Türkis-Grün? Mit einer Prise Pink? Die rote Karte? Oder doch wieder mit Blau? Hier startet eine kleine Erinnerungshilfe in loser Folge über Themen, die für die Zukunft wichtig sind. Weil auch die schönste Übergangsregierungszeit einmal ein Ende findet.

Bildung:

Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die im Alter von 15 Jahren noch immer Probleme beim Lesen haben, ist erschreckend hoch: Fast ein Viertel ist laut Pisa-Daten betroffen. Ähnliche Ergebnisse gibt es in Mathematik und den Naturwissenschaften. Fast sieben Prozent der Jugendlichen haben weder einen Schulabschluss noch eine andere Ausbildung.

So weit der Ist-Zustand. Die türkis-blauen Antworten auf die Problemlage hießen: Deutschförderklassen, Noten und Klassenwiederholungen für Volksschulkinder, Einführung einer Bildungspflicht. Zu Letzterem ist es aufgrund des vorzeitigen Regierungs-Aus nicht mehr gekommen, bei den anderen Punkten lässt sich ein etwaiger Erfolg oder Misserfolg noch nicht ablesen. Experten waren sich bei der Deutschförderung jedenfalls einig: Diese Richtung stimmt nicht.

Was wäre mit einer Bildungspflicht gemeint? Künftig soll nach Vorstellung der ÖVP jedes Kind mit ausreichenden Lese-, Schreib- und Rechenkompetenzen die Schule verlassen. Wenn nötig, soll dafür bis zum 18. Lebensjahr weiter gefördert werden. Am aktuellen System, das die Bildungskarrieren von Kindern bereits im Alter von zehn Jahren mit der Wahl der weiterführenden Schule mehr oder weniger einzementiert, wurde nie gerüttelt. Mitte-rechts mag das nicht.

Ethik könnte Pflichtfach werden, Religionsunterricht soll bleiben.
Foto: Regine Hendrich

Was spät, aber doch möglich wurde, ist der Ausbau der ganztägigen Schulformen. Es ist ein Ja, aber. Eigentlich sollten die hierfür eingeplanten Mittel aus der Bankenmilliarde bereits 2025 aufgebraucht sein, später wurde das, was von den zugesagten 750 Millionen Euro übrig blieb, nicht nur bis 2032 gestreckt, sondern auch neuen Zwecken zugewiesen. Künftig soll damit auch ein Teil des dringend benötigten Unterstützungspersonals an Schulen gestellt werden. An die Formel "Unterricht und Freizeit wechseln einander ab" ist die Förderung nicht gekoppelt.

Noch ein Ja, aber hat man sich abgerungen: Ethikunterricht könnte nach Jahren im Versuchsstadium zum Pflichtfach werden – aber nur für diejenigen, die vom Religionsunterricht abgemeldet sind, so war zumindest der türkis-blaue Plan.

Über alle Parteigrenzen hinweg ist man einig, dass Schulen mit besonders großen sozialen Herausforderungen auch mehr Geld brauchen, um diese zu bewältigen. Sogar der wirtschaftsliberale Thinktank Agenda Austria schlägt einen sogenannten "Sozialindex" zur gerechteren Mittelverteilung vor – Grüne, SPÖ und Neos pflichten dem bei.

Dort, wo die Bildungskarriere beginnt, ist alles beim Alten geblieben: Das zweite verpflichtende Kindergartenjahr ist nicht gekommen (die Zahl der betreuten Vierjährigen ist mit über 90 Prozent aber ohnedies hoch), an der Gruppengröße hat sich nichts geändert, Öffnungszeiten und Kosten bleiben laut Erhebung der Arbeiterkammer die größte Sorge der Eltern.

Was Türkis-Blau stattdessen mit Nachdruck als bildungspolitische Maßnahme verkaufen wollte, war die Einführung des Kopftuchverbotes für Volksschülerinnen. (Peter Mayr, Karin Riss)

Umwelt:

Österreich hat sich dazu verpflichtet, seine Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 2005 um 36 Prozent zu reduzieren. So weit, so gut. Schlecht ist allerdings: Die Republik hat zuletzt nicht nur die erlaubte Höchstmenge an Treibhausgasen laut Klimaschutzgesetz überschritten, auch im EU-Ranking steht sie denkbar bescheiden da: Vergleicht man die langfristige Veränderung des Emissionsausstoßes in der Europäischen Union, gibt es nur vier Länder, die schlechter abschneiden als Österreich.

Es gibt also einiges zu tun. Immerhin wollen sämtliche Parlamentsparteien das Land klimaneutral machen. Darüber, wann "netto null" erreicht werden soll, herrscht aber noch keine Einigkeit. Die FPÖ stellt sich das Jahr 2050 vor, die übrigen Parteien 2040. Egal wann: Um Klimaneutralität zu erreichen – und auch um Strafzahlungen in Milliardenhöhe zu vermeiden -, muss die künftige Regierung einen sehr ambitionierten Fahrplan vorlegen. Die Lernkurve muss steil sein. Denn in den vergangenen Jahrzehnten gab es in der Klimapolitik kaum große Würfe.

