Frage: Warum kam es gestern wieder nicht zu einer Entscheidung?

Antwort: Kurz gesagt: weil sie verschoben wurde. Am Samstag stand die Sondersitzung des Unterhauses, die erste an einem Samstag seit 1982, ganz im Zeichen von Premier Boris Johnsons neuem Deal. Doch wurde die Entscheidung vertagt, weil der ehemalige konservative Abgeordnete Oliver Letwin einen Änderungsantrag durchgebracht hatte, der vorsieht, dass über den Deal erst abgestimmt werden kann, wenn alle für den Brexit notwendigen Gesetze durch die Instanzen gebracht worden sind. So wollte das House einen No Deal unter allen Umständen verhindern. Am Montag berief sich Speaker John Bercow auf die Geschäftsordnung und untersagte eine zweite Beratung über ein und denselben Antrag innerhalb einer Sitzungsperiode.

Frage: Worüber wird heute abgestimmt?

Antwort: Johnson muss nun den weit mühsameren Weg beschreiten, um das Austrittsgesetz durch das Unterhaus zu bekommen. Er muss dafür das gesamte Gesetzgebungsverfahren binnen einer Sitzungswoche durchpeitschen, um den von ihm mantraartig betonten Brexit am 31. Oktober "liefern" zu können. Nach der Premiere am Samstag will er zu diesem Zweck die zweite und dritte Lesung des EU-Austrittsgesetzes noch in dieser Woche durchbringen, also die Abstimmungen gewinnen. Ab 20 Uhr MESZ soll das Gesetz in zweiter Lesung abgestimmt werden, danach über den engen Zeitplan der Regierung. Hinterbänkler warten ungeduldig darauf, Johnsons Deal mit Änderungsanträgen zu versehen. Einige sind dabei dadurch motiviert, das Verfahren möglichst in die Länge zu ziehen.

Frage: Und was passiert, wenn Johnson sich doch durchsetzt?

Antwort: Noch am Montagabend rief der Premier die Parlamentarier auf, ihn in seinem Vorhaben zu stützen. "Wir verlassen die Europäische Union, aber wir werden immer Europäer bleiben", teilte der Premierminister mit. "Lasst uns den Brexit am 31. Oktober vollziehen." Ab Freitag soll dann das Oberhaus in einer Sondersitzung das Austrittsgesetz genehmigen. Verliert die Regierung heute aber auch nur eine der beiden Abstimmungen, ist der 31. Oktober als Austrittstermin praktisch nicht mehr zu halten und eine Verschiebung unvermeidbar. Außer natürlich die EU stellt sich quer: Dann kommt er doch noch, der No-Deal-Brexit.

Frage: Was sind denn diese Instanzen?

Antwort: Ein Gesetz muss, um Gültigkeit zu erlangen, dreimal im House of Commons, dem Unterhaus, sowie im House of Lords, dem Oberhaus, gelesen werden. Wird es von den Abgeordneten mit Aye angenommen, muss die Königin noch ihren Konsens aussprechen.

In London wird gegen den Brexit demonstriert – noch immer.
Foto: APA/AFP/TOLGA AKMEN

Frage: Wie steht die EU zu dem Wirrwarr?

Antwort: Der – nicht unterzeichnete – Brief mit der Bitte um eine Fristverlängerung ist in Brüssel termingerecht eingetroffen und angenommen worden. Er berate nun mit den Staats- und Regierungschefs über das weitere Vorgehen, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Dienstag. Die Entscheidung werde "sehr stark davon abhängen, was das britische Parlament entscheidet oder nicht entscheidet". Die EU müsse sich deshalb auf jedes Szenario vorbereiten. Er habe aber gegenüber Johnson klargemacht, dass "ein No-Deal-Brexit niemals unsere Entscheidung sein wird". Anders ausgedrückt: An der EU dürfte es nicht scheitern.

Frage: Könnte es bald zu Neuwahlen in Großbritannien kommen? Wenn ja: wann?

Antwort: Das wird allgemein angenommen. Nach dem 31. Oktober, ob mit vollzogenem Brexit oder ohne, dürften die Britinnen und Briten an die Urnen gerufen werden. Wenn der EU-Austritt verschoben wird, dürfte die Regierung recht bald schon die Abgeordneten im Unterhaus um die nötige Zweidrittelmehrheit für Neuwahlen ersuchen. Ein anderer Weg ist ein neues Gesetz, wo ein Datum für eine Neuwahl drinsteht. Dafür braucht Johnson nur eine einfache Mehrheit. Und der dritte, dramatischste Weg ist ein Misstrauensantrag des Premiers gegen seine eigene Regierung. Die Mehrheit dafür dürfte ihm selbst im volatilen Unterhaus sicher sein.

Frage: Und zu einem zweiten Referendum?

Antwort: Das spielt es nur, wenn der Brexit vorher verschoben wird. Experten halten eine Frist von mindestens 22 Wochen für notwendig. Ein zweites Referendum hätte wohl den gleichen Status wie jenes des Jahres 2016: nicht bindend. Ein sogenanntes "confirmatory referendum" hingegen wäre bindend und würde die Bürgerinnen und Bürger vor die Auswahl stellen, entweder einem bestimmten Brexit-Deal zuzustimmen oder dem Verbleib in der EU. Möglicherweise wäre No Deal eine dritte Option.

Frage: Könnte der Brexit noch abgesagt werden, frei nach dem Motto: außer Spesen nichts gewesen?

Antwort: Nur wenn es einen Regierungswechsel gibt. Technisch ist es bis eine Sekunde vor dem Brexit-Termin möglich, den Austrittsartikel 50 zu widerrufen. Bisher haben das aber nur die Liberaldemokraten für den Fall ihrer Regierungsübernahme angekündigt. Wahrscheinlich ist dies also nicht.

Frage: Wird wieder getickert?

Antwort: Sowieso! Seit 13 Uhr halten wir Sie heute in einem Liveticker auf dem Laufenden. (flon, 22.10.2019)