Nach Angaben des neuen Chefs fliegen Leute, die sich daneben benehmen, mittlerweile deutlich schneller raus.

Foto: AFP

Die Datingapp Tinder ist zu einem Phänomen geworden. Gerade bei Menschen unter 25 Jahren ist das Programm für Beziehungsanbahnungen und Techtelmechtel per "Wisch" nach wie vor ein Renner. Und sie liegt weiterhin im Trend. In den USA findet sich die Mehrheit der Paare mittlerweile nämlich online.

Eine Plattform zu betreiben, deren App 300 Millionen mal installiert wurde und die fünf Millionen zahlende Kunden hat, ist freilich auch eine Herausforderung, was auch mit den Nutzern selbst zu tun hat. Beleidigungen, Nachstellung und andere negative Erfahrungen werden immer wieder berichtet. Gegen solche Entwicklungen will man strenge und schnelle Maßnahmen setzen, sagt Elie Seidman gegenüber dem Guardian. Er hat im vergangenen Jahr den Chefposten beim Verkupplungsgiganten übernommen.

Kein geheimer Schönheitswettbewerb mehr

Seidman bringt einige Erfahrung mit. Zuvor leitete er OkCupid, eine der populärsten Datingplattformen der Nullerjahre. Er will Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. So vergab Tinder einst etwa geheim Punkte an seine Nutzer in einem an Schach angelehnten Elo-System. Diese basierten wiederum auf Tinders eigenen Kriterien darüber, was jemanden mehr oder weniger attraktiv macht. Wer öfter von "attraktiven" Nutzern gemocht wurde, stieg in der Rangliste auf, wer bei als "weniger attraktiv" eingeschätzten Mitmenschen punktete, verlor Plätze.

Ein System, das an das Büroklima bei Tinder in den frühen Tagen der App erinnert haben soll. Die Gründer des Unternehmens streiten sich bis heute vor Gericht über Vorwürfe sexueller Belästigung und Kursmanipulation. Diese Art und Weise der Bewertung sei laut Seidman ein Fehler gewesen. Stattdessen spielt für die Partnervorschläge der App nun primär die Häufigkeit der Verwendung eine Rolle. Gefolgt von anderen, teils vom Nutzer festgelegten Kriterien wie sexueller Orientierung, Alter und natürlich der eigene Standort.

Mehr als Dreiviertel der Nutzer sind männlich

Im Online-Dating selbst sieht Seidman, wenig überraschend, vor allem Vorteile. Es trage zu mehr Vielfalt bei. Eine Studie der Cornell University aus 2017 sieht einen Zusammenhang zwischen der steigenden Popularität der internetbasierten Verkupplung und der Zunahme an Ehen zwischen Menschen mit unterschiedlichem ethnischem Hintergrund. Eine Untersuchung aus 2013 weist verheirateten Paaren, die sich im Netz kennengelernt haben, im Schnitt aus, längere und glücklichere Ehen zu führen.

Dennoch plagt man sich bei Tinder mit Problemen, denen sich auch andere Plattformen häufig stellen müssen. Eines davon ist die Geschlechterverteilung, die das Marktforschungsunternehmen App Ape mit einem Männeranteil von mehr als 75 Prozent schätzt. Aus der Herrenwelt kommen oft Beschwerden, ignoriert oder beleidigt zu werden, wenn sich Kontakt zu einer Nutzerin ergibt. Gleichzeitig sind es vor allem sie, die Gebrauch von kostenpflichtigen Optionen wie Tinder Plus und Tinder Gold machen, mit denen man das eigene Profil in der eigenen "Zielgruppe" besonders oft oder prominent anzeigen lassen kann. Zuletzt musste Tinder hier einen Streit über Altersdiskriminierung außergerichtlich beilegen, nachdem man älteren Männern für die gleichen Funktionen mehr verrechnet hatte.

Störenfriede sollen "so schnell wie möglich" rausfliegen

Frauen hingegen berichten von sexistischen Beschimpfungen, Drohungen und dem unerwünschten Versand von Penisfotos. Einen möglichen Grund dafür zeigt eine Untersuchung der Manchester Metropolitan University laut der heterosexuelle Männer sich enttäuscht fühlen würden, wenn eine Datingpartnerin in der Realität nicht so attraktiv sei, wie auf ihren Fotos und dies dann häufig als Freibrief für schlechtes Verhalten sähen.

Für den Umgang mit solchen Erfahrungen habe man eine "wirklich, wirklich, wirklich klare Vorstellung", beteuert Seidman. Dazu habe man einerseits Ratgeber in der App, die über zwischenmenschliche Basics aufklären, als auch "riesige Moderatorenteams mit KI-Hilfe", die eingreifen können. "Wenn du dich schlecht benimmst, wollen wir dich rauswerfen – und zwar so schnell wie möglich", so der Tinder-Chef.

Dabei habe man zuletzt auch Fortschritte erzielt. Es sei mittlerweile viel schwerer, mit Fehlverhalten länger auf der Plattform zu bleiben, als es etwa noch vor zwei oder drei Jahren gewesen sei. Konkrete Zahlen dazu nennt er allerdings nicht. Dabei spielt dem Unternehmen aber auch die allgemeine Entwicklung in die Hände. Viele User würden mit digitalen Medien aufwachsen, per Facetime mit Verwandten kommunizieren oder mit Freunden Fortnite spielen. Für sie seien Internetplattformen nicht mehr wie eine "alternative Realität", sondern normaler Teil des Alltags.

Verkupplung nach Netflix-Prinzip

Als nächstes will sich Tinder den Möglichkeiten für User annehmen, sich nach einem "Match" besser kennenzulernen und herauszufinden, ob man sich tatsächlich mag und nicht bloß attraktiv findet. Ein erster Versuch ist eine Videoreihe namens "Swipe Night", die im aktuellen Monat jeweils Sonntag fortgesetzt wird.

Die User sehen sie über die App an und können – ähnlich wie bei "Bandersnatch" von Netflix – per Abstimmung am Ende jeder Folge entscheiden, wie die Geschichte weitergeht. Anschließend schlägt ihnen die App andere Personen vor, die die gleiche Wahl getroffen haben. Damit will man eine gemeinsame Erfahrung und somit auch ein erstes Gesprächsthema schaffen. (red, 21.10.2019)