Als erstes deutsches Bundesland hatte sich Berlin im Juni zu der Maßnahme entschlossen.

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Berlin – Nach monatelangen Diskussionen hat der Berliner Senat am Dienstag den in Deutschland einmaligen Mietendeckel beschlossen. Weil die Wohnkosten in der Hauptstadt in den vergangenen Jahren stark gestiegen sind, friert die Rot-Rot-Grünen-Regierung die Mieten für fünf Jahre ein. Das soll für 1,5 Millionen Wohnungen gelten, die vor dem Jahr 2014 gebaut wurden. Das Gesetz soll rückwirkend ab 18. Juni 2019 gelten.

Der Mietendeckel umfasst auch Obergrenzen von maximal 9,80 Euro Kaltmiete je Quadratmeter, die sich nach Baujahr und Ausstattung der Wohnung richten. Der Preis darf bei Neuvermietungen nicht überschritten werden. Zum Vergleich: In Wien beträgt der Richtwert ohne Zuschläge 5,81 Euro/m2.

Bestandsmieten dürfen in Berlin künftig nicht mehr als um 20 Prozent über den Obergrenzen liegen. Andernfalls sollen Mieter eine Senkung einfordern können. Hierbei soll zusätzlich die Lage der Wohnung eine Rolle spielen. In Wien wurden die Lagezuschläge in Gründerzeitviertel gerichtlich verboten.

Mieten einfrieren

Konkret sollen die Mieten in Berlin bis Ende 2021 eingefroren werden. Danach könnten sie jährlich um 1,3 Prozent erhöht werden, um die erwartete Inflation auszugleichen. Auch Maßnahmen zur Modernisierung sollen weiter möglich sein, dürfen aber ohne vorherige Genehmigung nur in der Höhe von einem Euro pro Quadratmeter umgelegt werden. Neubauten sollen von der Regelung aber ausdrücklich ausgenommen werden, um den Wohnungsbau nicht abzuwürgen. Die Berliner CDU nannte den Mietendeckel "Populismus". Klagen bis zum Verfassungsgericht wurden bereits angedeutet. Doch Wohnungsexperten in Wien gehen davon aus, dass der Mietendeckel in Berlin auch vor dem Höchstgericht halten sollte, zumal der Europäische Gerichtshof bei Wohnungsnot eine Obergrenze erlaube und das Eigentumsrecht nicht gefährdet sehe. Anders sieht man den mit einem Euro begrenzten Sanierungszuschlag in Berlin: Dieser sei eindeutig zu gering für Sanierungsmaßnahmen und könnte rechtlich nicht halten.

Die großen deutschen Immobiliengesellschaften, allen voran Deutsche Wohnen und Vonovia, mussten angesichts des Mietendeckels bereits massive Kursrückgänge hinnehmen. Der deutsche Immobilienverband sprach von einer Rückkehr "zur sozialistischen Wohnungspolitik" und prophezeit jahrelange Rechtsstreitigkeiten und Verunsicherungen. Dies werde den Berliner Wohnungsbau "lahmlegen".

Die Situation in Berlin ist in jeder Hinsicht einzigartig: Westberlin wurde finanziell jahrzehntelang von Bonn unterstützt. Zu Westberliner Zeiten, in den späten 1970er- und beginnenden 1980er-Jahren – der Wohnraum war auch damals knapp -, wurden massenhaft Altbauten entmietet, um diese abreißen und neue Häuser bauen zu können. Es waren Studenten, Aussteiger, Alternative, Punks, westdeutsche Wehrflüchtige und Totalverweigerer, die die leer stehenden Häuser besetzten – und anfingen, sie wieder instand zu setzen. Manche Besetzungen wurden zunächst geduldet, andere geräumt.

Hippe Stadt

Dann kam die Wende und mit ihr viele alte ostdeutsche Plattenbauten – in einem desolaten Zustand. Anders als heute war Berlin eine Stadt, die mit der Abwanderung der Bevölkerung kämpfte. Als Reaktion darauf begann das klamme Berlin den öffentlichen Wohnungsbestand an US- und deutsche Immobilienfonds zu verkaufen. Das rächte sich, weil Berlin zu einer der hippsten Städte Europas wurde und zugleich die Bevölkerungszahlen wie auch die Mieten massiv stiegen. Die Immobilienfonds machten gute Geschäfte: Sie sanierten die Wohnungen und verdienten bei jeder Neuvermietung ordentlich Geld – bis heute.

Seither blicken die politischen Entscheidungsträger in Berlin neidisch nach Wien, wo es eine Wohnbauförderung gibt und über 60 Prozent des Wohnungsbestands preisgeregelt sind. Sei es durch gemeinnützige Wohnbaugesellschaften mit ihren kostendeckenden Mieten, den Gemeindewohnungen oder Wohnungen, die generell dem Mietrecht unterliegen. Und es wird gebaut. Berlin habe im Unterschied zu Wien weder das Geld noch die Strukturen wie die Gemeinnützigen, um den notwendigen Wohnungsneubau anbieten zu können, sagte Sozialbau-Vorstand Bernd Rießland zum STANDARD. (Claudia Ruff, 22.10.2019)