"Wäre der Papa noch operativ tätig gewesen, hätte ich es nicht gemacht. Ich wollte wissen, was mein Verantwortungsbereich ist", sagt Walter Scherb.

Foto: Alexander Schwarzl

England oder Hausruckviertel – London oder Attnang-Puchheim. Es gibt Entscheidungen, die muss man mit dem Herzen treffen. Nach erfolgreichen Jahren an der Themse hat sich Walter Scherb 2015 seiner Verdünnsaft-DNA besonnen und ist im Familienunternehmen eingestiegen. Seit 2019 obliegt dem passionierten Ruderer die Geschäftsführung des Lebensmittelherstellers.

STANDARD: Der heimliche Star in "House of Cards" ist der Water-Rower – als Claire, die durchtriebene Präsidentengattin, erkennt, dass Kevin Spacey aka Frank Underwood eine Zeitlang sein Rudertraining vernachlässigt, folgt die deutliche Anweisung: "Use the machine." Haben Sie als begeisterter Ruderer eine entsprechende "Maschine" im Büro?

Scherb: Nicht im Büro, aber natürlich zu Hause. Rudern beansprucht den ganzen Körper. Während meiner Zeit in London habe ich mehr auf dem Wasser gemacht. Da ist das ein Klassiker – jede Uni hat ihr eigenes Ruderteam.

STANDARD: Einer oder Achter – Teamplayer oder doch eher Einzelkämpfer?

Scherb: In London immer ein Achter. Ich war immer irgendwo in der Mitte positioniert.

STANDARD: Die Mitte haben Sie spätestens 2015 verlassen. Es folgte der Wechsel von London heim nach Attnang-Puchheim in die Chefetage des Familienunternehmens. Wie hart war der Umstieg?

Spitz setzt auf natürliche Klärung seiner diversen Säfte. Damit kann auf Hilfsstoffen verzichtet werden, wirbt das Unternehmen.
Foto: www.florianstoellinger.at

Scherb: Positiv formuliert: In Attnang-Puchheim lenkt mich deutlich weniger von meiner Arbeit ab. Man muss aber dazusagen, dass man als Familienmitglied mit dem Unternehmen aufwächst. Ich war als Kind mit dem Opa immer schon im Betrieb. Und als Jugendlicher habe ich dann jeden Sommer ein Praktikum gemacht. Immer sechs Wochen in unterschiedlichen Bereichen der Firma.

STANDARD: Mit 1. Jänner 2019 haben Sie die Geschäftsführung übernommen. Gibt es so etwas wie eine Verpflichtung in einem Familienunternehmen – kann man nicht aus?

Scherb: Ich hatte das große Glück, dass mich mein Vater eigentlich nicht gedrängt hat. Vielmehr hat er immer gesagt: "Schau's dir an, ob es dir gefällt. Und wenn ja, dann können wir darüber reden." Ich bin trotzdem nach London gegangen, hab dort studiert, war bei McKinsey. Und dann ist plötzlich der Punkt gekommen, wo es im Unternehmen einfach gut gepasst hat. Unser damaliger CEO ist in Pension gegangen, und wir hatten die Möglichkeit, entweder wieder einen externen CEO einzustellen – was das Unternehmen ja gewohnt war – oder jemand aus der Familie an die Spitze zu stellen. Ich habe mir das drei Monate angeschaut – mir war rasch klar, dass ich das machen möchte.

STANDARD: Schwingt da beim "Schau's dir an" vom Papa nicht immer auch ein "Aber gut wär's schon" mit?

Scherb: In vielen Familienunternehmen ist das sicher so, vor allem wenn der Vater die operative Leitung überhat. Aber nachdem mein Vater eben nicht operativ tätig war und eher den Immobilienbereich aufgebaut hat, war das eine vollkommen andere Ausgangslage.

STANDARD: Zehn Jahre lang wurde Spitz extern von Josef Mayer geführt. Mit Ihnen hat die dritte Generation der Familie wieder die operative Leitung übernommen. Warum hat man das Unternehmen wieder zur reinen Familienangelegenheit erklärt?

Scherb: Wenn man die Chancen nutzen kann, dass jemand aus der Familie da ist, der das machen möchte und auch gut kann, dann ist das immer die bessere Wahl. Du kannst als Familienunternehmen so viele Vorteile generieren. Du kannst einen unglaublich Spirit im Unternehmen erzeugen, eben weil du aus der Familie kommst. Die Leute reflektieren einfach ganz anders darauf, wenn ein Familienmitglied an vorderster Front sitzt. Du kannst das Ganze emotionaler und persönlicher gestalten. Und du kannst den Mitarbeitern einen Grund geben, jeden Tag zur Arbeit zu kommen. Du kannst mit einem familiengeführten Traditionsunternehmen den Leuten einfach eine bessere Geschichte geben. Da wird der Arbeitsplatz mit Emotionen gefüllt.

STANDARD: Sie sind im Traditionsunternehmen groß geworden. Prägt so etwas nachhaltig?

Scherb: Eine schwierige Frage. Aber ja, wahrscheinlich schon. Ich merke, dass ich für Lebensmittel und Getränke brenne. Das war eigentlich schon immer so – auch während meiner Zeit in London. Wenn ich im Urlaub bin, stellen mich meine Freunde meist schon beim ersten Supermarkt ab, weil die genau wissen, der wird jetzt dort verschwinden und macht mit dem Handy 100 Fotos und kommt mit 20 Mustern wieder zurück.

