Ein Genie, das in den Wirren der 1990er-Jahre verloren zu gehen drohte: Dan Treacy, hier anno 90 beim Schlagen der Schrammelpopgitarre.

Foto: Dickson/Redferns

Die erste Punkwelle war schon wieder im Abebben begriffen, doch für Dan Treacy stand unwiderruflich fest: Er hatte mit dem Schreiben herzzerreißender Popsongs nicht begonnen, um damit gleich wieder aufzuhören.

Treacy, der als Kind aus dem 14. Stock eines Wohnblocks in Chelsea auf das Vereinigte Königreich blickte, war gekommen, um zu bleiben. Und so wurde aus seiner Band Television Personalities eine Postpunk-Institution. Ein rührendes Konsortium, gebildet aus Dilettanten, die es vorzogen, ihre Saiteninstrumente nicht übermäßig genau zu stimmen. Die Band glich einem Pop-Kälbchen, das trotzig versucht, auf drei Beinen zu stehen.

Die erste Single der Television Personalities hieß auch wirklich "14th Floor" und erschien 1977. Die frühen TVPs-Songs rühren noch heute zu Tränen. Treacy stand mit Parametern wie Tonhöhe und Intonation auf Kriegsfuß. Aber seine Oberlippe war von Anfang an steif genug, um allen Nörglern und Zweiflern bei Bedarf das Verrichten der Notdurft anzuschaffen.

Wer war Bill Grundy?

Die erste EP der TVPs hieß "Where's Bill Grundy Now?". Tatsächlich handelte es sich bei Grundy um jenen Fernsehmoderator, der sich am 1. Dezember 1976 in der TV-Sendung Today an den Sex Pistols die Zunge verbrannt hatte. Grundy hatte versucht, Johnny Rotten und Co mit der Nennung von Beethoven und Mozart zu provozieren. Die Aufrührer nannten ihren Gastgeber im Gegenzug vor laufender Kamera einen "dreckigen Bastard". Grundy flog postwendend aus dem Sender. Punk aber blieb – und mit ihm auch das Ethos der Selbstermächtigung.

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In der wackeligen, schnarrenden Musik von Außenseitern wie den Television Personalities hallt bis heute ein Wecksignal nach: die Aufforderung zu Notwehr, unbeirrbar angestimmt im Angesicht von industrieller Demontage und atomarem Nihilismus. Auf zwei doppelstöckigen CD-Kompilationen lässt sich jetzt das Singlewerk der TVPs nachhören, eine Sammlung zuckersüßer Sirenengesänge – und essigsaurer Bäuerchen.

"Some Kind of Happening (Singles 1978–1989)" und "Some Kind of Trip (Singles 1990–1994)" enthalten zusammen 64 Songs: viele von ihnen unsterblich. Dan Treacys Kunst besteht ihrerseits aus nichts als Popzutaten. Sie nimmt Maß an den Ikonen von Swinging London, an Joe Orton, an Christine Keeler, an Dalí und Rita Tushingham. In einem Liedchen wie "A Picture of Dorian Gray" lädt Treacy die Besucher blauäugig zum Besuch seiner Kunstgalerie ein ("... drinking lemon tea"). Ein anderer Song heißt ja auch "Painting by Numbers".

In dieser Welt des Kitchen-Sink-Realismus sind die Mädchen traurig. Sie liegen auf bonbonbunten Schlafstätten und lauschen Stromgitarren. Heute gibt es Dan Treacy immer noch. Er ist ein geplagter, gesundheitlich ramponierter Mann, für den man Benefizkonzerte veranstaltet. "They Could Have Been Bigger than the Beatles" hieß 1982 das dritte Album. Es hat nicht sollen sein. (Ronald Pohl, 24.10.2019)