Geisterbahn der inneren Ängste: Raphaela Vogels überdimensionale Spinne im Kunsthaus Bregenz.

Foto: Raphaela Vogel, Kunsthaus Bregenz

Im Kunsthaus Bregenz stellte man Raphaela Vogel als jüngste Künstlerin vor, die den Bau je alleine bespielt hat.

Foto: Raphaela Vogel, Kunsthaus Bregenz

Videoarbeit von Raphaela Vogel: die Künstlerin auf einem Fels im Meer, gefilmt mit einer Drohne, dazu Musik. Soll man staunen oder doch schmunzeln über so viel hochgepeitschte Dramatik?

Foto: Raphaela Vogel

Drohnen werfen spinnenähnliche Schatten, die über einen Frauenrücken kriechen, doch das ist noch das geringste Übel. Der Horror der Arachnophobiker hockt überlebensgroß und im Begriff, sich zu häuten, mitten im Ausstellungsraum. Der Gedanke an Louise Bourgeois drängt sich auf – man kann ihn sich getrost schenken. Das archetypische Symbol für Angst und Weiblichkeit kommt hier nicht als surrealistisch überhöhte elegante Bronzeskulptur daher. Raphaela Vogels Spinne sieht eher so aus, als wäre sie aus einer Geisterbahn entlaufen.

Überhaupt fühlt man sich im Kunsthaus Bregenz des Öfteren in die schaurigen Ecken des Schaustellergewerbes versetzt. Was auch damit zu tun hat, dass Vogel selbst die Kulissen dafür baut. Aus herkömmlichen Bühnenbauelementen, Schienen und Stahlträgern entstehen rätselhafte raumgreifende Installationen: als Angsthöhle begehbar, wie das Berlinische Loch, das aus den ineinander verschobenen Tragwerken zweier Lagerzelte besteht, von denen eines am Boden verankert ist und das andere auf hölzernen Händen schwebt. Oder als spinnenartiges Stahlgerüst, in das Vogel ein Knäuel aus Puppen hängt.

In ihren Videos, in denen sie stets selbst auftritt, setzt die Berliner Künstlerin, Jahrgang 1988, häufig Drohnenkameras ein – und lässt sich etwa filmen, während sie akkordeonspielend auf einem Felsen im tosenden Meer steht. Ein 360-Grad-Effekt macht die Szene noch dramatischer, Wirbel entstehen, ständig verdreht und verzerrt sich die Perspektive, dazu singt Milva Ich hab' keine Angst.

Staunen und schmunzeln

Soll man staunen oder doch schmunzeln über so viel hochgepeitschte Dramatik? Die epische Wucht, mit der sich Vogel, die bei Peter Fischli an der Frankfurter Städelschule studiert hat, in seelische Abgründe stürzt, wischt am Ende manchen Zweifel weg.

Mit ihren Multimediainstallationen, die Abseitiges, Obsessives, Ängste und Dramen zu vielschichtigen, aus der persönlichen Erfahrung gespeisten Erzählungen verdichten, ist Vogel zum Shootingstar der deutschen Kunstszene avanciert.

Im Kunsthaus Bregenz stellte man sie als jüngste Künstlerin vor, die den Bau je alleine bespielt hat. Es ist vermutlich ungewollt, aber solche Zuschreibungen wirken, gerade im Kontext weiblichen Kunstschaffens, noch immer ein wenig problematisch. Passt dann also gut, dass es in Vogels Arbeiten auch um das lustvolle, manchmal groteske Unterwandern von Geschlechterstereotypen geht.

Dafür gibt es zwar stärkere Beispiele als die, die in Bregenz zu sehen sind. Aber es lässt sich im Erdgeschoß, wo Vogel gleich mit großer Geste agiert, zumindest erahnen: Zwei monumentale Bronzelöwen, deklariert als Sinnbilder von Macht und Männlichkeit, hängen kopfüber von der Decke, an ihren Nasenringen baumeln kugelförmige Lautsprecher.

Löwen, die Milva singen

Jetzt sieht es so aus, als kämen Schmerzensschreie statt stolzen Gebrülls aus den geöffneten Mäulern. Hören tut man aber etwas anderes, nämlich wieder einmal Milva, diesmal von Vogel selbst interpretiert, die mit dünner Stimme Hurra, wir leben noch singt.

Es ist offensichtlich, dass sich in inneren Zuständen auch gesellschaftliche Umstände spiegeln. Als eine Art Beleg dafür erhält Vogel in ihrer Bregenzer Schau mit dem Titel Bellend bin ich aufgewacht Gesellschaft von der deutschen Regisseurin, Feministin und 68er-Aktivistin Helke Sander, die in ihren wegweisenden Filmen das Politische im Privaten aufspürte. Aus der Serie Aus Berichten der Wach- und Patrouillendienste stammt der elfminütige Schwarz-Weiß-Film, in dem eine Frau samt zwei Kleinkindern einen Baukran erklimmt und von dort Flugblätter hinunterwirft, auf denen sie eine leistbare Wohnung fordert.

Vogel zitiert den Film auf ihre eigene, etwas abgedrehte Art, wenn sie selbst auf einen Kran klettert und sich mittels 360-Grad-Kamera filmt: Die Stahlkonstruktion wird zum kaleidoskopartigen Muster, durch das sich Vogel in die Höhe arbeitet, während aus den Boxen eine deutsche Umdichtung von Nina Simones Ain't Got No, I Got Life dröhnt. (Ivona Jelcic, 22.10.2019)