STANDARD: Sie haben bereits erwähnt, dass Ihr Vater bei Ihrem Einstieg nicht operativ tätig war. Ein Vorteil, wenn einem der Papa nicht unmittelbar im Genick sitzt?

Scherb: Es war nicht nur ein Vorteil, es war die Bedingung. Wäre der Papa noch operativ tätig gewesen, hätte ich es nicht gemacht. Mir war damals wichtig zu wissen, was mein Verantwortungsbereich ist. Und wo die Schnittmengen mit meinem Vater liegen. Die Rollenverteilung muss klar sein. Viele Familienunternehmen machen den Fehler, dass die Zuständigkeiten nicht klar aufgeteilt sind. Heikel wird es vor allem, wenn mehrere Mitglieder im Unternehmen sind. Das birgt ein enormes Konfliktpotenzial. Wenn du es aber richtig machst, dann hast du alle Vorteile eines Familienunternehmens. Du bist am Markt schneller und dynamischer.

STANDARD: Auch wenn die Rollen klar verteilt sind – wie schwierig ist die generationenübergreifende Zusammenarbeit? Diskutiert man da daheim in aller Ruhe bei einem Stamperl Spitz-Eierlikör, oder kracht es manchmal ordentlich?

Scherb: Eierlikör trinke ich selten, und die Fetzen fliegen innerhalb der Familie Scherb auch nicht. Aber natürlich verschwimmen die Rollen. Es gibt eben da auch die Familie. Man geht am Abend essen, fährt gemeinsam auf Urlaub. Und man redet dabei auch über das Unternehmen. Nicht zwingend muss man dabei immer einer Meinung sein. Aber das kann durchaus befruchtend sein.

STANDARD: Ihr Vater ist mit 54 Jahren noch relativ jung. Ist das mit einGrund, warum offensichtlich die Generationenkonflikte ausbleiben?

Scherb: Das spielt sicher eine Rolle. Über aktuelle Themen wie Digitalisierung oder Nachhaltigkeit mit jemandem zu sprechen, der das mitträgt, weil es eben keine Generationsunterschiede gibt, macht es für mich entschieden leichter.

Die Spitz-Produktion in Attnang-Puchheim.
Foto: Spitz / Bavaria Luftbild Verlags GmbH / Mario Siegemund

STANDARD: Beachtliche 4,6 Millionen Menschen konsumieren täglich ein Lebensmittel aus dem Spitz-Sortiment. Alle drei Divisionen – Getränke, Süß- und Backwaren, Süß & Sauer – haben zuletzt umsatztechnisch zugelegt. Was ist das Erfolgsgeheimnis, damit man auf dem rauen Markt den großen Nahrungsmittelkonzernen die Stirn bieten kann?

Scherb: Es ist jetzt die bessere Zeit, kein Großkonzern zu sein. Bei Lebensmitteln spielt das Thema Vertrauen eine große Rolle. Große Konzerne etwa tun sich da enorm schwer, dieses Vertrauen beim Konsumenten zu wecken. Da steckt ein Betrieb dahinter, der nicht greifbar ist, der Eigeninteressen verfolgt. Kein Mensch weiß da, welche Werte dahinterstecken. Da hast du als Familienunternehmen genau die gegenteilige Rolle. Dazu kommt, dass die Produktzyklen immer kürzer werden. Es poppen immer neue Themen auf. Da muss man dynamisch bleiben und auf Trends reagieren. Dabei sind kurze Entscheidungswege wie in einem Familienunternehmen enorm wichtig.

STANDARD: Produziert werden sowohl Eigen- als auch Handelsmarken, vor allem für Hofer – warum dieser weite Bogen zwischen Premium und Diskont?

Scherb: Die Produktbreite hat einen historischen Hintergrund. Als wir begonnen haben, gab es keine nationale Versorgung durch Händler. Diese Breite bewährt sich: Wir balancieren die Konjunktur aus. In einer Rezession tendieren Konsumenten zu preisgünstigen Produkten. Wir können mit dem Produktmix spielen.

"In einer Rezession tendieren Konsumenten zu preisgünstigen Produkten. Wir können mit dem Produktmix spielen", sagt Spitz-Chef Scherb.
Foto: Alexander Schwarzl

STANDARD: Stehen nach der Übernahme von Gasteiner (2007) und Auer-Blaschke (2013) weitere Übernahmen an?

Scherb: Nein, im Moment ist diesbezüglich nichts geplant.

STANDARD: Reicht der Kultstatus allein, um etwa so eine Marke am Leben zu halten?

Scherb: Die Wirkung solcher Traditionsmarken ist natürlich eine sehr starke, weil ganze Generationen damit Emotionen verbinden. Das ist ein solides Fundament aus Kindheitserinnerungen, Vertrauen und Qualität. Darauf muss man aber stetig aufbauen – und so versuchen, eben auch die jüngere Generation zu erreichen.

STANDARD: Ihr Vater war kurze Zeit Bundesrat. Hat Sie die Politik eigentlich jemals gereizt?

Scherb: Nein, ich bin sehr zufrieden mit meinem Job, und daher bin ich auch entsprechend ausgelastet. Generell würde ich es aber durchaus begrüßen, wenn wir mehr Unternehmer in der Politik hätten. (Markus Rohrhofer, 27.10.2019)