unruhen in Barcelona ließen nach Mitternacht nur langsam nach.

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Zahlreiche Polizeifahrzeuge waren mit Sirenengeheul auf den Straßen unterwegs. Die Regionalpolizei warnte Menschen auf Englisch im Kurzbotschaftendienst Twitter, sich vom Stadtzentrum fernzuhalten. Auf diesem Foto zu sehen: Eine Fahrradfahrerin bahnt sich ihren Weg durch die Proteste.

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Glücklich, aber abgekämpft läuft David Ortega durch die riesige Menschenmenge auf einem der breiten Boulevards Barcelonas, dem Passeig de Gràcia. Der Rucksack, die Isomatte, die Trinkflasche zeigen, dass der 26-jährige Sportlehrer zu denen gehört, die mit den "Märschen für die Freiheit" in der katalanischen Hauptstadt eingetroffen sind. Zu Zehntausenden kamen sie nach zweieinhalb Tagen aus fünf Richtungen hier im Zentrum an. Die Menge wuchs schließlich auf 525.000 Menschen – so die Angaben der Stadtpolizei.

Die Ankunft der Märsche fiel mit dem vierten Generalstreik in nur zwei Jahren zusammen. Rund 50 Prozent sollen ihn – so offizielle Angaben – befolgt haben. Geschäfte blieben geschlossen. Fabriken, etwa die Autofirma Seat, stellten die Produktion ein. Flüge und Züge fielen aus. Barcelona war durch die Märsche, kleinere Demonstrationen und Straßenblockaden den ganzen Tag über nur schwer mit dem Auto oder per Bus zu erreichen. Das Gleiche gilt für die anderen Städte Kataloniens.

"Es geht uns um die Verteidigung der Rechte und Freiheiten", sagt Ortega. Sie protestieren gegen die Verurteilung von neun Unabhängigkeitspolitikern und -aktivisten wegen "Aufstands" in Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsreferendum vom Oktober 2017 zu neun bis 13 Jahren Haft. "Freiheit für die politischen Gefangenen!" und "Unabhängigkeit!" ruft die Menge immer wieder.

Ausschreitungen reißen nicht ab

Die Stimmung ist fröhlich. Junge, Ältere, ganze Familien mit Kindern sind am Freitag gekommen. Ein paar Musiker spielen spontan zu traditionellen Weisen, so mancher fühlt sich zum Tanzen animiert. Wären nicht hier und da die Brandflecken auf dem Asphalt, würde nichts darauf schließen lassen, dass es die vergangenen vier Nächte seit der Urteilsverkündung immer wieder zu Ausschreitungen gekommen war. "Ich hoffe, dass es heute friedlich so bleibt", sagt Ortega. Doch er sollte sich enttäuscht sehen.

Nicht so weit entfernt, vor dem gut abgesperrten Kommissariat der spanischen Nationalpolizei, war das Bild ganz anders. Eine Gruppe junger Menschen rief den Beamten Beleidigung zu, sie rissen Verkehrsschilder aus, setzten Müllcontainer in Brand und bewarfen die Polizisten mit Steinen, Eiern und anderen Gegenständen. Die schwer ausgerüsteten Polizisten ließen sich provozierten, rückten aus. Sie setzten Schlagstöcke, Gummigeschoße, Tränengas ein, und erstmals kam auch der einzige Wasserwerfer der katalanischen Polizei zum Einsatz. Er wurde in den 1980ern angeschafft und hat seither nie die Garage verlassen. Der öffentlich-rechtliche TV-Sender RTVE sprach von einer "wahren Schlacht".

Entspannung nicht in Sicht

Schließlich waren laut Angaben der Gesundheitsbehörden mindestens 180 Personen verletzt. Die Polizei nahm 54, meist sehr junge Demonstranten fest, darunter ein Fotograf der größten spanischen Tageszeitung "El País". Er hatte versucht festzuhalten, wie ein Demonstrant brutal festgenommen wurde. Den Einsatzkräften gefiel dies nicht. Der Fotograf wurde auf den Boden gedrückt, mit Handschellen gefesselt und weggeschleppt.

Seit der Urteilsverkündung am vergangenen Montag wurden insgesamt 128 Menschen festgenommen. Eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht. Innenminister Fernando Grande-Marlaska trat am Freitag gleich zweimal vor die Presse. "Wir werden das Strafgesetzbuch mit aller Kraft gegen die gewaltsamer Unabhängigkeitsbefürworter anwenden", erklärte er. Eine Spezialeinheit der paramilitärischen Guardia Civil ist mit 300 Mann überall in Katalonien im Einsatz.

Regionalpräsident distanziert sich

Am Samstag nach den Unruhen forderten Separatisten die spanische Zentralregierung zu Verhandlungen auf. Seine Bewegung dränge die Regierung in Madrid dazu, sich mit ihr zu Gesprächen an einen Tisch zu setzen, sagte der katalanische Regionalpräsident Quim Torra. Er betonte, die jüngsten Unruhen spiegelten nicht den friedlichen Charakter seiner Unabhängigkeitsbewegung wider.

Weitere Demonstrationen angekündigt

Gleichzeitig wurde bekannt, dass der spanische Sondergerichtshof, die Audiencia Nacional in Madrid, gegen die Internetplattform "Demokratischer Tsunami" wegen "Terrorismus" ermittelt. Die eigens für die Proteste gegen das Urteil gegründete Bewegung zählt mittlerweile über 330.000 Abonnenten auf der Messenger-App Telegram. Sie mobilisierte am vergangenen Montag Tausende zu einer weitgehend friedlichen Blockade am Flughafen von Barcelona. Mittlerweile wurde der Zugang zum Web der Gruppe gesperrt, er befindet sich auf einem sicheren Server im Britischen Territorium im Indischen Ozean, doch nun ist er von Spanien aus nicht mehr aufzurufen. Nur wer es versteht, seinen Internetverkehr umzuleiten, um mit einer ausländischen IP-Adresse zu navigieren – oder außerhalb Spaniens lebt, kann tsunamidemocratic.cat weiterhin sehen.

Für dieses Wochenende sind gleich zwei Demonstrationen angekündigt. Zum einen wird am Samstag ein breites Bündnis – nicht nur aus Unabhängigkeitsbefürwortern – gegen das Urteil und für Bürgerrechte auf die Straße gehen. Und am Sonntag will die von spanischen Parteien unterstützte Organisation Katalanische Zivilgesellschaft für die Einheit Spaniens mobil machen. Das Spitzenspiel der Liga, FC Barcelona gegen Real Madrid, wurde aus Sicherheitsgründen auf Dezember verschoben. (Reiner Wandler aus Barcelona, red, 19.10.2019)