Familie Aletin hält in ihrem Garten zwei Hühner. Den Stall haben sie selbst gebaut.
Foto: www.corn.at Heribert CORN

Martina Wolf sitzt mit ihren Töchtern Julia und Nina am Esstisch und mischt Natron mit Birkenzucker. "Das wird ein Zahnpulver mit Minzöl," erklärt Julia. Selbst gemacht wird in der Familie auch das Deo, Shampoo oder Waschmittel. "Ganz kann ich mich mit dem Zahnpulver noch nicht anfreunden", gibt Martina zu, "mir schmeckt das zu salzig." Aber ihre Tochter Julia ist seit einem Vortrag von Global2000 in der Schule engagierte Klimaschützerin, Nina zog nach. Also unterstützt die Mutter ihre Töchter bei deren Mission, komplett auf Plastik zu verzichten, klima- und ressourcenschonend zu leben. Die Familie hat es einen Monat lang sogar geschafft, wirklich komplett "Zero Waste" zu leben. Den gesammelten Müll aus diesen 30 Tagen präsentieren sie stolz: Er passt in ein kleines Einmachglas. Dafür werden Grundnahrungsmittel wie Mehl oder Nudeln beim Greissler in mitgebrachten Behältnissen geholt, Obst und Gemüse packen sie am Markt ins Stoffsackerl. Das Einzige, was Müll verursacht, sind die Rechnungen und das Klopapier.

Die Ökobilanz der Familien im Check

Nicht ganz so streng geht es bei den Waldens zu. Trotzdem macht sich auch die siebenköpfige Patchwork-Familie viele Gedanken zum Thema Klimaschutz. "Mit dem Bus zu fahren ist viel besser, weil da passen mehrere Leute rein", sagt die siebenjährige Dora. Keines der Kinder stört es, dass ihre Eltern beide Autos verkauft haben. Sie wissen genau, woher CO2 kommt und argumentieren klar, warum unser Planet mehr Bäume und weniger Flugzeuge braucht. Ivana und Markus Walden wollen etwas bewegen, deshalb erziehen sie ihre Kinder umweltbewusst. Und sie haben dafür vieles in ihrem Alltag verändert – wie auch die anderen Familien, die der STANDARD besucht hat, um zu erfahren, wie sich Klimabewusstsein in den Alltag mit mehreren Kindern integrieren lässt. Manche Familien verzichten auf Einwegwindeln, ernähren sich vegan – eigentlich alle fahren lieber mit dem Zug statt dem Auto. "Als Eltern wollen wir natürlich ein gutes Vorbild sein", sagt Julia Aletin, die mit ihren drei Kindern Obst und Gemüse im Garten zieht. Die Frage ist nur: Bringt es überhaupt etwas, penibel den Müll zu trennen und Glas- statt Plastikflaschen zu kaufen? Kann man durch bewusstes Einkaufen und DIY-Waschmittel tatsächlich einen nachhaltigen Beitrag leisten? Die Antworten kennt Johannes Wahlmüller, Klima- und Energieexperte bei Global2000. Gemeinsam mit der Ressourcenexpertin Lena Steger hat er das klimabewusste Leben der vier Wiener Familien unter die Lupe genommen und analysiert, welche Maßnahmen den ökologische Fußabdruck wirklich verkleinern – und was man noch tun könnte.

Ein Garten für den Naturschutz

FAMILIE ALETIN: "In Wahrheit gestalten wir unseren Alltag oft unbewusst nachhaltig, einfach, weil diese Lebensweise für uns praktischer und netter ist. Wir haben einen kleinen Garten, in dem Zucchinis, Auberginen, Tomaten, Salat und einige Obstsorten wachsen. Das eigene Gemüse schmeckt besser und wir haben eine Freude dabei, weil wir sehen, wie es wächst. Den Stall für unsere Hühner haben wir im Laufe von drei Jahren gebaut; als Familienprojekt. Nun bekommen wir Eier.

