In der Antarktis ist das meiste Eis unseres Planeten gespeichert. Lange galt die gigantische Eiskappe über dem Südpol im Vergleich zu den Gletschern Grönlands oder jenen in den Bergregionen unseres Planeten als recht stabil. Doch im Jänner dieses Jahres kam die bis dahin umfassendste Studie zum Schluss, dass sich der Eisverlust in der Antarktis in den vergangenen 40 Jahren dramatisch erhöht hat.

Lag der jährliche Masseverlust im Jahr 1979 noch bei 40 Milliarden Tonnen, waren es 2017 schon 252 Milliarden Tonnen pro Jahr, wie eine im Fachblatt "PNAS" veröffentlichte Untersuchung offenbarte. Besonders beunruhigend daran ist, dass nicht nur die westantarktische Halbinsel unter dem Abschmelzen leidet, sondern auch Teile der Ostantarktis. Dieses Gebiet galt bisher als besonders stabil.

Der Vergleich der Eismassenverluste zwischen 1979 und 2017, aufgeschlüsselt nach Regionen.
Foto: Eric Rignot et al., PNAS 2019

Vor allem aber sind in der Ostantarktis die mit Abstand größten Eismassen gebunkert: Würden sie vollständig abschmelzen, was natürlich nur hypothetisch denkbar ist, ließe das den Meeresspiegel um fast 52 Meter ansteigen. (Aktuell ist die Antarktis freilich nur für rund zehn Prozent des Meeresspiegelanstiegs verantwortlich.) Die Forscher um Eric Rignot (Universität Kalifornien in Irvine) argumentierten deshalb in ihrer Studie, dass diesem Teil der Antarktis künftig mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte.

Das Schelfeis der Antarktis ist von der anthropogenen Erderwärmung besonders betroffen. Dazu hat auch die Ausdünnung der vergangenen 300 Jahre beigetragen, wie eine neue Studie zeigt.
Foto: James Smith

Genau diesen Rat hat nun ein internationales Wissenschafterteam um William Dickens (British Antarctic Survey, Cambridge) berücksichtigt und ging mit einer neuartigen Methode den Ursachen des Eismassenverlustes auf den Grund: Sie erstellten eine Art Chronik für die letzten 6.250 Jahre, indem sie Sauerstoff-Isotope in einzelligen Algen analysierten, die in einem marinen Sedimentkern von der nordöstlichen Spitze der Antarktischen Halbinsel konserviert wurden. Niedrigere Isotopenwerte bedeuten dabei einen höheren Abfluss von Süßwasser aus den Gletschern.

Wie die Forscher im Fachblatt "Scientific Reports" berichten, nahm laut den auf diese Weise gewonnenen Daten der Gletscherabfluss nach dem Jahr 1400 zu und erreichte nach 1706 ein bis dahin beispielloses Niveau. Eine weitere deutliche Beschleunigung des Gletscherschmelzens wurde nach 1912 beobachtet. Mit anderen Worten: Das antarktische Schelfeis – also die großen Eisplatten, die auf dem Meer schwimmen – wird seit etwa 300 Jahren mit zunehmendem Tempo dünner. Und genau das macht das Eis nicht zuletzt im Osten der Antarktis angesichts der zunehmenden anthropogenen Erderwärmung besonders verwundbar.

Veränderungen der antarktischen Oszillation

Die Autoren gehen davon aus, dass die beschleunigte Eisschmelze zum Teil mit Verschiebungen in der sogenannten antarktischen Oszillation (Southern Annular Mode) zusammenhängt, die stärkere Westwinde und atmosphärische Erwärmung mit sich brachten. Gleichzeitig dürfte dadurch warmes Wasser in den Weddell-Wirbel strömen, das von unten zum Schmelzen der Eisschelfe beiträgt.

Für die Zukunft sind die Forscher nicht gerade optimistisch: Sie befürchten häufigere Verschiebungen in der antarktischen Oszillation, da diese auch schon in jüngster Zeit häufiger beobachtet wurden. All das könnte den Eismassenverlust insbesondere in der Ostantarktis weiter beschleunigen. (tasch, 26.10.2019)