Weil das Parlamentsgebäude noch saniert wird, müssen die Abgeordneten die neue Legislaturperiode im Ausweichquartier in der Hofburg einläuten.

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Am Mittwoch zu Mittag tritt der neugewählte Nationalrat zu seiner ersten Sitzung zusammen. Auf dem ersten Tagesordnungspunkt steht die Angelobung aller 183 Abgeordneten, die der Republik ihre Verfassungstreue und "gewissenhafte Erfüllung ihrer Pflichten" versichern müssen.

Wenn die für die kommenden fünf Jahre gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertreter ihr Amt antreten, stellt sich zwangsläufig auch die Frage, wie gut die Parlamentarier das österreichische Volk tatsächlich repräsentieren. Wenngleich es zahlreiche Männer gibt, die Politik im Interesse von Frauen machen können, und Politiker ohne Migrationshintergrund wertvolle Integrationsmaßnahmen durchsetzen können, so ist dies nicht unbedingt die Regel. Manche Fragen drängen sich einem nur dann auf, wenn man selbst direkt davon betroffen ist. Wer noch nie mit einem bestimmten Problem konfrontiert war, tut sich schwerer, ein Sensorium für die spezifischen Herausforderungen einer betroffenen Bevölkerungsgruppe zu entwickeln.

Zahlreiche politikwissenschaftliche Publikationen belegen, dass Frauen dann wesentlich mehr von in Parlamenten beschlossenen Sozialausgaben profitieren, wenn sie auch selbst in hoher Anzahl dort sitzen. Dasselbe gilt für Arbeitnehmerrechte und Volksvertreter aus der Arbeiterklasse oder Integrationsmaßnahmen und Abgeordnete mit Migrationshintergrund. Politiker sind sich und ihrem eigenen demografischen Umfeld also oft selbst am nächsten. Sie fokussieren ihre Politik auf jene soziale Schicht oder Gruppe, der sie selbst angehören – nicht zuletzt deshalb, weil sie gerade diesen Personen im Wahlkampf die meisten Versprechen machen.

Immer mehr Frauen, aber nicht die Hälfte

Will man also, dass die österreichischen Abgeordneten eine möglichst ausgewogene Politik für alle machen, dann bedarf es eines möglichst repräsentativ zusammengesetzten Parlaments. Auch wenn eine hundertprozentige Deckungsgleichheit utopisch scheint, so gibt es doch bestimmte Parameter, die relativ leicht anzupassen wären – das Geschlechterverhältnis etwa.

Mit rund 4.480.000 Frauen sind knapp 51 Prozent der in Österreich lebenden Menschen weiblich. Die 72 Mandatarinnen, die in der 27. Legislaturperiode zum Zug kommen, stellen mit 39,34 Prozent aller Abgeordneten zwar einen historischen Rekord dar, dennoch ist man von einer annähernd repräsentativen Zahl noch zehn Prozentpunkte – oder eben etwa 20 weibliche Abgeordnete – entfernt. Verantwortlich für diese Schieflage sind vor allem FPÖ und ÖVP. Die Freiheitlichen nähern sich dem prozentualen Ergebnis ihrer Wahlschlappe an und kommen gerade einmal auf 16,6 Prozent Frauenanteil. In der letzten Sitzungsperiode waren es noch knapp 26 Prozent.

Aus der FPÖ heißt es dazu, die Zusammensetzung habe sich "aufgrund von Wahlarithmetik und Listenerstellung so ergeben". Gar so überrascht, wie sich die Parteien nach der Mandatszuteilung bisweilen geben, müssten sie aber nicht sein. Mittels Umfragen und vergangenen Wahlergebnissen lässt sich in den allermeisten Fällen bereits vor Wahlen abschätzen, welche Mandate sicher erreicht werden, wo sogenannte "Kampfmandate" nur bei einem besonders starken Ergebnis zu holen sind und wo das Rennen um Grundmandate aussichtlos ist.

