Bild nicht mehr verfügbar.

Diese Demonstrantin präsentiert der Regierung noch eine sarkastische To-do-Liste: Andere verlangen längst den Abtritt der herrschenden politischen Elite. Zumindest Premier Saad Hariri erwog den Rücktritt.

Foto: AP / Hussein Malla

Beirut bereitete sich am Sonntag auf einen möglicherweise dramatischen Wochenbeginn vor: Am Montag läuft das von Premier Saad Hariri seinen Koalitionspartnern gesetzte Ultimatum von 72 Stunden, sein Reformprogramm mitzutragen, aus. Deren Obstruktion sei am politischen Stillstand und wirtschaftlichen Niedergang schuld, sagt Hariri und droht mit Rücktritt. Seit fünf Tagen wird im Libanon landesweit protestiert.

Unzufriedenheit und Demonstrationen sind im Libanon nichts Neues. Die Müllbeseitigung und die schlechte Infrastruktur sind ständige Ärgernisse, dazu kamen zuletzt eine akute Zahlungskrise und die schockierende Überforderung des Staats beim Löschen saisonaler Waldbrände. Das Fass zum Überlaufen brachte am Donnerstag die Einführung neuer Steuern unter anderem auf Nachrichtendienste in einem Land, in dem das Telefonieren ohnehin schon teuer ist. Von einer "Whatsapp-Revolution" ist deshalb die Rede.

Dass diese Steuer schnell zurückgezogen wurde, brachte die Menschen nicht mehr von den Straßen weg. Das Neue dabei ist, dass bei den Protesten die konfessionellen Loyalitäten aufgehoben scheinen. Gemeinsam wird unter dem Zeichen der libanesischen Fahne gegen die gesamte politische Elite demonstriert, auch die jener Gruppe, der man selbst angehört.

Bereits als Hariri sich am Freitag via TV an die Öffentlichkeit wandte, hatten manche seinen Rücktritt erwartet. Die Meinungen dazu sind in seiner breitgefächerten Regierung geteilt: Die bei den vergangenen Wahlen in Mai 2018 gestärkte Christenpartei von Samir Geagea (Forces Libanaises) hat bereits ihre vier Ministerabge zogen, auch Drusenführer Walid Jumblat (Progressive Sozialisten) drängt Hariri zum Gehen. Ganz anders sehen das die schiitische Hisbollah und die Patriotische Bewegung von Staatspräsident Michel Aoun, die nun von seinem Schwiegersohn, Außenminister Gebran Bassil, geführt wird.

Hisbollah will durchhalten

Diese unterschiedlichen Positionen fußen auf der gleichen Annahme, nämlich dass der Sturz Hariris nur der erste Schritt zu einer Neuordnung der Staatsspitze wäre. Geagea würde wohl selbst gern Präsident werden. Der Hisbollah hingegen ist die jetzige Konstellation sehr recht. Aoun ist mit der Hilfe der Hisbollah Präsident geworden, Geagea hat gute Beziehungen zu Saudi-Arabien.

In manchen Slogans verlangen die Demonstranten tatsächlich nicht nur einen Regierungswechsel, sondern den Abtritt des gesamten Triumvirats an der Spitze der libanesischen Konkordanzdemokratie. Darunter versteht man die Verteilung der Spitzenposten nach Konfessionen: ein maronitischer Christ ist Präsident (Aoun), ein Sunnit Premier (Hariri) und ein Schiit Parlamentspräsident, Nabih Berri, seit 1992 im Amt.

Die Menschen haben die politisch-konfessionelle Quotenaufteilung, die ihre Probleme nicht lösen kann, nicht nur prinzipiell satt. Sie sehen, dass das System die Korruption fördert, denn Ämter und Ministerien werden vergeben wie Pfründe. Dazu kommt die Vererbung der Politikerkarrieren in Familien. Wie ein radikaler Systemwechsel vonstattengehen könnte, ohne dass der Libanon zuerst einmal ins totale Chaos versinkt, weiß jedoch niemand. Allein schon mit dem Rücktritt Hariris sind Destabilisierungsängste verbunden, es ist völlig unklar, wer nachrücken könnte.

Die aktuelle Regierung gibt es erst seit Jahresbeginn, nach den Wahlen von Mai 2018 – den ersten seit 2009 – war die Regierungsbildung besonders schwierig und langwierig. Ansporn zum Kompromiss war letztlich bereits die prekäre finanzielle Lage des von Moody’s auf B3 abgewerteten Landes. Beirut kann auf die bei einer Geberkonferenz in Paris 2018 versprochenen Hilfsgelder nur hoffen, wenn es einigermaßen stabile politische Verhältnisse gibt.

Ein schwieriges Jahr

Aber das Jahr verlief schwierig: Die erhoffte Heimkehr der syrischen Flüchtlinge zieht nicht an, der steigende US-Sanktionsdruck gegen die mit dem Iran verbündete Hisbollah macht dem gesamten Bankensektor zu schaffen. Dazu kam eine innenpolitische Krise im Sommer, ausgelöst durch einen (auch mit Gewalt ausgetragenen) Streit der beiden Drusenparteien LDP (Libanesische demokratische Partei) und Jumblats PSP, der weitere politische Kreise zog. Wochenlang waren nicht einmal Regierungssitzungen möglich.

Saad Hariri, der Sohn des 2005 ermordeten Mehrfachpremiers und Business-Tycoons Rafik Hariri, ist politisch schon längst angeschlagen. 2017 führte die saudische Unzufriedenheit über seinen angeblich laschen Kurs der Hisbollah und deren Sponsor, Iran, gegenüber zur "Kidnapping"-Episode. Hariri wurde in Saudi-Arabien festgehalten, Kronprinz Mohammed bin Salman wollte ihn zum Rücktritt zwingen. Auch sein Bauimperium in Saudi-Arabien ist seitdem zusammengebrochen.

Zuletzt wurde auch noch bekannt, dass er einem südafrikanischen Model, mit dem er ein Verhältnis hatte, 16 Millionen Dollar gezahlt hatte. Damit brach er zwar keine Gesetze. Aber angesichts der finanziellen Probleme seines Landes ist es ein Image-Desaster. (Gudrun Harrer, 20.10.2019)