Hans Thaler hat als Zöllner an der Schweizer Grenze Dienst geschoben. Der Kärntner hat sich bis zum Abteilungsleiter hochgearbeitet und entwickelte in seiner Dienstzeit einen eigenen "Grenzerinstinkt".

Foto: Jutta Berger

Hans Thaler lebt einige Gehminuten von der Schweizer Grenze entfernt. In einem von drei so genannten Zollhäusern. Mehrfamilienhäusern, die 1938/39 für die Grenzschützer errichtet wurden. Hans Thaler erzählt, wie es vor der Grenzöffnung war und was sich seither verändert hat.

STANDARD: Wenn Sie heute an der Grenze unterwegs sind, spüren Sie die Grenze noch?

Hans Thaler: Grenze, das ist eine ganz schwierige Sache geworden. Obwohl die Schweiz nicht bei der EU ist und wir hier eine Außengrenze haben, wird ganz wenig kontrolliert. Es fehlt an Personal. Tagelang finden überhaupt keine Kontrollen statt. Der Finanzminister hat nichts für die Grenze übrig.

STANDARD: Ist das auf der Schweizer Seite anders?

Thaler: Sicher, die Schweiz macht gute Kontrollen. Die Schweizer schnappen immer wieder Personen, die illegal über die Grenze wollen. Und auch Schmuggelgut.

STANDARD: Was wurde früher, was wird heute geschmuggelt?

Thaler: Heute Rauschgift, Schwarzgeld und vieles andere, vor allem versuchen immer mehr Menschen, illegal über die Grenze zu kommen. Früher am häufigsten Zigaretten und Kaffee.

STANDARD: Gehen Sie heute noch Ihre früheren Touren an der grünen Grenze?

Thaler: Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht am Alten Rhein oder am Bruggerloch unterwegs bin.

STANDARD: Was fällt Ihnen dabei auf?

Thaler: Dass keine Grenzer mehr patrouillieren. Jeder kann über die Grenze, wo er will. Früher war die Grenze ein Filter. Heute können alle herein. Beispielsweise Einbrecherbanden aus Osteuropa. Die haben freie Fahrt. Das Bruggerloch war früher schon ein ganz neuralgisches Gebiet.

STANDARD: Warum, das ist doch ein harmloser Badeteich?

Thaler: Ja, aber neben dem Bruggerloch konnte ja jeder zu Fuß oder mit dem Fahrrad hinüberfahren. Sogar mit dem Auto haben sie es probiert. Wir haben Tag und Nacht unsere Kontrollgänge gemacht. Eine Tour hat vier, fünf Stunden gedauert. Immer wieder haben wir Personen aufgegriffen, die illegal über die Grenze gegangen sind.

STANDARD: Was haben die angestellt?

Thaler: Die meisten gingen einkaufen und hatten keinen Pass mit. Das war teuer, 100 Schilling Strafe mussten sie bezahlen. Ja, und geschmuggelt haben sie. Zigaretten, Kaffee, Zucker. Später dann Rauschgift, auch Schwarzgeld. Aber das Übliche waren Zigaretten und Kaffee. 25 Stück Zigaretten waren im Grenzgebiet erlaubt. Wenn man im Reiseverkehr, also außerhalb der Grenzzone unterwegs war, dann hat man 200 Stück mitnehmen dürfen.

STANDARD: Die Genussmittel waren in der Schweiz ja billiger.

Thaler: Billiger, und der Kaffee war hier Mangelware. Schmuggel hat sich aber nicht ausgezahlt. Die Zigaretten wurden ja beschlagnahmt, und dann musste man ja erst noch eine Strafe bezahlen. Hat einer Salz geschmuggelt, dann musste er es zurückbringen, manche haben es dann über der Grenze ausgeschüttet. Die Einfuhr von Kaffee war in den 1960er-Jahren lange Zeit auf den Mittwoch beschränkt, Mittwoch war der Kaffeetag für die Vorarlberger und die Deutschen.

STANDARD: Da kamen dann ganze Familien, um ihren Kaffeevorrat aufzufüllen?

Thaler: Mit der Familie Kaffee zu holen hat nichts genutzt. Die Einfuhr war nämlich auf ein halbes Kilo pro Familie, nicht pro Person beschränkt.

STANDARD: "Haben Sie was zu verzollen?", das war wohl die häufigste Frage Ihres Arbeitslebens?

Thaler: Nein, "Ihren Pass, bitte", das war der erste Satz. Und dann die Frage: "Was führen Sie mit an Waren?" Hätte man gefragt: "Haben Sie was zu verzollen?", hätten die Leute ja gar nicht gewusst, was sie antworten sollen. Die wenigsten wussten Bescheid, was verzollt werden muss und was nicht.

