Syrische Kurden mit einer Flagge der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG beobachten den Abzug der US-Streitkräfte von ihrer Basis in der nordsyrischen Stadt Tal Tamr.

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Ras al-Ain – Während die USA begonnen haben, ihre Truppen in den Irak zu verlegen, hat US-Verteidigungsminister Mark Esper am Montag angekündigt, dass vorerst nicht alle US-Truppen aus den syrischen Kurdengebieten abgezogen werden – vielmehr sollen kleine Einheiten in der Nähe von Ölfeldern stationiert bleiben. Zusammen mit dem bisherigen Alliierten, den Demokratischen Kräften Syriens (SDF), solle verhindert werden, dass die Ölvorkommen in die Hände der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) oder anderer Kräfte fallen. Eine Entscheidung, ob diese US-Einheiten länger stationiert bleiben oder später auch abgezogen werden, ist laut Esper bisher nicht gefallen.

Indessen haben sich die kurdischen Einheiten vollständig aus der nordsyrischen Grenzstadt Ras al-Ain zurückgezogen. Die kurdisch dominierten SDF vermeldeten am Sonntag den Abzug ihrer Kämpfer, die Türkei bestätigte die Angaben. Ein AFP-Reporter beobachtete, wie ein Konvoi aus dutzenden Fahrzeugen die Stadt verließ. Mit der Türkei verbündete syrische Rebellen erklärten jedoch, der Abzug sei noch nicht abgeschlossen.

Waffenruhe läuft am Dienstag um 21 Uhr aus

Der Abzug der SDF aus Ras al-Ain war Bestandteil der am Donnerstag zwischen den USA und der Türkei ausgehandelten Vereinbarung über eine fünftägige Waffenruhe in Nordsyrien. Die Kampfpause soll den YPG-Kämpfern den Abzug aus einer geplanten "Sicherheitszone" an der türkischen Grenze erlauben. Am Dienstagabend um 21 Uhr läuft die Feuerpause aus.

Zur Errichtung dieser Zone soll vorerst ein 120 Kilometer langer Streifen Land an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien eingenommen werden, der anschließend auf eine Länge von 444 Kilometern ausgedehnt werden soll, erfuhr die AFP am Montag aus türkischen Militärkreisen. Dabei strebt Ankara an, dass die "Sicherheitszone" rund 30 Kilometer tief in das syrische Staatsgebiet hineinragt.

Konvoi mit mehr als 50 Fahrzeugen

Der Konvoi mit kurdischen Kämpfern und Verletzten, der Ras al-Ain am Sonntag verließ, bestand nach Angaben eines AFP-Korrespondenten aus mehr als 50 Fahrzeugen, darunter Krankenwagen. Der Konvoi erreichte später die Stadt Tal Tamr südlich von Ras al-Ain.

Die SDF hatten die türkische Regierung am Samstag beschuldigt, die vereinbarte Waffenruhe nicht einzuhalten und den Abzug ihrer Kämpfer aus Ras al-Ain zu blockieren. Die Türkei wies dies zurück und warf der YPG-Miliz ihrerseits zahlreiche Angriffe vor. Am Sonntag wurde nach Angaben Ankaras ein türkischer Soldat bei einer "Aufklärungs- und Überwachungsmission" in der Region um Tal Abjad getötet.

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Derweil haben die USA mit der Verlegung ihrer Streitkräfte aus Syrien in den Irak begonnen. Mehr als 100 Fahrzeuge kamen am Montag in der nordirakischen Provinz Dohuk in der autonomen Region Kurdistan an, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Mitarbeiter vor Ort. Der Konvoi passierte laut Medienberichten den Grenzübergang Faysh Khabur unweit der türkischen Grenze über den Tigris in die Kurdengebiete im Nordirak. Ein Video der kurdischen Nachrichtenseite Hawar News zeigte, wie Menschen in der nordsyrischen Stadt Kamishli gepanzerte Fahrzeuge der US-Armee mit Kartoffeln beschmeißen und die Soldaten beschimpfen.

US-Truppen im Irak angekommen

Die US-Truppen hatten in den vergangenen Tagen bereits drei andere Truppenstützpunkte aufgegeben. Die US-Regierung hatte am 14. Oktober, fünf Tage nach dem Beginn einer türkischen Offensive gegen die YPG, den Rückzug von rund tausend US-Soldaten aus dieser Region angekündigt. Schon am 7. Oktober setzte der Abzug von US-Soldaten ein.

Laut einem Bericht der "Welt am Sonntag" richtete die Nato wegen der türkischen Offensive einen Krisenstab ein. Die Taskforce solle sich mit dem türkischen Militäreinsatz und seinen möglichen Folgen beschäftigen.

Die Türkei habe sich bei einer Sitzung der 29 Nato-Botschafter bereiterklärt, die Nato-Partner laufend über Angriffe, Flüchtlingsbewegungen und Schäden in dem Kampfgebiet zu unterrichten, hieß es in dem Bericht. Außerdem habe Ankara klargemacht, dass die Angriffe im Norden Syriens bis in die erste Novemberhälfte hinein fortgeführt werden sollten.

Nordatlantikrat berät über türkischen Angriff

Nach Informationen der "Welt am Sonntag" machten in der Sitzung des Nordatlantikrates vor allem Deutschland, Frankreich, Albanien, Island, Belgien und Luxemburg klar, dass Ankara von ihnen "keine Unterstützung" im Zusammenhang mit der Offensive in Nordsyrien erwarten könne. Daher könne die Türkei auch im Fall eines Gegenangriffs aus Syrien auf türkisches Gebiet und einer Anfrage an die Nato nicht mit Beistand nach Artikel 5 rechnen.

Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) bezeichnete den türkischen Militäreinsatz am Sonntag als Verstoß gegen das Völkerrecht. "Wir glauben nicht, dass ein Angriff auf kurdische Einheiten oder kurdische Milizen völkerrechtlich legitimiert ist oder auch legitimierbar ist", sagte Maas in der ZDF-Sendung "Berlin direkt". "Wir werden alles daran setzen, dass diese Waffenruhe nicht nur fünf Tage hält, sondern dass sie länger andauert und damit die Invasion zunächst einmal gestoppt wird."

Sollte die Türkei ihren Militäreinsatz in Nordsyrien fortsetzen, könnte Deutschland auch eine Einschränkung der Exportkredit-Bürgschaften prüfen, allerdings wolle man derzeit die Chance nutzen, dass aus der geltenden Waffenruhe ein dauerhafter Waffenstillstand werde, sagte ein Sprecher des Außenministeriums am Montag. Die staatlichen Ausfallbürgschaften sollen das Risiko deutscher Firmen im Auslandsgeschäft verringern und sind deshalb ein Instrument der Wirtschaftsförderung. (APA, red, 21.10.2019)