Bester Stahl in hoher Qualität. Simulationen tragen wesentlich zur Entwicklung und Optimierung der Stahlproduktion bei.

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Im Hochofen ist die Hölle los. Bei Temperaturen von bis zu 2000 Grad Celsius wird aus Eisenerz mithilfe von Koks, Heißluft und ein paar weiteren Betriebsmitteln Roheisen. Im Erz liegt das Eisen zumeist in Sauerstoffverbindungen, also Oxiden, vor, das durch eine chemische Reaktion mit Kohlenstoff und Kohlenmonoxid reduziert wird – der Sauerstoff wird also entzogen.

Im Roheisen verbleibt ein Kohlenstoffanteil von wenigen Prozent, der bei der anschließenden Stahlproduktion verringert wird. Aus dem spröden Hochofenprodukt wird leicht bearbeitbarer Stahl.

In die kaminartige Konstruktion des Hochofens werden von oben Erz, Koks und Betriebsmittel zugeführt, von unten wird heißes Gas eingeblasen. Der Prozess ist grundsätzlich gut erforscht und wurde in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend optimiert.

Komplexität im Hochofen

Möchte man den Vorgang jedoch in den kleinsten Details verstehen, sieht die Sache anders aus. Die mannigfaltigen Interaktionen zwischen Partikeln, Gasen und flüssiger Materie zeigen eine überwältigende Komplexität. Ein sehr hoch aufgelöster Blick auf all die physikalischen und chemischen Reaktionen ist kaum möglich. Messtechnik kann aufgrund der extremen Zustände im Hochofen nur in Randregionen Daten sammeln.

Hier schlägt die Stunde der Modellbildung und der Simulationen, die diese Informationslücke schließen soll – und die heute in allen Bereichen der Metallurgie eingesetzt wird.

"Die Methoden der Simulation werden zur Optimierung von bestehenden Anlagen genützt, speziell aber auch für Designstudien und die Auslegung neuartiger Prozesse. Bei der Entwicklung neuer Prozesse, die man beispielsweise aus Umweltschutzgründen anstrebt, kann man bereits vor dem Bau erster Anlagen Experimente ersetzen und viel Zeit und Geld sparen", erklärt Bernhard König, der den Bereich Simulation and Analyses im Forschungsinstitut K1-Met in Linz leitet, sein Tätigkeitsfeld.

K1-Met wird im Rahmen des Comet-Programms der Förderagentur FFG mit Mitteln des Wirtschaftsministeriums und des Verkehrsministeriums unterstützt.

Fest, gasförmig, flüssig

Die Wahl der Simulationswerkzeuge hängt von den physikalischen Gegebenheiten ab. Ein Kriterium dabei ist, ob man Prozesse darstellen will, in denen Partikel, fluide – also gasförmige oder flüssige – Aggregate oder eine Kombination davon eine Rolle spielen.

Dementsprechend sind die wichtigsten Werkzeuge die sogenannte Discrete Element Method (DEM), mit der im Grunde die Newton'schen Gesetze modelliert werden, und die Computational Fluid Dynamics (CFD), die das Verhalten von Gas- und Flüssigkeitsströmungen simuliert.

Würde man nun eine detaillierte Rekonstruktion aller Einzelprozesse in einem Stahlwerk verbinden, um die gesamte Produktroute abzubilden, wäre das zwar theoretisch möglich, aber kaum umsetzbar. Die Komplexität, die dadurch entsteht, würde die Rechner über Wochen und Monate beschäftigen.

"Wir können bei der Größe und Komplexität einer industriellen Anlage nie alle Phänomene im Detail berechnen, da wir sonst sehr lange auf ein Ergebnis warten würden. Deshalb versuchen wir, die Details im Kleinen genau zu untersuchen, um die Erkenntnisse dann in ein großes Modell einfließen zu lassen", erklärt König. Das Modell beinhaltet im Prinzip also eine Zusammenfassung der Einzelinteraktionen, ohne aber jeden Vorgang berechnen zu müssen.

Im Hochofen herrschen Temperaturen bis zu 2000 Grad. In dieser Umgebung verlässliche Messdaten zu sammeln ist schwierig.
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Analogien und Messdaten

"Wenn man das Anstoßen eines Newton'schen Pendels, bei dem eine Reihe von Kugeln an ihren jeweiligen Fäden hängt, mathematisch erfassen möchte, könnte man jeden einzelnen Kontakt zwischen den Kugeln, ihre Elastizität und die genauen Auftreffpunkte berücksichtigen, um am Ende den Ausschlag der letzten Kugel zu eruieren", sagt König.

Auf der anderen Seite könne man sich aber auch nur ansehen, wie das Ausschlagen der einen Kugel mit dem Anheben der anderen in Verbindung steht. "Ich kann ein Modell dazu erstellen, das letztendlich viel weniger Rechenzeit benötigt", sagt König.

Doch wie kommt man bei der Entwicklung der Modelle überhaupt zu Messdaten, wenn man durch die hohen Temperaturen kaum Daten sammeln kann? "Simulation muss als Begleiter industrieller Prozesse immer Hand in Hand mit ausgefeilter Messtechnik gehen", sagt König. Man kann in den Anlagen Proben entnehmen oder Prozesse im Kleinen experimentell nachbauen.

Zu Beginn der Modellentwicklung arbeite man aber mit Analogien: "Für erste Versuche greift man beispielsweise auf Wasser zurück, bei dem man hochauflösende Messsysteme verwenden kann. Mit den Werkzeugen der Fluiddynamik kann man das Wassermodell dann so skalieren, dass es Stahl ähnlich ist", schildert der Forscher.

"Wenn die Grundphase abgeschlossen ist, kommt man aber nicht umhin, die Ergebnisse direkt mit Daten einer realen Anlage abzugleichen." Die Temperaturmessungen außen am Hochofen sollten also mit dem Modell in Einklang zu bringen sein.

Echtzeitberechnungen

Die Ideen der Industrie 4.0, bei denen man von "digitalen Zwillingen" spricht, die die Prozesse abbilden, um bei Bedarf steuernd eingreifen zu können, haben neue Herausforderungen für die Simulation in der Metallurgie gebracht. "Um schnell reagieren zu können, benötigen wir Echtzeitberechnungen.

In einem bestmöglichen Detailgrad funktioniert das aber noch nicht. Hier muss man sich mit statistischen Methoden behelfen", erklärt König. Zudem sind mit Anwendungen der künstlichen Intelligenz, die in großen Datenmengen schnell Muster erkennen kann, neue Analysemöglichkeiten dazugekommen, die es auszuschöpfen gilt.

Es gibt also noch Möglichkeiten, wie man der "Hölle" im Hochofen mathematisch ein Stück näher kommen kann. (Alois Pumhösel, 24.10.2019)