In Zeiten, in denen digitale Medien unser Leben umgeben und durchdringen, sind längst neue – und durchaus ernste – Herausforderungen entstanden. Geklagt wird über permanente Ablenkung durch das Smartphone bis hin zu Konzentrationsschwächen, digitaler Stress macht sich breit, immer größer wird die Sorge ob digitaler Sucht.

Inzwischen gibt es allerdings auch eine digitale Antwort auf das Problem, nämlich digitale Produkte, die Abhilfe schaffen sollen. Sie heißen "Digital Detox", "Stay Free" oder "Smiling Mind" und sind nur einige Beispiele für eine Vielzahl von Apps, die allesamt Ähnliches versprechen: Ihre Nutzung soll dazu führen, digitale Medien nicht, mindestens aber weniger zu nutzen oder sogar einen Beitrag zur Suchtprävention zu leisten – Motto: "Focus and fight phone addiction", wie etwa der Zusatztitel der App "Digital Detox" verheißt.

Welche Apps gibt's?

Die Botschaft ist klar: Wir brauchen eine App am Handy, die uns dabei hilft, es nicht mehr zu nutzen. Natürlich ist das eine gewisse Paradoxie. Die Frage ist aber: Wirken sie auch – und wenn, wie?

Weniger Selfies, weniger Instagram – wie schaffen Sie die digitale Entschlackung?
Foto: APA/AFP/JOSH EDELSON

Die Apps arbeiten mit verschiedenen Methoden. Die einen bieten ein Tracking der eigenen Mediennutzung an, wie etwa "Boosted – Productivity & Time Tracker", "Checky – Phone Habit Tracker", "Realiz D – Screen Time Tracker", "Rescue Time", "Stay Free" oder "Your Hour – phone addiction tracker and controller". Wer sie nutzt, weiß anschließend, wie viel Zeit für die verschiedenen Applikationen, die das Mobiltelefon bietet (Telefonie, Spiele, Soziale Medien et cetera), aufgewendet wurde.

Eine zweite Gruppe legt den Fokus auf Entspannung, wobei diese nicht primär auf die individuelle Nutzung digitaler Medien bezogen sein muss. Vielfach handelt es sich dabei um Meditationsanleitungen, wie bei "5 Minute Meditations", "Chakra Meditation" oder "Smiling Mind". Man schaltet sie ein, um durch eine mehr oder minder sympathische Stimme angeleitet kurz abzuschalten.

Die dritte Gruppe zielt auf ein digitales Entgiften oder Praktiken des digitalen Fastens ab, wie etwa "Digi Limit", "Smart Detox", "Hold", "Offtime", "Time Out", "Stay Focused" oder "Stay Free". Im günstigsten Fall funktioniert das mittels Belohnungsmodell (es wächst ein Baum, während man das Handy nicht nutzt), häufig aber auch mittels Sanktionen, moralischen Zeigefingers oder Strafen (der Baum stirbt, die Blume verwelkt, man muss Strafe zahlen), wenn das Handy früher verwendet wird als (selbst) festgelegt.

Datenfallen?

Die Ergebnisse eines Tests von insgesamt 30 Apps durch Studierende zeigen, dass Entspannungs-Apps primär Kaufanreize für (teilweise sehr kostspielige) Premiumversionen darstellen und die Wirksamkeit sehr stark von subjektiven Faktoren abhängt (persönliche Motivation, subjektive Wahrnehmung der Stimme). Detox-Apps blockieren tendenziell andere Funktionen – lassen sich aber auch recht einfach umgehen, ihr Mehrwert wird von den Studierenden äußerst kritisch hinterfragt.

Die meisten Apps dienen dem Selftracking, der digitalen Beobachtung und Aufzeichnung von Verhaltensformen. Zugleich ist damit aber auch immer ein Fremd-Tracking gemeint, denn selbstverständlich dienen alle Apps der Datensammlung, der man vorab zustimmen muss. Die erforderlichen Zugriffsrechte sind zwar sehr unterschiedlich, meistens stehen sie aber in keinem plausiblen Zusammenhang zu den Angeboten der Apps. Die Recherche hat gezeigt, dass diese Daten teilweise sogar Krankenkassen zur Verfügung gestellt werden.

Am besten abgeschnitten haben diverse Tracking-Apps, die die eigene digitale Mediennutzung protokollieren. Allerdings ist dazu anzumerken, dass man – je nach Betriebssystem des Smartphones – gar nicht unbedingt eine eigene App benötigt, manche Handys bieten die Funktion bereits an.

Die Darstellung der eigenen digitalen Mediennutzung kann durchaus zu Verwunderung oder gar Erschrecken führen, eventuell auch zu Selbstreflexion. Mitunter führt die Nutzung der verschiedenen Apps auch tatsächlich zu einer Veränderung der eigenen Nutzungspraktiken, sofern die Apps bewusst eingesetzt werden, um das scheinbar Ununterbrochene zu unterbrechen, eine Auszeit zu nehmen, sich selbst Ziele oder auch Schranken in der Mediennutzung zu setzen oder die eigene Medienpraxis kritisch-analytisch zu beleuchten. Möglich ist allerdings auch das Gegenteil, nämlich eine Bestätigung der Selbsteinschätzung und ein Beibehalten des Status quo der Nutzung.

Kurzes Resümee: Man kann digitale Medien tatsächlich nutzen, um sie nicht zu nutzen. Man kann sie aber nach wie vor auch einfach weglegen. (Larissa Krainer, 28.10.2019)