Der Herbst kippt langsam, bedächtig, aber unerbittlich von golden in Richtung verrottend. Das Laub entwickelt dieses Odeur, das man sich auch an nicht verkehrsberuhigten Grüften vorstellen könnte. Marke vitaler Wiedergänger: ein wenig nach Verfall und Moder und ein Schuss Schimmelpilz und widerspenstig aufflackernde Lebenslust.

Dieser Geruch ist nicht nur abstoßend, sondern auch heimelig; es riecht nach faulenden Blättern, aber auch nach der frischen Luft eines kühlen Herbstspaziergangs. Dieser Geruch, an den man sich gern erinnern wird, wenn man aus dem Nebel heimkehrt und sich einen schwarzen Tee mit warmer Milch zubereitet. Mit zwei, drei Stückchen bernsteinfarbenen Kandiszuckers. Man will sich die Dunkelheit versüßen und das Klamme, das in die Glieder fährt. Das Ticken der Uhr.

Welle des Lebenszerrinnens

Jeden Abend wird es schneller dunkel, jeden Tag rückt der November näher, Allerheiligen, Trauer und Andacht, dann Weihnachten und Silvester, jeden Tag läuft das alte Jahr durch die Finger, und man macht sich Hoffnungen für das kommende.

Und wenn die Welle dieses Lebenszerrinnens endgültig im Bewusstsein angekommen ist, dann schließt man kurz die Augen, nippt am süßen Tee, spürt seiner Wärme nach. Und hält den Nebelgedanken den kommenden Frühling entgegen. Junge Hasen und Schmetterlinge. Knospen, die in Blütenräusche auszubrechen versprechen. Und das Leben geht weiter. Tag für Tag. (Julya Rabinowich, 20.10.2019)

Die Tage werden kühler und grauer.
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