Noch sind die Kontrollzonen im englischen Hafen Ramsgate leer. Schon bald könnten sich hier Waren aus der EU stapeln.

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Wien – Ein Lebensmittelhersteller importiert britisches Fleisch. In Österreich wird es zu einem Tiefkühlprodukt verarbeitet und wieder ins Vereinigte Königreich exportiert. Nun will er von der Wirtschaftskammer (WKO) wissen, wo, wann und wie viel an Zoll abgaben im Fall eines Brexits ohne Abkommen anfällt.

Viele heimische Unternehmen sind ähnlich besorgt, wie die volle Anmeldeliste bei der Brexit-Info-Veranstaltung der WKO am Dienstag in Wien nahelegt. Neben zigtausenden Exporteuren gibt es rund 250 österreichische Firmen, die direkt im Vereinigten Königreich eine Niederlassung haben. Zusammen erwirtschaften sie etwa 22 Milliarden Euro im Jahr und beschäftigten auf den Inseln 40.000 Leute – ein Engagement doppelt so groß wie in Frankreich oder Italien.

Schon jetzt habe das Brexit-Chaos hohe Kosten verursacht, sagt Christian Haring, Verantwortlicher für die Lieferketten bei dem steirischen Motorenentwickler AVL List. Weite Teile der britischen Autoindustrie halten Anfang November die Produktion an, um plötzliche Engpässe im Fall eines chaotischen EU-Austritts abzufedern. Für den Zulieferer AVL ist entscheidend, wie es mit der Branche weitergeht. "Wir folgen unseren Kunden weltweit," sagt Haring.

Der Druck steigt bereits. Lokale Konkurrenten profitieren vom fallenden Pfund im Sog der Brexit-Unsicherheit. Die Logistikkosten steigen. "Wenn sie jetzt noch etwas ins Vereinigte Königreich schicken wollen, fragen Sie lieber, wo sie es abstellen", rät Haring allen Exporteuren. Die Lager auf der Insel sind zum Bersten voll, aus Furcht, dass die Transportwege verstopf sein könnten.

Schlupfloch nach UK

Nach ersten Tumulten sollte sich Routine bei den Grenzkontrollen einstellen, sagt Zollexpertin Bettina Vogl-Lang vom Finanzministerium. Während andere Handelspartner Großbritanniens Personal aufstocken, muss man in Österreich jedoch den erwarteten Mehraufwand von zehn Prozent zu verzollender Waren mit der gleichen Mannschaft schupfen. "Wir werden uns nach der Decke strecken, wie immer", meint Vogl-Lang lapidar.

Für heimische Unternehmen würde aber nicht nur ein chaotischer Brexit ohne Abkommen zu Nachteilen führen. Selbst für den wahrscheinlichen Fall, dass die EU mit dem Vereinigten Königreich ein Handelsabkommen schließt, das Zölle weitgehend abschafft, entsteht ein bürokratischer Hürdenlauf: Firmen müssen nachweisen, dass ihre Waren auch hinreichend Ursprung in der EU haben. Ansonsten könnte etwa ein Händler japanische Waren zollfrei unter dem EU-Japan-Abkommen nach Europa bringen und gleich weiter unter dem neuen Abkommen mit dem Vereinigten Königreich zollfrei auf die Insel schiffen.

Exporteure, die bisher keine Erfahrung mit Drittstaaten hatten, sollten einen Zollberater anheuern, rät die Expertin. Wichtig sei auch ein erfahrener Partner in der Spedition.

Das neue Zollregime, wie es der vorliegende Brexit-Deal vorsieht, böte EU-Exporteuren aber auch ein Schlupfloch. Nach jetzigem Stand will London keine Einfuhren aus Nordirland kontrollieren. Auch die Landesgrenze auf der irischen Insel soll zollfrei bleiben. Händler hätten somit eine offene Route über Nordirland nach Großbritannien. Im Unterhaus sitzen kaum Zollexperten, meint Vogl-Lang. "Die haben das nicht geschnallt." Wahrscheinlich würde sich das rasch ändern.

Chancen in der Nische

Für etwas Optimismus sorgte der österreichische Wirtschaftsdelegierte in London, Christian Kesberg: Manche heimische Unternehmen könnten auch vom Brexit profitieren. Hiesige Hidden Champions, die in Nischen punkten, haben im Vereinigten Königreich oftmals wenig Konkurrenz. Die Mitbewerber sitzen eher im Euroraum wie in Deutschland oder in der Schweiz. Das schwächere Pfund birgt somit keinen Wettbewerbsnachteil. Wer eine Niederlassung im Vereinigten Königreich hat, wäre durch den erschwerten Zugang zum britischen Markt sogar vor Wettbewerbern aus dem Ausland geschützt.

Erich Wiesner, Geschäftsführer des oberösterreichischen Holzbauspezialisten Wiehag, kann ein Lied davon singen. Prestigeprojekte wie die moderne U-Bahn-Station im Londoner Canary Wharf kann keine lokale Firma bewerkstelligen. Auch Unsicherheit rund um Lieferketten hielte sich in Grenzen, meint Wiesner. Das Holz kommt fertig verarbeitet aus Österreich.

Aber der Brexit erfordere dennoch einiges an Vorbereitung: Da nicht klar ist, wie künftig Personal aus Österreich zu entsenden ist, hat die Wiehag bereits Bautrupps vor Ort angeheuert und "auf Holz" umgeschult. Die Nachfrage sei nämlich nicht eingebrochen, sagt Wiesner. Nächstes Projekt: eine Turnhalle für Premier Boris Johnsons Alma Mater Eton. (Leopold Stefan, 22.10.2019)