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Darstellung der DNA-Doppelhelix. Eine neue Technik weckt Hoffnungen auf die Korrektur von Mutationen, die Krankheiten auslösen.

Illustration: Picturedesk/ALFRED PASIEKA

Unter den vielen bahnbrechenden Fortschritten, die die Molekularbiologie im 21. Jahrhundert vorweisen kann, rangiert Genome-Editing weit vorne. Der Begriff steht für Verfahren, die gezielte Veränderungen im Erbgut möglich machen. Damit können etwa Gene eingefügt, entfernt oder repariert werden – auch in lebenden Organismen. Das Potenzial solcher Eingriffe ist für die medizinische Forschung und die Landwirtschaft enorm. Ein Meilenstein auf dem Weg zu einem präzisen und universellen genetischen Werkzeug war die Entwicklung von CRISPR/Cas9, auch bekannt als die Gen-Schere.

Seit Wissenschafter diese Methode erstmals 2012 in Bakterien anwendeten, ist die Forschung dazu regelrecht explodiert. CRISPR wird heute in Laboren und allen erdenklichen Organismen weltweit eingesetzt. Nun gibt es abermals vielversprechende Neuigkeiten: Einem Team in den USA ist es gelungen, aufbauend auf der Gen-Schere eine neue Technik zu entwickeln, die unterschiedliche Arten der Genveränderung kombiniert: Die "Prime Editing" genannte Methode verspricht nicht nur besonders präzise und flexible Eingriffe in die DNA, sie dürfte auch deutlich seltener ungewollte Nebeneffekte verursachen. Das könnte neue Wege zur Behandlung von Erbkrankheiten eröffnen.

Wider unerwünschte Mutationen

Wie die Forscher um David Liu vom Broad Institute of Harvard and MIT in Cambridge, Massachusetts in "Nature" berichten, unterscheidet sich Prime Editing in wesentlichen Punkten von CRISPR, allen voran: Bei der neuen Methode werden nicht beide DNA-Stränge zerschnitten. Daher findet Liu die Scherenanalogie für die neue Technik nicht passend. Der Wissenschafter vergleicht Prime Editing lieber mit einem Textverarbeitungsprogramm: "Man kann damit gezielt beliebige Abschnitte im Erbgut suchen, löschen oder ersetzen."

Chemistry Shorts

Um zu verstehen, wie das funktioniert, lohnt es sich, noch einmal auf CRISPR/Cas9 zurückzukommen. Dieses System umfasst zwei Komponenten: Zum einen braucht es ein synthetisches RNA-Molekül, das an die Stelle im Erbgut bindet, die verändert werden soll. Dieses Molekül wird als Führungs-RNA bezeichnet, denn es gibt den Einsatzort der Gen-Schere an. Dort macht sich dann die zweite Komponente an die Arbeit, das Enzym Cas9. Dieses Enzym durchtrennt den DNA-Doppelstrang an der vorgegebenen Stelle, wodurch die zelleigenen Reparaturmechanismen aktiv werden und den Strang wieder zusammenfügen. Dabei können neue Gensequenzen eingebaut oder DNA-Bausteine entfernt werden.

In der Praxis hat sich das Durchtrennen der DNA-Stränge als sehr nützlich erwiesen, wenn Gene ausgeschaltet oder größere DNA-Segmente ausgetauscht werden sollen. Es gibt aber auch Nachteile: Sehr präzise Genänderungen vorzunehmen, wie es für die Behandlung der meisten Erbkrankheiten nötig wäre, ist auf diese Weise schwierig. Außerdem kommt es dabei häufig zu unerwünschten Nebeneffekten, sowohl am Zielort im Genom, der verändert werden soll, als auch an ganz anderen Erbgutstellen – Wissenschafter sprechen dabei von Off-Target-Effekten.

Schreiben statt schneiden

2016 stellten Liu und Kollegen ein neues System vor, sogenannte Baseneditoren. Diese Werkzeuge finden ihren Einsatzort genau wie CRISPR dank einer Führungs-RNA. Anstatt dort aber die DNA-Stränge zu zerschneiden, können Baseneditoren die DNA-Bausteine direkt umschreiben. Es treten dabei keine unbeabsichtigten Mutationen auf, allerdings ist der Anwendungsbereich dieser Technik deutlich eingeschränkt: Nicht alle Änderungen sind möglich, präzises Einfügen oder Löschen funktioniert nicht.

"Wir kennen heute mehr als 75.000 genetische Veränderungen beim Menschen, die mit Krankheiten in Verbindung stehen. Trotz der großen Fortschritte im Genome-Editing lässt sich der Großteil davon noch nicht effizient korrigieren", sagte Liu bei der Präsentation der neuen Studie. Geht es nach ihm und seinen Kollegen, könnte Prime Editing das künftig ändern. Wie bei den bereits etablierten Techniken kommt auch dabei eine Führungs-RNA zum Einsatz, um den richtigen Abschnitt im Erbgut zu identifizieren. Diese Komponente trägt aber auch die Vorlage für die gewünschte Veränderung der Gensequenz in sich. Den zweiten Arbeitsschritt übernehmen zwei Enzyme, die den DNA-Doppelstrang nicht durchtrennen, sondern die Vorlage aus der RNA in den gewünschten Abschnitt kopieren und gegen die bisherige Sequenz tauschen.

Warten auf Daten

Auf diese Weise ließen sich einzelne Basen präzise auswechseln, einfügen, löschen oder umschreiben, berichten die Forscher. Und das mit einem weitaus geringeren Risiko für Off-Target-Effekte als bei bisherigen Methoden. In ihrer Studie demonstrieren sie das Potenzial der Methode in vier verschiedenen menschlichen Zelllinien sowie in Nervenzellen von Mäusen. Insgesamt führten sie im Erstversuch rund 175 genetische Veränderungen durch. Zudem gelang es ihnen, die genetischen Ursachen zweier Erbkrankheiten, der Sichelzellanämie und der Tay-Sachs-Krankheit, in den Zellen effizient und mit nur wenigen Nebeneffekten zu korrigieren.

Liu betonte, dass Prime Editing noch ganz am Anfang stehen würde und viele weitere Studien und Verbesserungen notwendig seien, ehe ein therapeutischer Einsatz denkbar wäre. Nun sei es wichtig, das Werkzeug in möglichst vielen unterschiedlichen Zellen und Organismen zu testen, so der Wissenschafter: "Die Molekularbiologie ist ein dynamisches Forschungsfeld, daher habe ich die Hoffnung, dass bald viele Kollegen damit arbeiten werden." (David Rennert, 22.10.2019)