Zahlreiche Terrorakte werden als "feige" charakterisiert. Aber: Gibt es mutige Anschläge?

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"Er starb wie ein Hund, er starb wie ein Feigling. Er hat gewimmert geschrien und geweint. Offen gesagt ist das etwas, was betont werden sollte, damit seine Anhänger und all die jungen Leute, die ihre Länder verlassen wollen – inklusive der USA –, sehen, wie er starb. Er starb nicht wie ein Held, er starb wie ein Feigling." Dieses Zitat stammt von Donald Trump und bezieht sich auf die Tötung von Abu Bakr al-Baghdadi, dem Anführer und selbsternannten Kalifen des IS. Es steht in einer Reihe mit vielen anderen Aussagen, die Politiker*innen im Lauf der letzten Jahre über Terroranschläge getätigt haben.

Zwei Konstanten werden dabei immer wieder sichtbar. Zum einen die notwendige Zusicherung von "Gedanken und Gebeten" und zum anderen die Einordnung des Anschlags und der Täter als "feige". Trump ist bei weitem nicht der Einzige, der Terroristen und ihre Taten für feige hält. Die ehemalige britische Premierministerin Theresa May beispielsweise hat auf diese Weise zahlreiche Terrorakte charakterisiert, die in ihre Amtszeit fielen. Sie nannte den Terroranschlag von Manchester am 22. Mai 2017 ebenso feige, wie sie es beim Anschlag auf die Londoner U-Bahn am 15. September 2017 und beim Attentat von Lüttich in Belgien am 29. Mai 2019 tat. Und jüngst hat der Ministerpräsident des deutschen Bundeslands Sachsen-Anhalt, in dem am 9. Oktober das Attentat von Halle stattfand, die Tat als einen "feigen Anschlag auf das friedliche Zusammenleben in unserem Land" beschrieben.

Feige. Was soll das heißen

Mich treibt diese Einschätzung um. Denn erstens wird von ihr immer wieder im Zusammenhang mit Attentaten Gebrauch gemacht. Zweitens hat außer Donald Trump kaum jemand jemals eine klare Aussage darüber abgegeben, was genau Feigheit für sie oder ihn eigentlich bedeutet. Und drittens geht es dabei um Männer. Mir ist natürlich klar, dass die Vertreter*innen der politischen Elite mit Begrifflichkeiten rund um Feigheit klarmachen wollen, für wie widerlich, grausam und furchtbar sie die jeweiligen Taten und Täter halten, und das ist auch gut so.

Aber dass sie von ihnen so unisono ausgerechnet als feige bezeichnet werden, ist schon ziemlich bemerkenswert. Was soll das heißen? Existieren im Gegensatz dazu auch mutige Terroranschläge? Können Terroristen Schritte unternehmen, um einen Anschlag mutiger als andere durchzuführen? Und falls ein Anschlag immer einen Akt der Feigheit markiert: Wozu dann diese Redundanz? Wieso wird dieser Begriff immer wieder heraufbeschworen, wenn ein Terrorakt qua Definition grundsätzlich feige ist und die Männer, die ihn durchführen, Feiglinge?

"Kein echter Mann"

Trump ist einer der wenigen, deren Ausführungen im Hinblick auf diese Fragen die zugrunde liegenden Motive offenlegen. Ihm geht es darum, den Täter posthum zu diskreditieren und ein starkes Signal an mögliche Nachfolger zu senden, dass diese Tat ihnen keinen Ruhm einbringt und sich für sie nicht lohnen wird. "Er war kein Held, er starb wie ein Feigling."

Ich kann nur annehmen, dass andere politische Führer*innen ähnliche Motive haben. Genau wie Trump ginge es ihnen dann darum, die Täter und deren potenzielle Nachahmer auch und gerade in ihrer Männlichkeit zu treffen. Du bist kein echter Mann, wenn du ein Terrorist bist. Du bist kein echter Mann, wenn du ohne Vorwarnung Zivilisten tötest. Und, in Trumps speziellem Fall: Du bist kein echter Mann, wenn du im Angesicht des Todes wimmerst, schreist und weinst. Ich frage mich, was das bei denjenigen bewirkt, die man von solchen Taten abhalten will. Verfolgen sie wirklich die Pressekonferenz, hören, was Trump und andere zu sagen haben, und entscheiden dann aufgrund ihrer Vorstellung von männlicher Ehre, dass sie sich so nicht verhalten wollen?

Schluss damit

Und noch mehr frage ich mich, wie das auf diejenigen wirkt, die nicht einmal im Traum daran denken würden, Menschen zu verletzen und zu töten. Was macht das mit Männern, die sich beim Gedanken an den Tod gut vorstellen können, dass sie wimmern, schreien und weinen? Was macht das mit Männern, die den Herausforderungen des Lebens gelegentlich mit Feigheit begegnen? Also eigentlich mit allen Männern? Ich fürchte, nichts Gutes. Ich fürchte, dass damit einmal mehr die zerstörerische Geschlechternormierung "Männer müssen mutig sein" perpetuiert wird, mit der wir uns leider kein Stück von einer Männlichkeitsversion entfernen, die im Extremfall zu solchen Taten in der Lage ist. Und vermutlich auch keinen einzigen angehenden Terroristen davon abhalten, seine Pläne in die Tat umzusetzen.

Wir sollten wirklich aufhören, Terror und Terroristen als feige zu bezeichnen. (Nils Pickert, 4.11.2019)