Julia Aletin (37) ist Shiatsu-Praktikerin, ihr Mann Alexander Aletin (46) arbeitet als Krankenpfleger. Sie wohnen mit ihren drei Kindern (Leonid, Gabriel und Alexsej, drei Katzen und zwei Hühnern in einem Haus in Wien.
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Dabei steht der Klimaschutz nicht primär im Vordergrund, sondern eine Lebensweise, die auch das Gemeinschaftsgefühl stärkt. Unser Reiseverhalten planen wir aber sehr bewusst. Meist sind wir mit dem Zug unterwegs und wir besitzen aus Überzeugung kein Auto. Das kann selbst mit drei Kindern Vorteile haben: Im Zug hat jeder genug Platz, wir können uns unterhalten und spielen. Die Zeit vergeht so viel schneller. In die Arbeit oder in die Schule kommen wir mit den Öffis oder den Fahrrädern. Die Zwillinge sind noch sehr gehfaul, dann kommt eben das Lastenfahrrad zum Einsatz. Wir sind keine Großverdiener, weshalb wir sehr sparsam leben. Unser Haus wird ausschließlich über den Kamin im Wohnzimmer beheizt. Ansonsten versuchen wir biologisch und regional einzukaufen aber das klappt auch nicht immer. Wichtig ist uns, dort anzusetzen, wo es leicht geht. Die Putz- und Waschmitteln in der Drogerie neu zu kaufen oder stattdessen bestehende Plastikflaschen immer wieder beim Greissler aufzufüllen, das bedeutet für uns nur einen kleinen Mehraufwand, der sich aber im Großen positiv auf die Umwelt auswirkt."

Das sagt der Klimaexperte:

"Diese Familie lebt sehr vorbildlich. Das meiste CO2 wird durch den Verzicht auf Flugreisen eingespart. Fliegen verursacht im Vergleich zu einer Zugfahrt etwa 30 mal mehr CO2-Emissionen. Was manche vielleicht nicht wissen: Der Garten der Familie alleine trägt schon zum Klimaschutz bei. Warum? Selbst "klassische" mediterrane Küchenkräuter bieten Futter für Bienen und viele Insekten, eine große Bereicherung sind auch Wildblumen. Dazu sollte man torfreie Blumenerde verwenden, den Einsatz von Pestiziden meiden und stattdessen auf "Hausmittel" setzen. Intakte Ökosysteme können viel besser mit Klimaveränderungen umgehen. Deshalb gibt es zum Beispiel die Aktion "Nationalpark Garten" – wer sich dafür interessiert, der findet dazu bei Global 2000 viele Tipps."


Achtsamer Umgang mit Lebensmitteln

FAMILIE WALDEN: "Wir sind eine große Patchwork-Familie. Man muss sich vorstellen: sieben Familienmitglieder in einem Haushalt! Alleine aus diesem Grund sehen wir bei manchen Dingen genauer hin. Was das heißt? Bei uns gibt es schon Fleisch, aber eben von wirklich guter Qualität und als hochwertige Beilage zu ganz viel Gemüse. Die Kleidung wird bei fünf Kindern auch nicht immer neu gekauft, sondern die Kleinen tragen das von den Größeren oder wir tauschen im Freundeskreis untereinander. Unsere beiden Autos haben wir verkauft – und falls wir doch einmal eines brauchen, wird es ganz einfach ausgeliehen. Flugreisen als ganze Patchwork-Familie stehen bei uns nicht am Programm. Das muss auch nicht sein. Wir verbringen stattdessen lieber ein paar spannende Tage in einer Selbstversorgerhütte in den Bergen.

Ivana (36) und Markus (50) sind Ernährungs-Coaches bei "Von Walden", Markus macht zusätzlich eine Ausbildung zum Koch. Sie leben mit ihren fünf Kindern Šima, Lada, Max, Pippa und Dora in einer Altbauwohnung im 8. Bezirk in Wien.
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Die Kinder sind sehr aufmerksam was das Thema Klimaschutz angeht. Sie trennen den Müll, vermeiden Plastik und füllen ihre Wasserflasche neu auf. Selbst für die Kleinsten ist verständlich, warum wir im Winter keine Erdbeeren kaufen. Zugegeben machen wir bei Avocados hin und wieder eine Ausnahme. Und das ist okay. Bei uns gibt es nämlich keine strikten Verbote. Stattdessen steht bei uns Achtsamkeit im Mittelpunkt. Mit sich selbst und der Umwelt. Wir versuchen den Kindern immer ein gutes Vorbild zu sein. Dazu gehört auch der bewusste Umgang mit Gebrauchsgegenständen. Bedeutet: reparieren statt wegwerfen. Ein kleines Loch in der Hose ist schnell zugenäht und für komplexere Arbeiten gibt es tolle Handwerker. Wir haben es mit der gesamten Rasselbande geschafft, unseren Lebensstil umzustellen. Wenn also jemand behauptet, es sei nicht machbar, ist es womöglich eher eine Mischung aus Unwissenheit, Bequemlichkeit und lieb gewonnenen Ausreden."

