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Kanadas Regierungschef Justin Trudeau konnte viele Wahlversprechen umsetzen, muss aber trotzdem um eine Mehrheit bangen.

Foto: AP / The Canadian Press / Sean Kilpatrick

Wahrlich harte Zeiten für den kanadischen Premier Justin Trudeau: Auf einer Wahlveranstaltung in Mississauga musste der liberale Regierungschef wegen Drohungen eine kugelsichere Weste tragen. Das ist sehr ungewöhnlich für Kanada und auch für den 47-jährigen Trudeau, der in den Parlamentswahlen am Montag um seine politische Zukunft kämpft. Derzeit gehen alle Prognosen davon aus, dass er höchstens eine Minderheitsregierung bilden kann. Für eine Mehrheitsregierung bräuchte er mindestens 170 der 338 Mandate im Parlament.

Noch vor vier Jahren errang der umgängliche Politiker einen Erdrutschsieg für seine Liberale Partei. Heute schließen Experten nicht aus, dass sein Rivale, der eher blasse konservative Oppositionsführer Andrew Scheer, Kanadas neuer Premierminister werden könnte. In den jüngsten Erhebungen liegen Scheer und Trudeau Kopf an Kopf. Das ist ein enormer Popularitätsverlust für den einstigen Hoffnungsträger. Dabei kann Trudeau zahlreiche Erfolge vorzeigen: Der Wirtschaft Kanadas geht es gut. Trudeau gelang es auch, unter äußerst schwierigen Bedingungen einen neuen Freihandelsvertrag mit den USA auszuhandeln. Er setzte die versprochene Legalisierung von Marihuana um und erhöhte die Kinderzulagen für einkommensschwache Familien drastisch. Zumindest verbal bot er dem US-Präsidenten Donald Trump mutig die Stirn.

Progressiv nur in Worten

Trotzdem sind viele Kanadier von ihm enttäuscht. Er führte die versprochene Wahlreform zugunsten eines Proporzsystems nicht durch und tat zu wenig für die Indigenen Kanadas. Trudeau verärgerte die Anhänger fossiler Rohstoffe und Umweltbewusste gleichermaßen. Zwar trieb er im Zeichen der Erderwärmung die Einführung einer CO2-Steuer voran. Andererseits erwarb seine Regierung die umstrittene Trans-Mountain-Ölpipeline für umgerechnet 3,6 Milliarden Euro. Trudeau sei progressiver in seinen Reden als in seinen Taten, sagt Politikprofessor Emmett MacFarlane von der Uni Waterloo: "Damit haben vor allem Linke Probleme."

Trudeaus strahlendes Image verblasste, als ihn die Ex-Justizministerin Jody Wilson-Raybould beschuldigte, sie in einem mutmaßlichen Korruptionsfall um die Firma SNC Lavalin unter Druck gesetzt zu haben. "Diese Geschichte hat die öffentliche Meinung gegen ihn eingenommen", sagt MacFarlane. Dass Trudeau vor fast 20 Jahren auf einem Kostümfest als Aladdin sein Gesicht einschwärzte, hat dagegen laut Umfragen eigentlich nur seine Gegner empört.

Klimawandelleugner

Den 40-jährigen Andrew Scheer plagen allerdings auch Imageprobleme. Der konservative Politiker aus der Prärieprovinz Saskatchewan hat zu verbergen versucht, dass er neben dem kanadischen auch einen US-Pass besitzt. Der gläubige Katholik ist ein Abtreibungsgegner, auch wenn er behauptet, dass er das Thema ruhen lassen wird. Er glaubt nicht an den Klimawandel und lehnt gleichgeschlechtliche Ehen ab.

Noch weiter rechts im politischen Spektrum steht die neugegründete People's Party, die jedoch kaum ins Gewicht fällt, im Gegensatz zur Grünen Partei, die davon profitierte, dass der Klimawandel ein wichtiges Wahlkampfthema war. Noch stärker profilieren konnte sich die linke Neue Demokratische Partei. Sie gewann vor allem dank ihres Parteivorsitzenden Jagmeet Singh, eines Turban tragenden Sikh, deutlich an Popularität. Singh hat sich widersprüchlich dazu geäußert, ob er mit den Liberalen unter Umständen eine Koalitionsregierung bilden würde.

USA als Herausforderung

Diese Parlamentswahlen werden in den bevölkerungsreichsten Provinzen Ontario und Québec entschieden. In Québec muss sich zeigen, wie viele Stimmen die Separatistenpartei Bloc Québécois den Liberalen wegnehmen kann. Trudeau wirbt mit noch mehr Maßnahmen gegen die Erderwärmung, schärferen Bestimmungen für den Schusswaffenbesitz und warnt vor Ausgabensenkungen der Konservativen.

Prominente Unterstützung erhielt er vom ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama. Wer immer die Wahlen gewinnt, muss sich indes mit einem anderen US-Präsidenten herumschlagen: Donald Trump dürfte wahrscheinlich die größte Herausforderung für die kanadische Regierung bleiben. (Bernadette Calonego aus Vancouver, 21.10.2019)