Marin Alsop steht für rhythmische Vitalität und "schönen Streichersound".

Foto: Grant Leighton

Als neue Chefin des RSO wird sie diese Qualitäten flexibel einsetzen. Das RSO-Repertoire ist ja ziemlich vielseitig.

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Die Probe in der Argentinierstraße ist zu Ende. Marin Alsop bespricht noch kurz Organisatorisches. Jetzt aber bitte die Fragen; die neue Chefin des RSO Wien hat keine Pause nötig. Dass sie Stress unter Kontrolle hält, kann nicht behauptet werden. Sie scheint keinen zu verspüren. Wobei: Als sie das ORF-Orchester kontaktierte, wird sie vielleicht doch einen Mix aus Unruhe und Überraschung verspürt haben. Warum das RSO sie wählte, sagt sie nicht. "Da müssen Sie die Musiker fragen," so die US-Dirigentin, die jedoch bestätigen kann, sich die Arbeit in Wien doch anders vorgestellt zu haben.

"Es ist immer anders, als du glaubst! Es ist viel besser, macht mehr Spaß als gedacht!" Alsop lacht und schwärmt über die Qualität des Orchesters. Es sei exzellent, schnell und flexibel. Diese Eigenschaften mögen sich mit ihrem Stil verbinden: "Ich hoffe, die Stücke wirken frisch, farbenreich." Auch "rhythmische Vitalität" und einen "schönen Streichersound" würde sie zu ihren Spezifika zählen. "Ich möchte aber nicht, dass gesagt wird: ,Das klingt wie Marin!‘ Dann hätte ich mich zu sehr eingebracht, statt dem Komponisten zu dienen."

Zunächst abgelehnt

Beim Einstandsabend am Donnerstag im Konzerthaus wird die akustische Validität ihrer Aussagen zu überprüfen ein. Zudem eröffnet Alsop mit dem RSO nächste Woche das Festival Wien Modern. Das konveniert Alsop. Sie ist eine Dirigentin mit Hang zum Zeitgenössischen, es sind für sie also erfreuliche Tage in Wien.

Dermaßen einfach sind ihre Anfänge mit Überseeorchestern nicht immer verlaufen. Als sie die erste Frau wurde, die ein großes US-Kollektiv übernahm, waren die Musiker des Baltimore Symphony Orchestra entschieden gegen ihre Bestellung. "Sie hatten viele Probleme, waren untereinander zerstritten und wütend. Dann kam ich, und sie fanden ein Objekt für ihre Wut. Natürlich hat auch die Tatsache, dass ich eine Frau bin, eine Rolle gespielt." Das habe sich allerdings gelegt, "ich war sehr direkt zu ihnen, sie sahen mein Engagement. Jetzt wollen sie nicht, dass ich gehe!"

Würde Alsop, 1956 in New York geboren, heute diesen Job antreten, wäre es wohl leichter. "Auf einmal gibt es viele von uns! Die Tür ging auf. Ich denke, es wird nicht mehr lange dauern, bis das Frauenthema in der Musik keines mehr ist. Dreißig Jahre lang musste ich erleben, wie schwer es für Frauen war. Und nun diese ,Explosion‘! Es ist ein bisschen so, wie es für die Menschen in der DDR gewesen sein muss, als die Mauer fiel!" Schwer zu sagen, findet Alsop, warum es sich nun so eruptiv verbessert und es u._a. mit Mirga Gražinyt-Tyla (Chefin in Birmingham) und Joana Mallwitz schon Stars gibt, die auch Preise abräumen.

Peabody Institute of the Johns Hopkins University

"Die #MeToo-Bewegung hat aber sicher geholfen. Mittlerweile müssen wir eher auf etwas anderes achten. Eine Frau zu engagieren darf nicht aus modischen Gründen geschehen, es sollte Überzeugung dahinterstehen. Und die Frauen, denen eine Möglichkeit gegeben wird, müssen gut sein." Ihre Freunde würden zwar immer scherzen, "wir hätten so viele mediokre Männer in gewichtigen Positionen". Es mache also nichts, wenn nicht jede Dame höchsten Ansprüchen genügt. "Nicht ich sage das, meine Freude tun es ...", scherzt Alsop und verneint, ihr Tun von Anbeginn an im Sinne einer Mission interpretiert zu haben. "Ich habe nicht mit dieser Idee begonnen. Aber ich spürte dann doch die Verpflichtung, etwas für die nächste Generation zu tun." Nebst Meisterkursen, die sie hält, wird schon ihr Durchhalten und Nichtaufgeben wohl eine gewisse Vorbildwirkung entfaltet haben.

Zwar wurde der musikalische Universalgelehrte Leonard Bernstein nicht nur zum Grund für die Berufswahl, sondern auch ihr Mentor. Zunächst klopfte Alsop aber dreimal vergeblich in Tangle wood an, um in den Genuss von Lennys Nachwuchsförderung zu kommen. "Ich war schlicht nicht gut genug, wurde aber besser. Wenn es dann doch klappt, gibt das ein Gefühl der Erfüllung. Jene, bei den es schnell, leicht ging, wissen das nicht so zu schätzen."

Lenny war altmodisch

Der zum euphorischen Weltenumarmer hochstilisierte Lenny sei natürlich eine komplexe Persönlichkeit gewesen. "Er konnte sehr einschüchtern, dann wieder sehr liebevoll sein. Er war fortschrittlich, aber auch sehr altmodisch. Manchmal sagte er:_,Ich kann das nicht verstehen! Wenn ich meine Augen schließe und dich höre, kann ich nicht sagen, dass du ein Mädchen bist.‘ Dass es bei Frauen anders klingt als bei Männern, fand ich eine dumme Meinung. Er aber tendierte dazu. Ich glaube, es gibt keinen weiblichen Stil." Was sie ebenfalls sagen kann, wenn auch augenzwinkernd: "Lenny hätte heute ein #MeToo-Problem, denn er küsste jeden und jede!"

Was denkt Alsop über die Causa Plácido Domingo? "Keine Ahnung, ob die Vorwürfe stimmen. Ich kann es nicht beurteilen, ich war nicht dabei. Meine Erfahrung mit ihm war gut, zu mir war er nett. Grundsätzlich kann ich aber sagen: All die Typen, bei denen Belästigung nachgewiesen wurde, hätten früher gestoppt werden müssen, oder jemand hätte sie zu einem anderen Benehmen auffordern sollen. Wir sind insofern alle Teil des Problems, wenn wir nur danebenstehen und schweigen." (Ljubiša Tošic, 24.10.2019)