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Marieke Vervoort gewann Gold-, Silber- und Bronzemedaillen bei den Paralympischen Spielen in London und Rio.

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Seit 2000 konnte sie sich nur noch im Rollstuhl fortbewegen

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Genauso sollten die letzten Momente ihres Lebens aussehen. Mit einem Glas Sekt in der Hand, noch einmal anstoßen mit der Familie und Freunden – dann der endgültige Abschied. Marieke Vervoort hatte ihren Tod seit 2008 geplant, am Dienstag war es so weit. Die belgische Paralympics-Gewinnerin trat mittels Sterbehilfe aus dem Leben. Mit 40 Jahren, die letzten geprägt durch extreme Schmerzen, verursacht durch eine unheilbare degenerative Muskelkrankheit.

"Bis zu ihrer letzten Minute führte sie Regie über ihr Leben", sagte ihr Leibarzt Wim Distelmans der Tageszeitung "De Standaard". Der Bürgermeister ihres Heimatortes Diest hatte den Tod Vervoorts verkündet. Die Bestürzung war landesweit groß, jeder Belgier kannte die Geschichte der tapferen Marieke. "Ein wahrer Champion und eine Quelle der Inspiration", twitterte Tennis-Grand-Slam-Gewinnerin Kim Clijsters zum Tod ihrer Landsfrau, "aber vor allem war sie eine wunderbare, warmherzige Frau."

Ruhe und Würde

Doch diese Frau konnte und wollte die Qualen nicht mehr ertragen, zuletzt waren auch noch epileptische Anfälle hinzugekommen. Der Zeitpunkt des Ausstiegs war für sie gekommen. Lange hatte sie das Szenario geplant. Vor elf Jahren schon besorgte sie die erforderlichen Papiere für die in ihrer Heimat erlaubte Sterbehilfe. Das Wissen, ihren Todeszeitpunkt selbst bestimmen zu können, gab ihr ein "Stück Ruhe und Würde. So weiß ich, wenn es für mich genug ist, dann habe ich die Papiere", sagte sie damals.

Doch zunächst hatte das Energiebündel, in der Heimat ehrfürchtig das "Biest von Diest" genannt, noch einiges vor. Auch als Sportlerin. Es folgten große Erfolge auf internationaler Bühne. Bei den Paralympics in London 2012 gewann sie als Handbikerin Gold über 100 m und Bronze über 200 m. 2016 in Rio de Janeiro eroberte sie Silber über 400 m und Bronze über 100 m. In dem Jahr landete sie bei der Wahl zum Sportler des Jahres in Belgien auf Platz zwei hinter Fußballstar Kevin de Bruyne.

Kein Gottesdienst, kein Kuchen

International Aufsehen erregte Vervoort 2015 in der TV-Sendung "Het Huis" ("das Haus"), als sie erklärte, noch vor Jahresende Euthanasie in Anspruch zu nehmen. Daraufhin stürzten sich die Medien in Rio 2016 auf die Belgierin. "Erst die Spiele, dann die Spritze" wurde geschrieben.

Ende 2017 verschlechterte sich Vervoorts Zustand rapide. "Ich werde immer depressiver, diese Gefühle hatte ich vorher nie. Ich weine sehr oft", schilderte Vervoort dem Londoner "Telegraph", "jetzt schwindet auch mein Sehvermögen immer mehr. Bei einem Auge liegt die Sehkraft nur noch bei 20 Prozent, beim anderen bei zehn Prozent. Mein Arzt sagt, er könne nichts machen."

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie noch einen Teil ihrer Wunschliste abgearbeitet. So war sie im September 2017 Bungeejumpen und in einem Lamborghini über die Rennstrecke von Zolder gerast. Zudem schrieb sie als Mutmacher für Schicksalsgenossen zwei Bücher.

Vervoort hatte auch klare Vorstellungen über ihre Beerdigung. Es soll keinen Gottesdienst geben und keinen Kuchen. "Ich möchte, dass alle mit einem Glas Champagner dastehen und an mich denken", erklärte sie im Dezember 2017 dem "Telegraph". Wohl auch dieser Wunsch wird sich für sie erfüllen. (sid, 23.10.2019)

Hilfe in Krisen

Für Menschen in Krisensituationen und deren Angehörige gibt es eine Reihe von Anlaufstellen. Unter www.suizid-praevention.gv.at findet man Notrufnummern und Erste Hilfe bei Suizidgedanken.

Telefonische Hilfe im Krisenfall gibt es auch bei:

● Telefonseelsorge 142, täglich, von 0 bis 24 Uhr.

● Kriseninterventionszentrum 01/406 95 95 (Montag bis Freitag, 10-17 Uhr); auch persönliche und E-Mail-Beratung: www.kriseninterventionszentrum.at.

● Sozialpsychiatrischer Notdienst / PSD Täglich, 0 bis 24 Uhr, Tel.: 01/31330

Angehörige finden Informationen und Materialien unter www.suizidpraevention.at und www.agus-selbsthilfe.de.