Das sagt der Klimaexperte:

"Eine Familie mit fünf Kindern, die ohne Auto gut durchs Leben kommt, zeigt, wie es gehen kann. Damit helfen sie viel CO2 einzusparen, denn eine Autofahrt verursacht etwa 15mal mehr CO2-Emissionen als eine Bahnfahrt. Anders ist es beim Heizsystem. Die Gastherme, welche in den meisten Fällen in Wiener Altbauten vorhanden ist, verursacht natürlich CO2. Mieter können meist keinen Einfluss darauf nehmen. Hier ist die Politik gefordert eine Strategie zu entwerfen, zum Beispiel die Gasthermen sukzessive durch klimaverträgliche Heizsysteme, wie etwa Fernwärme, zu ersetzen. Was man aber auf jeden Fall machen kann: weniger Heizen. Ein Grad Raumtemperatur weniger spart schon sechs Prozent der Energie ein. Und: auf Ökostrom umsteigen. Das schont das Klima und hilft beim Umbau unseres Energiesystems. Tipps dazu findet man bei Stromanbieterchecks im Internet, meist kann man dort auch gleich die Ummeldung beantragen."


Vegane Ernährung und Stoffwindeln

SARAH HOFMANN: "Ich bin schon lange Veganerin. Mittlerweile ist Moritz auch nachgezogen. Zum Einen ist uns das aus tierethischen Gründen wichtig – und zum Anderen, weil es einen massiven Einfluss auf unseren ökologischen Fußabdruck hat. Möglichst umweltbewusst zu leben ist uns ein echtes Anliegen. Wir wickeln unseren Sohn mit Stoffwindeln und verwenden ausschließlich waschbare Feuchttücher.

Sarah Hofmann (31) arbeitet für ein veganes Restaurant, Moritz Cizek (34) ist in Karenz und betreut derzeit Sohn Vincent (5 Monate).

In Österreich benötigt jedes Kind bis zum Trockenwerden im Schnitt 4500 bis 6000 Windeln. Das entspricht einer Tonne Abfall! Wenn man sich diese Zahlen vor Augen hält, kommt einem die Stoffwindel nur noch logisch vor. Und es ist gar nicht so kompliziert wie viele glauben. Die Waschmaschine läuft zwar jeden Tag, aber da sind wir mit Baby keine Besonderheit.

Sarah hat die wiederverwendbaren Feuchttücher für Vincent aus alten Stoffresten genäht.
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Ich bin beruflich viel in der Schweiz und Deutschland unterwegs. Natürlich wäre es praktischer zu fliegen, trotzdem nehme ich den Zug. Häufig sind Moritz und unser Sohn dabei, dann buchen wir einen Nachtzug mit drei Betten. Bisher war das immer komfortabel und auch preislich in Ordnung. Einziges Manko: Viele Züge sind nicht auf Familien ausgerichtet – für den Buggy sollte es mehr Platz geben."

Das sagt der Klimaexperte:

"In kaum einem Land wird mehr Fleisch gegessen als hierzulande. Auf 65 Kilogramm Fleischkonsum kommt ein Österreicher pro Jahr. Das entspricht durchschnittlich fünf Portionen Fleisch die Woche. Ein Steak verursacht etwa 5.340 g CO2. Wer ein Linsengericht verzehrt, kommt hingegen auf etwa 190 g CO2. Warum ist das so? Das Futter für die Tiere wird oft auf Regenwaldflächen in riesigen Plantagen angebaut und dann nach Europa importiert. Für ein Kilogramm Rindfleisch benötigt man 25 Kilogramm Futter. Weniger Fleischkonsum entlastet die Umwelt massiv und ist auch gesünder: Ein "gesundes Maß" wären 60 % weniger Fleisch als derzeit konsumiert werden. Die Devise lautet also: zurück zum Sonntagsbraten!"