STANDARD: Und dann haben alle ehrlich geantwortet?

Thaler: Je nachdem, was sie gesagt haben, hat man ihnen geglaubt oder auch nicht. Dann hat man halt kontrolliert.

STANDARD: Wie merkt man, ob jemand lügt?

Thaler: Man hat so einen Grenzerinstinkt. Der sagt einem, ob einer was mithat oder nicht. Manche Leute sind recht nervös.

STANDARD: Aber die gelernten Vorarlberger Schweizfahrer waren doch nicht nervös?

Thaler: Ja, das stimmt. Man hat halt stichprobenweise kontrolliert.

STANDARD: Nach einem bestimmten Muster, so jeder Fünfte wird angehalten?

Thaler: Nein, eher nach Gefühl. Man winkt 10, 20 Autos durch, dann kontrolliert man wieder mehrere hintereinander. Ganz unterschiedlich. Das war jedem Beamten überlassen.

STANDARD: Ist das nicht schwierig, objektiv zu bleiben? Da fährt der Nachbar daher, den will man ja nicht kontrollieren?

Thaler: Da gab es keinen Unterschied. Nachbarn, Bekannte, alle wurden kontrolliert. Aber natürlich hat man die Pendler, die täglich über die Grenze gefahren sind, gekannt. So einen winkt man durch.

STANDARD: Die Zöllner waren wohl nicht sehr beliebt im Dorf?

Thaler: Stimmt, beliebt waren wir nicht. Manche Menschen waren sehr froh, dass es uns gibt. Die Leute, die etwas außerhalb in Grenznähe gewohnt haben. Sie haben sich sicherer gefühlt, wenn Kontrollen vorbeigekommen sind.

STANDARD: Hatten Sie unter den Schmugglern so etwas wie Stammkunden?

Thaler: Ja, am hartnäckigsten war wohl der Höchster, der immer wieder mit dem Fahrrad über die Grenze ist. Der hatte immer Zigaretten dabei. In den Schuhen, in der Fahrradlampe, in der Kleidung. Dem haben wir halt die Zigaretten abgenommen, die Strafe kassiert. Immer wieder, und er hat es immer wieder versucht. Manche sind auch auf dem geschmuggelten Rad dahergekommen. Das haben wir dann an der Marke erkannt.

STANDARD: Hand aufs Herz, geschmuggelt haben Sie selbst nie?

Grundsätzlich nicht. Wenn man an der Grenze wohnt, kann man ja öfters über die Grenze einkaufen gehen. Da muss man die Freigrenze nicht überschreiten.

STANDARD: Sie sind Kärntner, warum hat es sie an die Schweizer Grenze verschlagen?

Thaler: In den 1960er-Jahren waren zwei Drittel der Zöllner hier aus Kärnten und der Steiermark. Daheim gab es keine Arbeit für sie. Und die Vorarlberger wollten nicht zum Zoll arbeiten gehen, weil sie in der Industrie oder als Grenzgänger in der Schweiz mehr verdient haben. Beim Zoll gab es als Anfangslohn 1600 Schilling, das war nichts für Vorarlberger.

STANDARD: Sie waren also ein Wirtschaftsflüchtling?

Thaler: So könnte man es nennen. Als gelernter Schlosser hatte ich in Kärnten keine Arbeit. Zum Zoll bin ich, weil es ein sicherer und sehr vielfältiger Job ist. Wir hatten außer der Personen- und Warenkontrolle auch fremdenpolizeiliche und steueraufsichtsrechtliche Aufgaben. Zum Beispiel haben wir Visa kontrolliert, auch ausgestellt.

STANDARD: Man bekam direkt im Zollamt ein Visum?

Thaler: Die meisten wussten gar nicht, dass sie eines brauchen. Das waren Leute, die aus der Schweiz nach Deutschland unterwegs waren und nicht wussten, dass da ein Stück Österreich dazwischenliegt. Einmal war das ein ganzer Bus mit russischen Sportlern. Die haben das kleine Eck Österreich auf der Landkarte einfach übersehen. Wir haben ihnen die Visa organisiert. Solche Ereignisse haben die Arbeit spannend gemacht.

STANDARD: Würden Sie wieder Zöllner werden?

Thaler: Unter den früheren Bedingungen schon. In 40 Jahren hat sich aber sehr viel verändert. Die große Veränderung durch die Grenzöffnung war ganz schwierig. Da hat man uns Zöllner von oben im Stich gelassen. (Jutta Berger, RONDO, 25.10.2019)