"Es geht um Grundsätzlicheres: Wir müssen vom Materialismus wegkommen", meint Roland Düringer. Sein neues Kabarettprogramm heißt "Africa Twinis".

Andrea Sojka

Die Kügelchen im Bart sind zwar passé, und auch sein Ausflug in die Realpolitik liegt weit hinter ihm. Für Konsumverweigerung als alternativen Lebensentwurf tritt er aber weiterhin ein. Nach seinem letzten Programm Der Kanzler macht Roland Düringer mit dem neuen Stück Africa Twinis nun wieder Bühnenkabarett. Zum Interview bestellt er Tee, auf dem Nebensitz liegt der Motorradhelm. Geht das zusammen? Düringer meint: Ja.

STANDARD: Haben Sie bei der letzten Nationalratswahl eine gültige Stimme abgegeben?

Düringer: Ja, habe ich. Meine Frau und ich schätzen Martin Balluch (Obmann des Vereins gegen Tierfabriken, Kandidat der Liste Jetzt, Anm.). Ihn wollten wir unterstützen.

STANDARD: Im Wissen, dass die Stimme vermutlich bedeutungslos sein wird?

Düringer: Ja, vollkommen bedeutungslos. Aber als Anerkennung für das, was dieser Mensch bis jetzt schon geleistet hat, war es ein symbolischer Akt.

STANDARD: Müssen sich die Wähler Ihrer Liste GILT damals genauso gefühlt haben?

Düringer: Der Unterschied ist, dass die Liste Jetzt wirklich den Anspruch hatte, in das System hineinzukommen, um etwas zu bewirken. Bei meinem Projekt war die Idee eine andere, nämlich dass diejenigen, die normalerweise nicht zur Wahl gehen oder ungültig wählen, eine Alternative haben und in einem eigenen Balken repräsentiert sind.

STANDARD: Welche Erfahrung haben Sie aus dem Projekt mitgenommen?

Düringer: Zunächst: Dass man nicht davon ausgehen kann, dass Nationalratswahlen dann stattfinden, wann sie stattfinden sollen, nämlich nach dem Ablauf einer Legislaturperiode. Denn mein Plan war eigentlich, dass ich mein Kabarettprogramm "Der Kanzler" spiele und danach das Politprojekt starte. Leider kam es dann umgekehrt. Aber Insgesamt hat mich nichts überrascht: Alles, was ich befürchtet habe, das dieses Ding ist, ist es.

STANDARD: Was ist denn dieses Ding?

Düringer: 2016 war bei meiner "Puls4"-Sendung "Gültige Stimme" der Werbeguru Luigi Schober zu Gast, der schon viele Parteien beraten hat. Bei mir hat er gesagt, er arbeitet gerade an der "Marke Kurz". Das hat für mich viel erklärt, worum es eigentlich geht. Er hat auch gesagt, dass ich eine Marke sei, weswegen es mir plausibel schien, das Politprojekt zu versuchen. Was ich erkannt habe, ist, dass in der Politik alles nur Show ist. Und wer kann besser in einem Showprogramm zur Geltung kommen als jemand, dessen Job das ist.

STANDARD: Aber für Sie war die Show ja schnell zu Ende.

Düringer: Angenommen, ich hätte eine Fernsehsendung mit dem Titel Herr Düringer geht in die Politik gehabt, in der im Hauptabendprogramm zehn Folgen lang irgendein Politberater aus mir ein aalglattes, phrasendreschendes Irgendwas gemacht hätte – dann hätten wir vielleicht eine Chance gehabt. Aber um in diesem Spiel ernsthaft mitzuspielen, braucht es drei Sachen: die absolute Mörderidee, bei der letzten Wahl war es das Thema Migration, diesmal der Klimawandel; ein bekanntes Gesicht; und eine Kassa, wo du reingreifen kannst.

STANDARD: Was Sie Mörderidee nennen, könnte man auch Agenda-Setting nennen. Oder Themen, die die Wähler beschäftigen?

Düringer: Parteipolitik agiert nicht, sondern reagiert. Die "Mörderidee" als Gestaltungswille bleibt wohl ein frommer Wunsch. Aber generell: Das Leben der Menschen bestimmen ohnehin nicht die Politiker, sondern die ökonomischen Verhältnisse, die Konzerne, die haben wirklich das Sagen. Politik wird hinter verschlossenen Türen gemacht, und das, was nach außen getragen wird, ist das Showprogramm.

STANDARD: Also was tun? Ihre persönliche Wandlung vor einigen Jahren konnte man als erwachtes Ökobewusstsein verstehen ...

Düringer: Es war keine Wandlung, sondern eine Entwicklung. Ich habe erkannt, dass ich nicht mehr den Weg der Addition, sondern den Weg der Subtraktion gehen will. Ich stelle mir die Aufgabe, mit immer weniger immer zufriedener zu sein.