Das erklärt auch, warum die ÖVP trotz strengen Reißverschlusssystems – Männer und Frauen werden abwechselnd nacheinander gereiht – bei der Listenerstellung dennoch nicht einmal ansatzweise bei einer 50-Prozent-Quote im Nationalrat landet. Auch diesmal wurden nämlich die Listen wieder besonders oft von einem männlichen Spitzenkandidaten angeführt.

Frauenbonus nicht für alle

Damit verpassen die ÖVP sowie die FPÖ den neuen Finanzbonus, den Parteien erhalten, wenn mehr als 40 Prozent ihrer Abgeordneten weiblich sind. Die Neos schrammen mit einer Frauenquote von exakt 40 Prozent hauchdünn an dem "Über-40-Prozent-Bonus" vorbei. Die SPÖ_darf sich mit 47,5 Prozent hingegen über das zusätzliche Geld freuen – ebenso wie die Grünen, bei denen Frauen mit 58 Prozent sogar überrepräsentiert werden.

Noch deutlich seltener als Frauen findet man Menschen mit Migrationshintergrund im österreichischen Nationalrat. Wenngleich sie knapp 23 Prozent der in Österreich lebenden Bevölkerung ausmachen, finden sich mit Yannick Shetty (Neos), Selma Yildirim, Nurten Yilmaz (beide SPÖ), Merie Disoski, Faika El-Nagashi, Ewa Ernst-Dziedzic, Bedrana Ribo, Alma Zadić und Süleyman Zorba (alle Grüne) gerade einmal neun Abgeordnete mit Migrationshintergrund im Nationalrat. Das sind lediglich fünf Prozent. ÖVP und FPÖ stellen keinen einzigen Abgeordneten, der selbst im Ausland geboren wurde oder ausländische Eltern hat. Die ÖVP wollte dies auf STANDARD-Anfrage nicht kommentieren.

Das Büro von FPÖ-Chef Norbert Hofer war hingegen für eine Stellungnahme zur geringen Diversität des blauen Klubs erreichbar: "Zum generellen Versuch, hier einzelne Besonderheiten (Migration, sexuelle Orientierung) hervorzuheben, darf ich Ihnen mitteilen, dass wir mit Norbert Hofer – so er am 23. Oktober gewählt wird – den einzigen Parteichef und Nationalratspräsidenten haben, der eine Behinderung hat. Wie sieht es hier bei anderen Parteien aus?" Tatsächlich ist Hofer der einzige Parteichef mit Behinderung, er wäre aber auch der erste Parteichef, der als solcher vom Nationalrat ins Parlamentspräsidium gewählt wird und gleichzeitig Parteichef bleibt.

Ungleiches Wahlrecht

Dass Abgeordnete mit Migrationshintergrund, bezogen auf die österreichische Gesamtbevölkerung, unterrepräsentiert sind, liegt nicht nur an den Listenreihungen der Parteien, sondern auch in der Natur des Wahlrechts selbst. Dieses ist bekanntlich an den Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft geknüpft. Migranten können sich also vielfach gar nicht kandidieren. Schon allein dadurch stehen 1,1 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund dem Nationalrat als potenzielle Abgeordnete von vornherein nicht zur Verfügung.

Was die Beschickung von Abgeordneten aus den Bundesländern betrifft, ist der Nationalrat in hohem Maße repräsentativ. Gerade einmal zwei Prozent beträgt die größte Abweichung – die Steiermark ist leicht überrepräsentiert. All die anderen Bundesländer finden sich zahlenmäßig noch präziser im Hohen Haus vertreten.

Nicht immer muss eine Ungleichverteilung allerdings von Nachteil sein. Bei manchen Personengruppen lassen sich gute Gründe für eine Überrepräsentation geltend machen. So finden sich im Nationalrat beispielsweise 20 Juristen – das sind etwa zehn Prozent der Abgeordneten und damit weit mehr als in der Gesamtbevölkerung. Da im Parlament Gesetze beschlossen werden, kann sich eine starke Vertrautheit mit juristischen Problemen aber positiv auf die Qualität der gesetzgeberischen Arbeit auswirken.