In erster Linie muss sich die neue Regierung darum kümmern, dass der nationale Energie- und Klimaplan "pariskonform" wird – also dem Zielpfad des Pariser Klimaabkommens entspricht. Bisher war das noch nicht der Fall. Was dazu nötig wäre, muss nicht lang und breit diskutiert werden, die Wissenschaft hat ihren Beitrag dazu geleistet: Über 70 heimische Klimaschutzexperten haben bereits einen solchen Referenzplan vorgelegt.

Die freitäglichen Proteste machten Klima zum Top-Thema.
Foto: APA

Ein Punkt darin ist eine klimagerechte Steuerreform. Neben einer CO2-Bepreisung sollen Menschen mit niedrigem Einkommen entlastet werden. Das Erreichen der Klimaziele wäre außerdem einfacher, baute man klimaschädlichen Subventionen ab. Diese kosten den Staat jährlich mehr als drei Milliarden Euro. Das frei gewordene Geld könnte sowohl zur Stärkung jener beitragen, die von einer CO2-Bepreisung verhältnismäßig stark betroffen wären, wie auch in die Erforschung und Weiterentwicklung klimafreundlicher Technologien gesteckt werden.

Priorität muss in den kommenden Jahren der Verkehrssektor haben. Hier steigen die Emissionen besonders stark. Der öffentliche Verkehr muss im Vergleich zum Pkw-Verkehr nicht nur eine attraktive und leistbare Alternative werden, er muss vor allem auch im ländlichen Bereich ausgebaut werden. Notwendig um das Klimaziel zu erreichen, wäre jedenfalls auch eine Reform im Bereich der erneuerbaren Energien. Zwar steht Österreich im EU-Vergleich hier relativ gut da, Projekte stecken jedoch oft in der Förderwarteschlange fest.

Der Klimaschutz darf künftig jedenfalls nicht mehr alleinige Aufgabe eines Umweltministeriums sein. Als Querschnittsmaterie muss das Thema in allen Ressorts zur Top-Priorität werden. Vor allem das Finanzministerium muss wesentlich stärker involviert werden – denn ohne eine entsprechende Umschichtung der Mittel werden große Würfe in der Klimapolitik weiter ausbleiben. (Nora Laufer)

Standort:

Die Wettbewerbsfähigkeit der Republik steht ganz oben auf der Prioritätenliste der ÖVP. Als sich im Vorjahr Österreich in einem der vielen Rankings verbesserte, gratulierte sich Sebastian Kurz selbst: "Unternehmen sagen wieder Ja zu Österreich und vertrauen wieder stärker unserem Standort", erklärte der damalige Kanzler. Allerdings gelte es, die Rahmenbedingungen "mit aller Kraft" zu verbessern. Fragt sich nur, in welche Richtung.

Letztlich muss das Ziel sein, hochwertige Investitionen zu fördern, um Beschäftigung und Wachstum zu sichern oder anzukurbeln. Ob neue Werke, Forschungszentren oder auch nur ein neues Lager in Österreich oder außerhalb der Grenzen errichtet wird, hängt von einem ziemlich großen Strauß an Kriterien ab. Infrastruktur, Qualifikation und Wachstum spielen ebenso eine Rolle wie Steuern, Bürokratie und Rechtssicherheit. Auf die Wünsche der Unternehmen ist Türkis-Blau vielfach eingegangen. Man denke an die Arbeitszeitflexibilisierung oder das Standortentwicklungsgesetz.

Knappe Budgets, zu wenige Anreize für Forschung und Forscher: Der Standortfaktor Bildung wird in Zukunft entscheidend.
Foto: www.corn.at Heribert CORN

Letzteres Beispiel zeigt aber schon die vielen Tücken. Um die Errichtung großer Infrastrukturvorhaben wie Autobahnen oder Kraftwerke zu erleichtern, wurden für diese vorrangigen Projekte Erleichterungen bei der Umweltverträglichkeitsprüfung beschlossen. Damit hat sich Österreich kürzlich ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission eingehandelt. Brüssel befürchtet, dass Umwelt- und Anraineranliegen zu kurz kommen. Möglicherweise wurde mit der Novelle über das Ziel hinausgeschossen. In anderen Bereichen sind die Ambitionen hingegen kaum wahrzunehmen. So gilt die strikte Gewerbeordnung samt entsprechenden Kammerumlagen und Kosten für den Gewerbeschein als hohe Hürde für unternehmerische Entfaltung. Gleichzeitig ächzen die Kunden unter hohen Preisen für Handwerker und Co. Für Kurz war eine Liberalisierung, gegen die sich die ÖVP-nahe Wirtschaftskammer mit Bestemm wehrt, nie ein Thema. Ebenso sind die Bemühungen einer Verwaltungsreform überschaubar. Nur sie könnte Doppelgleisigkeiten oder gar widersprüchliche Vorgaben, mit denen Betriebe ihre liebe Not haben, beseitigen.

