Die Autorin und Musikerin Marie Luise Lehner hält es für ein Qualitätsmerkmal, wenn Kunstunis nicht ausschließlich für den Markt produzieren. Sie liest im Rahmen der Feierlichkeiten zu zehn Jahren Sprachkunst am 26.10.

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Tonio Schachinger befindet sich gerade auf der Frankfurter Buchmesse, als ihn dieser Anruf erreicht. Es ist sein erstes Mal dort, sein erstes Mal auf einer Messe überhaupt. "Ich kenne hier ja keinen. Deswegen rede ich ganz entspannt mit irgendwelchen Opas über Fußball und finde dann später heraus, dass das ganz hohe Tiere im Literaturbetrieb sind." Der österreichische Jungautor war neben seiner Landsfrau Raphaela Edelbauer für den Deutschen Buchpreis nominiert, der schließlich an Saša Stanišić ging.

Tonio Schachinger schaffte es mit seinem Debüt "Nicht wie ihr" auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises.
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Auch Marco Wanda studierte das Schreiben

Schachinger und Edelbauer, die noch für den Österreichischen Buchpreis im Rennen ist, verbindet aber nicht nur die Herkunft, sondern auch, dass sie beide auf der Universität für angewandte Kunst Sprachkunst studierten beziehungsweise studieren. Auch Michael Marco Fitzthum, den man als Marco Michael Wanda kennt, studierte beim Lyriker Robert Schindel, der das Institut 2009 mitgegründet hatte. Seit 2012 leitet es der Schriftsteller Ferdinand Schmatz. Pro Jahr werden ungefähr 15 Studierende aus 200 Bewerbern aufgenommen. Manche kommen direkt von der Schule, andere haben schon andere Karrieren hinter sich, bevor sie zum Schreiben finden.

Keine klassische Schreibschule

Dass Schachinger und Edelbauer im Literaturbetrieb so erfolgreich Fuß fassen konnten, freut ihre Alma Mater sicherlich; als klassische "Schreibschule", die Bestsellerautoren ausspuckt, versteht sie sich aber nicht. "An der Sprachkunst wurden alle unterstützt, ihre eigene Sprache zu finden, egal ob sich das verkauft oder nicht. Das ist ja das Qualitätsmerkmal einer Kunstuniversität, wenn sie nicht nur für den Markt produziert. Außerdem sind Bestseller oft nicht die besten Bücher", fasst Marie Luise Lehner ein Sentiment zusammen, das alle Befragten zu teilen scheinen.

Von der Literatur leben

Lehner ist wie Schachinger beim Verlag Kremayr & Scheriau untergekommen, studiert mittlerweile auf der Filmakademie Drehbuch und ist Teil der feministischen Punkband Schapka. Gleich nach der Schule wurde sie auf der Uni aufgenommen und kann mittlerweile von ihrer Literatur leben.

Norbert Krölls zweiter Roman "Wer wir wären" erscheint im Frühjahr bei Edition Atelier.
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Ein viel später berufener Absolvent ist der Lyriker Norbert Kröll. Auch er kann mittlerweile von seiner Literatur leben – zumindest bis Jänner. "Wenn längere Zeit weder Förderung noch Preis reinkommt, muss ich mich halt wieder im Thalia an die Kasse stellen – es gibt Schlimmeres. Es ist halt ein prekärer Lebensentwurf. Natürlich gibt es die paar Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die ihre Vorschüsse bekommen und bei denen auch die Verkaufszahlen stimmen, aber das ist eher die Ausnahme."

Experimentieren erwünscht

Fast alle der Befragten definieren den Erfolg im Literaturbetrieb sehr bescheiden darüber, von der Literatur leben zu können. Dazu kommen natürlich auch ideelle Erfolgskriterien: "Der gerade gelungene Text ist der Erfolg", sagt die mehrfach preisgekrönte Autorin Sandra Gugic. Sie gehörte zu den Versuchskaninchen, wie sie scherzhaft erzählt, zum allerersten Jahrgang 2009. "Was wir wollten, war, experimentieren zu können." Da kam es auch schon mal zu Reibungen zwischen den Lehrenden und den Studierenden. Die gibt es bis heute, sie zeichnen das Institut irgendwie aus.

Sandra Gugics Lyrikdebüt "Protokolle
der Gegenwart" erschien im Verlagshaus Berlin.
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Jeden Tag vor der leeren Seite

Im Gegensatz zu den deutschen Ausbildungsstätten wie Leipzig oder Hildesheim, die einen strikteren Ruf genießen, ist die Wiener Sprachkunst wenig verschult. "Ich finde das Wort Schreibschule albern. Man wird da ja nicht hingesetzt, und dann wird einem erklärt, wie man einen Roman schreibt. Da kommen Leute mit den wüstesten Versuchen, den unterschiedlichsten Textsorten, und dann wird diskutiert." Diese Schreibwerkstätten schaffen die Möglichkeit, sich an den Texten der anderen abzuarbeiten. "Der Austausch mit anderen Leuten, die schreiben, ist das Beste am ganzen Studium", erzählt der Lyriker Timo Brandt, der 2014 an der Sprachkunst zu studieren begann.

Dieses Jahr erschien
Timo Brandts Gedichtband "Ab hier nur Schriften" im Aphaia-Verlag.
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"Außerdem sind fast alle DozentInnen praktizierende AutorInnen, die das Gefühl kennen, jeden Tag vor einer leeren Seite zu sitzen. Das einzig Negative ist, dass manche von ihnen keine pädagogische Erfahrung haben. Das ließ bei der Gestaltung des Unterrichts manchmal etwas zu wünschen übrig." Sonstige Kritik äußern die befragten Sprachkünstler kaum, auch wenn sie ihr Studium nicht abgeschlossen haben oder es – wie Tonio Schachinger – nicht vorhaben abzuschließen. "Natürlich muss man das Studium nicht abschließen. Man tut sich aber vielleicht leichter beim AMS, wenn man einen Titel hat", lacht Norbert Kröll.