Österreich hat die Chance, so PR-Berater Wolfgang Rosam im Gastkommentar, vom Saulus (alte ÖVP-FPÖ-Koalition) zum Paulus (neue ÖVP-Grüne-Koalition) zu werden. In einem weiteren Gastkommentar blicken die Politikwissenschafter Felix Butzlaff und Margaret Haderer zurück auf die Geschichte der Arbeiterbewegung. Und sie erklären, warum Luxusuhren und Porsche kein Problem für die Sozialdemokratie sind, sehr wohl aber die Verteidigungsrolle. Und Roland Fürst, Co-Landesgeschäftsführer der SPÖ im Burgenland, schlägt vor, sich auf die drei Pfeile der Sozialdemokratie zu besinnen.

Der größte Gewinner aus der FP-Krise sind die Türkisen, der größte Gewinner aus der SP-Krise die Grünen. Türkis-Grün wäre nicht nur eine Koalition der Wahlsieger, sondern entspräche auch der größten Masse mit der kleinsten Schnittmenge.

Die türkis-grüne Story ist nicht nur sexy. Sie ist eine echte Vision für ein besseres Land. Ein Österreich mit mehr Toleranz, Umweltbewusstsein und der Erkenntnis, dass die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft in Zukunft in keinem Widerspruch zu einer, von allen Konsumenten und Kunden gewünschten, besseren Nachhaltigkeit steht. Und: Diese Story ist weltweit fantastisch erzählbar. Wir haben es in der Hand, vom Saulus zum Paulus zu mutieren. Was für ein aufregendes Szenario!

Neue Mitte

Wenn die Türkisen von rechts ein bisschen mehr zur Mitte driften und die Grünen von links, bricht beiden kein Stein aus der Krone. Im Gegenteil: Sie würden sich gegenseitig befruchten. Sebastian Kurz täte ein christlich-sozialer Touch durchaus gut, und Werner Kogler müsste nicht wortbrüchig werden, wenn er in der Migrationsfrage dem Beispiel der sehr erfolgreichen deutschen Grünen folgt und sich mit Kurz konstruktiv damit auseinandersetzt. Weniger Radikalität in den jeweiligen gegenwärtigen Standpunkten würde beiden nur nützen.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz und der grüne Bundessprecher Werner Kogler.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Vor den linken Wiener Grünen fürchten sich die meisten Konservativen. Aber was ist tatsächlich so schlimm an ihnen? In Wien werden sie vielerorts – sie gewannen bei der Nationalratswahl zehn (!) Gemeindebezirke – längst als die besseren Roten gesehen. Für Michael Ludwig beginnt das "Morgengrün" bedenklich besser zu strahlen als das durch viele dunkle Wolken auf Bundesebene gestörte "Abendrot". Nicht auszudenken, wenn Türkis-Grün auf Bundesebene funktionierte! Eine Türkis-Grün-Neos-Koalition hätte nach dem Ergebnis der Nationalratswahl in Wien eine Mehrheit. Und wenn die SPÖ so weitermacht, ist auch eine Wiener Revolution nicht auszuschließen.

Rote Misere

Noch etwas spricht für Türkis-Grün: Die Türkisen nehmen den Grünen keine Stimme weg und umgekehrt auch nicht. Das hat die Vorarlberger Landtagswahl bewiesen. Und das ist auch das stärkste Argument vieler Genossen, warum sie eine Regierungsbeteiligung ausschließen. Türkis-Rot würde nämlich den Juniorpartner auf das deutsche SPD-Niveau absinken lassen. Türkis-Grün wäre in der Lage, weitere Stimmen von anderen Lagern zu lukrieren: Die Grünen von den Roten und die Türkisen von den Nichtwählern. Die Neos würden eventuell im Wirtschaftsflügel profitieren, wenn Kurz zu viele Zugeständnisse machen müsste. Der Kanzler fürchtet aber eher eine Rückwanderung der blauen Stimmen, wenn er in der Migrationsfrage zu viel nachgibt. Das ist unbegründet, denn die FPÖ wird sich bei der Wien-Wahl spalten, weil Heinz-Christian Strache antritt und seine Expartner mehr als alles andere beschäftigen wird. (Wolfgang Rosam, 24.10.2019)