Viele Landwirte

Auch andere Berufsgruppen sitzen öfter im neuen Nationalrat, als es der demografischen Realität entspricht. Acht Prozent der Neoabgeordneten sind als Landwirte tätig, wobei nur etwa drei Prozent der Bevölkerung in dieser Branche arbeiten. Zwölf von 14 Landwirten ziehen auf ÖVP-Ticket ins Hohe Haus ein.

Junge Österreicherinnen und Österreicher zwischen 18 und 30 Jahren sind im Nationalrat – ähnlich wie die Generation 60 plus – deutlich unterrepräsentiert. Die Abgeordneten zwischen 45 und 60 Jahren stellen sogar mehr als die Hälfte aller Parlamentarier, obwohl sie mit 27,8 Prozent österreichweit gerade einmal mehr als ein Viertel der Wahlberechtigten stellen. Die 20 Abgeordneten über 60 setzen sich vorwiegend aus ÖVPlern und SPÖlern zusammen. Blaue und Grüne stellen je ein Pensionistenmandat, die Neos zwei.

Yannick Shetty von den Neos ist in vielerlei Hinsicht ein Ausreißer. Der 24-jährige Jungpolitiker ist nicht nur zum ersten Mal im Parlament und gleichzeitig der jüngste Abgeordnete, er hat auch Migrationshintergrund und lebt – wie mindestens drei weitere Abgeordnete – offen homosexuell. Shetty sagt im STANDARD-Gespräch, dass es wichtig sei, diese Unterschiedlichkeit der Bevölkerung "sichtbar zu machen". Er könne sich durchaus vorstellen, dass er für einige Abgeordnete damit "ein rotes Tuch" sei. Aber er wolle jetzt einmal ganz offen und gesprächsbereit die Arbeit mit allen Parlamentariern angehen. Neben bildungspolitischen Themen will er selbstverständlich auch die Anliegen der LGBTIQ-Community ansprechen und natürlich die jungen Menschen im Parlament vertreten.

Sitzplan und Funktionen

In der ersten Nationalratssitzung wird es für Shetty wie auch für alle anderen Abgeordneten noch weniger um Themen als um Funktionen gehen. Wichtige Ämter für die kommenden fünf Jahre müssen vom Plenum gewählt werden. Allen voran die Positionen der drei Nationalratspräsidenten. Die bisherigen ersten und zweiten Präsidenten – Wolfgang Sobotka (ÖVP) und Doris Bures (SPÖ) – gelten für eine Verlängerung in ihren Ämtern als unangefochten. Spannender wird die Wahl für den Dritten oder die Dritte im Bunde. Die FPÖ will Norbert Hofer in diese Position bringen, die Grünen schicken mit der Historikerin Eva Blimlinger eine Gegenkandidatin ins Rennen.

Danach werden aus dem Plenum auch noch fünf Schriftführer gewählt, zwei davon aus den Reihen der ÖVP und je einer von den anderen Fraktionen. Die Schriftführer sind unter anderem für die Unterzeichnung der amtlichen Protokolle und die Aufsicht bei Stimmauszählungen zuständig.

Keine Sitzung ohne Sitzplan. Im Vorfeld musste daher auch schon der neue Sitzplan festgelegt werden. Von vorn aus gesehen werden die ÖVP-Mandatare ganz rechts sitzen, links davon platzieren sich die Freiheitlichen. Links der Mitte werden sich die Neos und die Grünen einfinden, die SPÖ nimmt den linken Flügel ein. Die fraktionslose Philippa Strache wird ihren Sessel – fernab der FPÖ – im linken Eck hinter den roten Mandataren finden. Keine ganz neue Gesellschaft für die Ehefrau des Ex-FPÖ-Chefs, war sie doch einst parlamentarische Mitarbeiterin bei der SPÖ. (Theo Anders, Fabian Sommavilla, GRAFIK: Sebastian Kienzl, 22.10.2019)