Plastikfreies Leben

JULIA SCHINKO: "Als ich 14 Jahre alt war, habe ich mit meiner Schulklasse einen Vortrag von Global 2000 zum Thema Ressourcenverschwendung besucht. Ich bin ich dort rausgegangen und war fassungslos, weil ich Dinge erfahren habe, die mir davor nicht bewusst waren. Für mich war klar, dass ich etwas verändern will. Deshalb schrieb ich damals drei Punkte auf einen Zettel: 1. öfters mit dem Fahrrad fahren, 2. keine Plastiksackerl mehr annehmen, 3. keine Plastikfalschen verwenden. Das war aber nur der Anfang.

Martina Wolf (52) ist Elternbildnerin und Leiterin der Kinderpraxis am Augarten. Ihre beiden Töchter Julia (20) und Nina (25) studieren. In Julias Hand: Das Glas mit Müll von einem ganzen Monat. Peter Schinko (80) besucht mit seinen Enkelinnen jede Freitagsdemo.
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Mittlerweile studiere ich Umweltpädagogik, habe eine Ausbildung zur Grünen-Kosmetik-Pädagogin gemacht und bin als Umweltkommunikatorin tätig. Zuhause hat sich seither viel verändert. In Supermärkten vermeiden wir Verpackungen so gut es geht und besuchen immer wieder Unverpacktläden. Alltägliche Gebrauchsgegenstände gibt es meist auch ohne Plastik, wie etwa Holzzahnbürsten. Den Großteil unserer Kosmetik stellen wir selbst her, die Kleidung ist Second Hand oder fair produziert und unsere Bio-Abfälle landen in einer Wurmkiste. Ich selbst besitze nur noch 25 Kleidungsstücke und genieße den Minimalismus.

Julia mischt Natron, Birkenzucker und Minzöl. Das Gemisch verwendet sie zum Zähnputzen.
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Das Besondere an diesem Wandel: Meine Familie hat mich immer unterstützt und ist mit mir all diese kleinen Schritte hin zu einem umweltfreundlicheren Alltag gegangen. Meine Mama verwendet verpackungslose Haarshampoo-Seifen und isst weniger Fleisch, weil ich sie inspiriert habe. Mir war es immer wichtig, nicht zu urteilen. Und selbst die Großeltern zeigen ihr Engagement und bringen den Sonntagskuchen in Glasbehältnissen mit. Das nachhaltige Leben bringt einander näher. Es sind wertvolle Momente, in denen wir nachmittags mit Freundinnen am Küchentisch sitzen und etwa ein Bienenwachstuch herstellen oder freitags mit dem 80-jährigen Opa die Großdemonstrationen besuchen. Gemeinsam an einer guten Sache zu arbeiten, stärkt das Zusammenhörigkeitsgefühl."

Das sagt der Klimaexperte:

"Mehrwegprodukte wie Kaffeebecher oder ein selbst gemachtes Bienenwachstuch sind gute Alternativen, um Einwegplastik, dass meist nur sehr kurz in Verwendung ist, zu reduzieren. Verpackungen machen immerhin 31 Prozent des Plastikbedarfs in Österreich aus. Und trotz des leichten Gewichts von Plastik, kommen auf jeden Österreicher rund 34,1kg Kunststoff Verpackungsmüll pro Jahr. Unverpacktläden sind nicht immer in nächster Nähe, deswegen braucht es politische Regulierungen, wie etwa verpflichtende Mehrwegquoten und verbindliche Verpackungsreduktionsziele. Wer seinen Konsum auf ein gesundes Maß reduziert, entlastet die Klimabilanz merklich, denn ein großer Teil der Konsumgüter wird importiert. Sie haben daher einen "CO2-Rucksack", der in unserer Klimabilanz nicht aufscheint. Auf Österreich bezogen wäre der CO2-Fußabdruck um etwa die Hälfte größer, würde man die konsumbasierten Emissionen heranziehen."