Ja, wo? Die Idee, verschiedene Leute des öffentlichen Lebens zu einem Langzeitgespräch um einen Tisch zu versammeln, haben sie zwar einem deutschen Magazin geklaut. Interessant ist die Lektüre anlässlich des Nationalfeiertags trotzdem, weil sie noch einmal buchstäblich alles wiederkäut, was man zum Thema Österreich (und zu ein paar anderen Themen) so oder so ähnlich schon ein paar Mal gehört haben.

Die Statements der Diskussionsteilnehmer sind dann sogar so weit vorhersehbar, dass man sie beinahe schon mitreden könnte: Heide Schmidt nimmt eine Demokratieverachtung wahr, "die wir zuletzt in den 30er-Jahren so gesehen haben. Und wir wissen, wohin das geführt hat!" Anneliese Rohrer kennt die "eklatante Ich-Schwäche" der Österreicher, während Florian Scheuba die "uneigentliche Rede" als typisch österreichisch (Beispiel: Herr Karl!) wahrnimmt.

Stefan Apfl / Sebastian Loudon / Alexander Zach (Hg.), "Wo sind wir hier eigentlich? Österreich im Gespräch". 22,- Euro / 176 Seiten. Brandstätter-Verlag, Wien 2019
Cover: Brandstätter Verlga

Dünner Humus über Morast

Freilich, gesteht er ein, führe diese auf Kabarettbühnen zu manchem Schenkelklopfer. Dass Florian Klenk während des Gesprächs im "dünnen Humus, der über dem Morast liegt, auf dem unser Land gebaut ist", gräbt, ist auch keine Überraschung. Er weiß obendrein, dass in jedem von uns "das Böse" wohnt, es müsse nur von Institutionen gezähmt werden, die stark genug sind.

Zur Frage der "Idee Österreich" und nach dem "Woher unserer Nation" liefert Philosoph Konrad Paul Liessmann einen feinen Überblick: Von der "Gegenreformation, die für das geistige Umfeld und das Lebensgefühl in Österreich bestimmend war", über das "ambivalente Verhältnis der österreichischen Kultur zu den Ideen der Aufklärung" zieht er einen schlüssigen Bogen bis herauf zum anhaltenden Paternalismus und der Sozialpartnerschaft.

Diese wird im Gespräch mal meinungsstark verteidigt, mal ebenso meinungsstark verwünscht. So nebenbei erfährt man auch, dass 72 Prozent der Österreicher ein Problem damit haben, ihre Meinung zu sagen.

Locals und Cosmopolitans

Nicht so Armin Wolf. Der ORF-Anchorman und Social-Media-Star beschreibt die Kluft zwischen den "Somewheres" (eher ländlich, eher Auto) und "Anywheres" (eher urban, eher Flugzeug) als das drängende Problem unserer Zeit, und fast hat man den Eindruck, dass es ihm ein bisserl taugt, diese Begriffe meinungsstark in die Diskussion einzuführen.

Allerdings kennt Sozialforscher Bernd Marin diese unterschiedlichen Daseinsformen längst aus seiner Forschung als "Locals" und "Cosmopolitans", und so ist man sich im Wesentlichen einig, dass irgendwie eh schon einmal alles da war, bis hin zu den Bemühungen um den Umweltschutz, Stichwort: saurer Regen.

"Der Nazi" war natürlich immer schon da, nur dass er halt früher am Wirtshaustisch wütete und es jetzt im sozialen Netzwerk tut. Das liest man dann an die zehnmal, und spätestens beim elften Mal hätte den Machern dieses Buches auffallen müssen, dass wieder einmal die "Somewheres" bei diesem gemütlichen Kaffeetratsch fehlen. Am Ende darf noch Erste-Bank-Boss Andreas Treichl "mehr Respekt füreinander" einfordern, dann geht er nach Hause zu den Kindern, die ihm Spaghetti gemacht haben. Mahlzeit!

Thomas Maurer/ Robert Palfrader/ Florian Scheuba, "Wir Staatskünstler. Das Buch zum Staat". 24,95 Euro / 160 Seiten. Ueberreuther-Verlag, 2019
Cover: Ueberreuther

Florian Klenks Stimme findet sich dann auch im Buch Wir Staatskünstler wieder. Immerhin war er es, der Florian Scheuba, Thomas Maurer und Robert Palfrader im Jänner 2011 ihren ersten Auftritt unter dieser "Brand" bescherte: Seine Recherchen zu Karl-Heinz Grassers und Walter Meischbergers Rolle im Buwog-Skandal führten zum Vorlesen der legendären Abhörprotokolle ("Wo woa mei Leistung?") im Audimax der Uni Wien, was er im Vorwort noch einmal ausführlich beschreibt.

Im Buch selbst findet sich dann viel "uneigentliche Rede" in Form abgedruckter Programme bzw. Drehbücher der Künstler, die durch ein paar Fotos und Illustrationen aufgehübscht werden.

Das Wählerpotenzial der FPÖ wird darin wieder einmal mit der Anzahl der funktionalen Analphabeten im Land gleichgesetzt, und man darf sich fragen, wie "die Kluft", die im ersten hier vorgestellten Buch vielstimmig beklagt wurde, auf diese Weise überwunden werden soll? Aber eh wurscht.

Als zeitgeschichtliches Dokument darf man das Buch sehen, wenn man in alten Sketches über Werner Faymann stolpert oder gar über Niko Pelikan und Laura Rudas. Erinnert sich noch jemand?

Zahlen, Daten, Fakten

Julian Aichholzer, Christian Friesl, Sanja Hajdinjak, Sylvia Kritzinger (Hg.), "Quo vadis, Österreich? Wertewandel zwischen 1990 und 2018". 27,- Euro / 312 Seiten. Czernin, 2019
Cover: Czernin

Die "Europäische Wertestudie" (EVS) schließlich erforscht seit 1990 umfassend, wie sich unser Land wandelt und wie sich die Einstellung der Bevölkerung in den Bereichen Arbeit, Familie, Religion, Politik, Demokratie sowie Europa verändert.

Die Ergebnisse dieser Studie sowie Deutungen und Handlungsempfehlungen des Forschungsverbunds "Interdisziplinäre Werteforschung" an der Universität Wien fasst der Czernin-Verlag in Quo vadis, Österreich? Wertewandel zwischen 1990 und 2018 zusammen.

Entstanden ist dabei ein "Lesebuch" voller Zahlen, Daten und Fakten, das sich "vor allem an Wissenschafter, Studierende und Pädagogen richtet", aber auch an alle, die es genau wissen wollen: Einen starken Führer lehnten 2018 immerhin 84 Prozent der Bevölkerung ab. Und das war durchaus schon einmal anders. (Manfred Rebhandl, 25.10.2019)