STANDARD: Aber warum dann nicht beispielsweise bei den Grünen engagieren? Stehen die nicht für den Weg der Subtraktion?

Düringer: 2017 standen sie für ungewollte Mandatssubtraktion. Die Grünen sind doch eine ganz normale, brave, etablierte, bürgerliche Partei geworden. Wer mitspielen will, muss sich eben anpassen.

STANDARD: Wie müsste denn eine Partei verfasst sein, dass Sie sie wählen könnten?

Düringer: Wir sollten uns vom Konzept der Partei als Interessenvertretung lösen und einen Schritt zu einer "Offenen Demokratie" wagen, in der wir alle zugleich Regierte und Regierende sind.

STANDARD: Also mit Adorno: Es gibt kein Richtiges im Falschen?

Düringer: Genau. Wir müssen darüber reden: Welches politische System wollen wir für unsere Kinder aufbauen? Und die einzige Möglichkeit, die ich sehe, ist – dank der heutigen technischen Möglichkeiten – die Leute mitbestimmen zu lassen.

STANDARD: Direkte Demokratie, wie sie die Piratenparteien auf der Agenda hatten?

Düringer: Ja, aber nicht nur sporadische Abstimmungen, bei denen erst recht wieder alle Wähler manipulierbar sind, sondern eine offene Demokratie, wo in Fachbereichen kompetente Bürger zunächst sechs Wochen online diskutieren, dann werden 100 Leute ausgelost und die treffen eine Entscheidung.

STANDARD: Aber trauen Sie der Technologie?

Düringer: Der Technologie ja, dem Menschen weniger. Ein iPhone ist ein technisches Wunder. Die Frage ist nur: Wer herrscht über diese Maschinen? Aktuell Konzerne im Silicon Valley. Und davon müsste man wegkommen.

STANDARD: Ihr neues Programm heißt "Africa Twinis", es geht um zwei Freunde, die eine Motorradtour nach Dakar unternehmen. Das klingt nicht sehr umweltbewusst.

Düringer: Sie wollen nach Dakar! Das heißt nicht, dass sie es auch tun. In dem Stück geht es nicht primär um Motorräder, sondern um Träume und Sehnsüchte, die Menschen haben. Die Frage, die ich stellen will: Warum leben so viele Menschen ein Leben, das sie eigentlich gar nicht leben wollen?

STANDARD: Weil sie es sich im Gegensatz zu Ihnen vielleicht nicht anders leisten können?

Düringer: Wenn das eigene Denken von einer materiellen Weltsicht geprägt wird, kann man zu diesem "logischen" Schluss kommen. Meine Africa Twinis scheitern aber nicht am Geld, sondern an ihrer Feigheit und Unselbstständigkeit. Mehr Geld bedeutet mehr Möglichkeiten, um zu konsumieren. Glauben Sie, dass wir ein Leben als Konsumenten leben wollen? Oder ist es nicht eher so, dass eine ganze Industrie, die "Bedürfnisindustrie", dafür sorgt, dass wir wollen, was wir wollen sollen?

STANDARD: Sie verzichten nicht auf das Motorrad, obwohl der Zeitgeist klar gegen den Verbrennungsmotor geht. Ein Widerspruch?

Düringer: Nein überhaupt nicht. Denn die ganze Diskussion ist heuchlerisch. Nur das Antriebssystem zu ersetzen und zu glauben, das rettet das Klima, ist eine Illusion. Wir sollten uns fragen: Warum gibt es so viel Mobilität? Weil die Menschen offenbar dort, wo sie sind, nicht mehr das finden, was sie brauchen oder wollen. Wir haben nicht das Problem des Antriebs, sondern des Mobilitätszwangs.

STANDARD: Ein E-Motorrad lehnen Sie ab?

Düringer: Für mich als Motorradfahrer ja. Denn beim Verbrennungsmotor geht es auch um die Beherrschung des Feuers, das sitzt sehr tief in uns drin. Ich habe E-Motorräder probiert, das ist seelenlos. Das ist, wie wenn bei heutiger Housemusik der Elektronikwastl spielt und nicht mehr der Typ mit der Gibson, wo es "crunch" macht.

STANDARD: Fridays for Future werden Sie damit keine Freude machen.

Düringer: Fridays for Future ist Marketing – es unterstützt die Agenda einer Industrie, die uns neue, vermeintlich grüne Produkte verkaufen will. Dem Planeten ist es scheißegal, ob wir mit einem Diesel- oder Elektroauto fahren. Beides braucht Unmengen an Energie in der Produktion. Es geht um Grundsätzlicheres: Wir müssen vom Materialismus wegkommen. Solange wir das nicht schaffen, werden wir nur das eine durch das andere ersetzen. Und alles wächst weiter, die Wirtschaft und die Müllberge. (INTERVIEW: Stefan Weiss, 22.10.2019)