Alle reden über das Elend der Sozialdemokratie. Die meisten Beobachter sind sich über eine der Ursachen einig: Die einst stolze Partei verfügt über keine attraktiven Leute mehr, die eine große Wählerzahl ansprechen könnten. Warum nicht? Ein Blick in die Geschichte könnte weiterhelfen. In ihrer großen Zeit beruhte der Erfolg der Sozialdemokraten in Österreich auf dem Bündnis zwischen den Arbeitern und den – meist jüdischen – Intellektuellen. Von beiden Gruppen ist nicht mehr viel übrig.

SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner.
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Beginnen wir mit den Juden. Viktor Adler. Otto Bauer. Friedrich Austerlitz. Aber das Rote Wien, die unumstrittene Glanzleistung der Zwischenkriegssozialdemokraten, lebte nicht nur von Politikerpersönlichkeiten, sondern mehr noch von unzähligen kleinen Vertrauensleuten, Volksbildnern, Bibliothekaren, "AZ"-Reportern, Armenärzten, ja, auch von Kinobesitzern und Sportfunktionären, die jener Epoche ihren Stempel aufdrückten. Wie viel diese Welt den jüdischen Sozialdemokraten verdankte, wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass die jungen Zionisten jener Zeit den VSM, den Verband Sozialistischer Mittelschüler, spöttisch die VS-Semiten nannten. Gemeint war: lauter (assimilierte) Juden. Und was der Partei mit der Vertreibung und Ermordung der jüdischen Österreicher verlorengegangen war, zeigte sich nach dem Krieg in der Tatsache, dass deren Intellektuellenorganisation, der Verband Sozialistischer Akademiker, lange Zeit ein Sammelbecken ehemaliger Nazis war, die wieder salonfähig werden wollten.

Ohne Solidarität geht nichts

Und die Arbeiter? Da ist zunächst der Umstand, dass es immer weniger große Fabriken mit hunderten Arbeitern gibt. Wer in einem solchen Betrieb arbeitet, weiß, dass ohne Solidarität gar nichts geht. Vereinzelt, also voneinander isoliert Arbeitende sind eher geneigt, zuerst an sich selbst zu denken und in Kollegen Konkurrenten zu sehen. Aber schwerer wiegt vermutlich der Befund, den der linke steirische Landtagsabgeordnete Wolfgang Moitzi vor kurzem so ausdrückte: dass die SPÖ aufgehört hat, auf die Facharbeiter stolz zu sein. Das ewige Reden von Bildung und Aufstieg nervt die Leute. Da kommt ein Computerfuzzi daher und will mir meine Arbeit erklären, zitierte der "Falter" einen obersteirischen Tischler.

Deshalb kommt auch die Erfolgserzählung der sympathischen Parteichefin Pamela Rendi-Wagner vom Gemeindebau zur Ärztin nicht überall gut an. Nicht ganz fair. Bruno Kreisky hatten die Menschen seinerzeit seine Maßanzüge nicht übel genommen, wohl aber heute Thomas Drozda seine Patek-Phillipe-Uhr. Viele einstige SPÖ-Wähler hätten sich der FPÖ zugewendet, heißt es, weil diese sie nehme, wie sie sind, und sie wenigstens im Wirtshaus rauchen ließe. Und in Ruhe über die Ausländer schimpfen.

Linksparteien haben überall stets davon gelebt, dass sie sowohl die Arbeiter als auch die Intellektuellen um sich vereinigen konnten. Das eine geht nicht ohne das andere. In Österreich wie anderswo scheint dieses Bündnis nun zu wanken. Die Intellektuellen wählen grün. Die Arbeiter wählen die Rechtspopulisten. Die Sozialdemokraten müssen nun den Ausweg aus diesem Dilemma finden. Einfach wird das nicht werden. Und schnell gehen wird es auch nicht. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 24.10.2019)