Ein anderer Aspekt ist der gezielte Zuzug von Fachkräften und Wissenschaftern, den Österreich angesichts des massiven Rückgangs junger Arbeitskräfte benötigt. Die ÖVP zeigte sich hier zwar offen, mit der FPÖ war aber jede Konzession im Bereich "Ausländer" ziemlich schwierig. Noch weniger geht – auch ohne Freiheitliche – beim möglicherweise wichtigsten Standortfaktor: Bildung. Mit dem dürftigen Ausbildungsniveau in der Sekundarstufe trotz hoher Ausgaben ist das Land für künftige Herausforderungen schlecht aufgestellt.

An den Universitäten sind die Budgets, gemessen an der Zahl der Studenten oder an der Ausstattung pro Wissenschafter, zu gering. Österreich verliert unter dem Strich bessere Forscher, als es anzieht. Verbesserungen bei der Standortqualität wird man mit Mittelmaß in der Bildung nicht erreichen. (Andreas Schnauder)

Gleichstellung:

Am 3. Juni dieses Jahres gelobte Staatsoberhaupt Alexander Van der Bellen mit dem zwölfköpfigen Übergangskabinett von Kanzlerin Brigitte Bierlein die erste Regierung an, der ebenso viele Frauen wie Männer angehören. Stolzer Kommentar des Bundespräsidenten: "Künftig kann niemand mehr sagen: ,Es geht einfach nicht!'"

Er sollte sich irren. Damit eines Tages vielleicht auch in den Vorstandsetagen und Aufsichtsräten von Unternehmen Geschlechterparität herrschen kann, müsste erst einmal die Spitzenpolitik vorexerzieren, dass sie selbst bei der Bestellung der höchsten Ämter Wert auf Gleichstellung legt. Doch auch die meisten Parteien sind davon noch weit entfernt.

Beispiele gefällig? Nur wenige Tage nach der Angelobung von Bierlein und Co nominierten ÖVP, SPÖ und FPÖ für die dreiköpfige Volksanwaltschaft erstmals drei Männer – ein Novum seit 1983, seit das Dreierkollegium, als Ombudsstelle für Bürger bei Problemen mit Behörden gedacht, in der Verfassung verankert ist. Bis jetzt war dieses wichtige Kontrollorgan der Republik nie rein männlich besetzt, stets gehörte ihm mindestens ein weibliches Mitglied an.

Auch ernüchternd: ein Blick in den neu gewählten Nationalrat. Die erstmals dreiprozentige Erhöhung der Klubförderung für Fraktionen, die einen Frauenanteil von über 40 Prozent haben, können nur SPÖ und Grüne lukrieren. Mit einem weiblichen Anteil von 36,6 Prozent verpasst die Volkspartei die Zielvorgabe. Noch ändern könnte sich das im Zuge der Regierungsbildung. Die FPÖ hingegen ist von der 40-Prozent-Marke mit 16,7 Prozent weit entfernt, die Neos verfehlten den Erhalt des Bonus knapp.

Bundespräsident Van der Bellen mit Österreichs erster Kanzlerin Bierlein: "Künftig kann niemand mehr sagen: ,Es geht einfach nicht!'"
Foto: HELMUT FOHRINGER

Kein Wunder also, dass mit Stand Jänner 2019 auch in den ATX-Firmen nur 27,7 Prozent der Aufsichtsräte weiblich waren. Die 203 Vorstandsposten der börsennotierten Unternehmen hierzulande sind gerade einmal mit zehn Frauen besetzt – was rund fünf Prozent entspricht.

Woran sich die Politik angesichts der Zahlen der Statistik Austria rund um den jüngsten Equal Pay Day ebenfalls machen sollte: dass es in Österreich endlich gleichen Lohn für gleiche Arbeit gibt. Denn während das Bruttoeinkommen von Männern im Schnitt bei rund 52.000 Euro pro Jahr liegt, verdienen vollzeitbeschäftigte Frauen nur knapp 42.000 Euro – womit die Geschlechterkluft 19,7 Prozent ausmacht. Das bedeutet gemäß einer symbolhaften Berechnung, umgelegt auf alle Arbeitnehmer: Seit dem 21. Oktober bis zum Jahresende – also 72 Tage – arbeiten Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen gratis.

Die Lohnunterschiede lassen sich nicht nur mit Erwerbsunterbrechungen wegen Kinderbetreuung oder Altenpflege erklären; ebenso wenig damit, dass Frauen öfter in Niedriglohnbranchen statt in Führungspositionen arbeiten. Womit die Politik gegensteuern könnte: für bessere Einkommenstransparenz sorgen, damit Frauen wissen, was der Kollege nebenan verdient. À la longue auch von Vorteil: in Sozialberufen und im Dienstleistungssektor die Mindestlöhne anheben. (Nina Weißensteiner, 26.10.2019)