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Sollten die Briten die Zollunion mit der EU verlassen, dürften im nordirischen Belfast die Grenzschranken zugehen.

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London/Brüssel/Wien – Rechtzeitig vor der Deadline zum Monatsende einigte sich der britische Premier Boris Johnson mit Brüssel auf ein Austrittsabkommen. Dafür musste er einen Teil seines Landes, Nordirland, wirtschaftlich herausschälen und dem europäischen Binnenmarkt überlassen. Was das im Detail bedeutet.

Frage: Wie würde der Brexit-Deal die Wirtschaftsräume verändern?

Antwort: Nach dem Brexit entsteht auf der irischen Insel die einzige Landgrenze zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Sowohl für Brüssel als auch für London ist es wichtig, diese historisch umkämpfte Grenze zwischen Irland und Nordirland offen zu halten, für Menschen wie Waren. Der Deal von Ex-Premierministerin Theresa May akzeptierte daher den sogenannten Backstop. Nach diesem Konzept wären die Briten im EU-Binnenmarkt verblieben, bis sie einen neuen Handelsvertrag mit Brüssel geschlossen hätten, der die irische Landgrenze offen hält. Johnsons Deal weicht an der Stelle ab: Er sieht vor, dass Großbritannien die Zollunion mit der EU auf jeden Fall verlässt, aber Nordirland weiterhin im europäischen Binnenmarkt bleibt. Somit muss niemand an der irischen Grenze kontrolliert werden. Gleichzeitig sollen die Nordiren keine Außenzölle zum Rest des Vereinigten Königreichs auferlegt bekommen. Sie hätten das beste beider Welten.

Frage: Die Quadratur des Kreises?

Antwort: Über die praktische Umsetzbarkeit wird heftig debattiert. Derzeit steht der politische Wille im Vordergrund. Die Idee ist einfach: Wenn ein nordirischer Konsument zum Beispiel ein Auto aus England kauft, soll er keinen Zoll zahlen. Wäre dieses Auto aber für jemanden in der Republik Irland oder für den Wiederexport auf das europäische Festland bestimmt, fallen Zölle an. Welche Destination Güter haben, soll in den Häfen Nordirlands überprüft werden. Britische Kontrolleure übernehmen das, EU-Beamten wären präsent. Eine gemeinsame Kommission soll das Regelwerk austüfteln.

Frage: Geht es nur um Zölle?

Antwort: Nein, Nordirland müsste auch bestimmte Regeln des Binnenmarkts befolgen, etwa bei der Produktsicherheit. Außerdem soll die Mehrwertsteuer auf Güter, aber nicht auf Dienstleistungen in Nordirland den EU-Regeln unterliegen. Damit will man verhindern, dass Händler auf einer Seite der irischen Insel unfaire steuerliche Vorteile hätten.

Frage: Ab wann gibt es Zollbalken?

Antwort: Eine Zollgrenze in der Irischen See soll es erst ab 1. Jänner 2021 geben. Bis dahin läuft eine Übergangsfrist. Binnen dieser Periode wollen London und Brüssel ein neues Handelsabkommen abschließen – erfahrungsgemäß ein mehrjähriger Prozess. Beide Seiten können sich daher darauf einigen, diese Verhandlungen noch auf zwei Jahre zu verlängern. Bis dahin ändert sich gar nichts. Die Briten zahlen Geld nach Brüssel, und alle Freiheiten gelten wie gehabt.

Frage: Würde ein Handelsvertrag die Nordirlandfrage erübrigen?

Antwort: Zum Teil schon. Die Zollgrenze zu Nordirland würde nur für Waren gelten, die nicht durch einen Vertrag zollfrei und nach gleichen Regeln gehandelt würden. Der Handelsvertrag der EU mit Kanada (Ceta) hat über 98 Prozent der Zölle abgeschafft und gegenseitige Regeln anerkannt. Allerdings zeigt die Erfahrung auch, dass viele Unternehmen lieber Zölle zahlen, als die bürokratischen Anforderungen in Ceta zu erfüllen. Nur mit einer echten Zollunion könnte man sich die Kontrollen in Nordirland ersparen, betont Harald Oberhofer, WU- und Wifo-Handelsexperte.

Frage: Ist so eine Zollunion noch möglich?

Antwort: Premier Boris Johnson ist strikt dagegen. Zumal die eigentlichen Verhandlungen darüber erst bevorstehen und die politischen Machtverhältnisse in London alles andere als stabil sind, ist eine Zollunion mit der EU weiterhin auf dem Tisch – so wie alles andere seit dem Brexit-Referendum vor drei Jahren. (Leopold Stefan, 22.10.2019)