Blumen und Kerzen liegen vor der Synagoge in Halle, wo am 10. Oktober ein rechtsextremer Terrorist während eines Gottesdienstes vergeblich versucht hatte, in das Gotteshaus einzudringen – dann erschoss er zwei Menschen in der Nähe.

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Berlin – Angesichts alarmierender Befunde über sich ausbreitenden Antisemitismus in Deutschland haben Politiker von Grünen und FDP ein stärkeres Vorgehen dagegen gefordert. Sie reagierten am Donnerstag in Berlin auf eine Umfrage im Auftrag des Jüdischen Weltkongresses, wonach 27 Prozent aller Deutschen antisemitische Gedanken hegen.

Über die Ergebnisse der Befragung durch das Institut Schoen Consulting hatte zuerst die "Süddeutsche Zeitung" berichtet. Zwar gaben in der Umfrage 79 Prozent der Befragten demnach an, Juden seien "genau wie alle anderen" Menschen. Jeweils 41 Prozent stimmten aber den Aussagen zu, Juden hielten "eher Israel als Deutschland die Treue" und "Juden sprechen zu oft über den Holocaust".

26 Prozent sagten, Juden hätten "zu viel Macht in der Wirtschaft", 24 Prozent gaben an, Juden hätten "zu viel Macht über die Weltpolitik". Zwölf Prozent unterstellten Juden, sie seien "für die meisten Kriege verantwortlich".

Auch unter Hochschulabsolventen

Ein Teil dieser Aussagen, die häufig von Antisemiten vertreten werden, stößt demnach auch unter Hochschulabsolventen mit einem Jahreseinkommen von mindestens 100.000 Euro auf verbreitete Zustimmung. So machten sich dem Bericht zufolge 28 Prozent von ihnen die Aussage "zu viel Macht in der Wirtschaft" zu eigen, 26 Prozent "zu viel Macht in der Weltpolitik". Auch teilten 48 Prozent dieser als "Elite" eingestuften Gruppe die Auffassung, in Deutschland lebende Juden verhielten sich loyaler zu Israel als zu Deutschland.

"Es ist an der Zeit, dass die gesamte deutsche Gesellschaft Position bezieht und Antisemitismus frontal bekämpft", sagte der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder, dazu der "SZ". Wenn sich mehr als ein Viertel der Gesellschaft mit Antisemitismus identifiziere, dann sei es Zeit für die restlichen drei Viertel, Demokratie und tolerante Gesellschaften zu verteidigen.

Gesamtgesellschaftlich Bekämpfung

Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz wertete die Ergebnisse der Umfrage als "erschütternd", allerdings auch nicht als überraschend. So weise seine Partei seit Jahren darauf hin, "dass Antisemitismus nie verschwunden war und leider bis tief in die Mitte der Gesellschaft reicht", erklärte Notz in Berlin. "Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, und er muss gesamtgesellschaftlich bekämpft werden", forderte der Grünen-Politiker weiter.

Auch der FDP-Politiker Stefan Ruppert nannte es "alarmierend, dass der Studie zufolge antisemitisches Gedankengut in wachsenden Teilen unserer Gesellschaft Zustimmung findet". Er verwies auf Vorschläge seiner Fraktion für ein Sofortprogramm, "das sämtlichen Formen des Judenhasses entschlossen entgegentritt". Die Bundesregierung müsse jetzt "entschlossen handeln, um die Ausbreitung eines antisemitischen Klimas in der Gesellschaft wirksam zu bekämpfen". (APA, 24.10.2019)