Soll klare Worte finden, aber nicht diktieren, wohin die Reise geht: SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner.

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Zugegeben, es ist nicht einfach, öffentlich eine zufriedenstellende Antwort auf die Sportreporterfrage zu finden. Am Wahltag wollen Journalisten von den Parteispitzen zudem nicht nur wissen, wie sie sich fühlen, sie sollen auch gleich eine möglichst originelle Analyse des eigenen Wahlergebnisses liefern – am besten vor der ersten Hochrechnung.

Wer schlecht abschneidet, greift dabei gern auf eingelernte Satzbausteine zurück. Die SPÖ durfte hier in den vergangenen Jahren einiges an Übung sammeln. Also hielt man sich auch am Wahlabend des 29. September an die bewährte Trias "Wir müssen wieder klarmachen, wofür wir stehen", "Wir müssen die Partei öffnen und schonungslos analysieren" und "Es wird keine personellen Konsequenzen geben". Das Problem: Diesmal gab es nicht nur eine äußerst umstrittene Personalentscheidung bereits am Tag nach der Wahl (Christian Deutsch übernahm von Thomas Drozda den Posten des Bundesgeschäftsführers), ausgerechnet die Parteichefin reicherte ihre Analyse um drei Worte an, die bei den Genossen für helle Empörung sorgten. "Die Richtung stimmt" empfanden viele nicht nur inhaltlich als Affront. Zuletzt sorgte noch ein Beratervertrag, den die SPÖ mit der Leykam Medien AG und deren Geschäftsführer Max Lercher abgeschlossen hat, für Aufregung. Schnell wurde kolportiert, die 20.000 Euro pro Jahr wären sein Salär. Drozda-Vorgänger Lercher wittert eine parteiinterne Intrige – und klagt.

Rote Revoluzzer

Es wurlt in der SPÖ. Problemaufrisse und Reformideen gibt es zuhauf, es ist eine Mischung aus ehrlichem Interesse, manch persönlicher Eitelkeit oder Wichtigtuerei und einer Prise gezielter Störaktion. Reformfreudige Sozialdemokraten laufen Gefahr, in die Ritualisierungsfalle zu tappen. Wurde an der SPÖ vielleicht schon so viel herumgemäkelt, dass konstruktive Kritik jetzt, wo quasi die Hütte brennt, ins Leere läuft? Nachfrage bei den Querköpfen der Partei: Wie lebt es sich als roter Revoluzzer, und wie lautet der Ratschlag an die SPÖ heute?

Wolfgang Moitzi erinnert sich an eine Gremiensitzung 2013: "Damals wurde ich mit unseren Forderungen durch Sonne und Mond geschossen. Charly Blecha hat mir dann gesagt, er hat schon Mitleid mit mir", erzählt Moitzi, einst Chef der Sozialistischen Jugend (SJ), heute steirischer Vizelandesgeschäftsführer. Fünf Jahre später war die interne Realität dann eine andere. Mit Christian Kern an der Spitze sollte eine Vielzahl der Forderungen der Jungen umgesetzt werden – darunter die Direktwahl des Parteivorsitzenden, eine Mitgliederbefragung über Koalitionsabkommen sowie eine Zweidrittelhürde für Langzeitmandatare. Was die Sache besonders hart macht: Unter Rendi-Wagner wurde genau diese Organisationsreform wieder abgeblasen. Stattdessen will Deutsch im April einen unverbindlichen "Zukunftskongress", auch eine neuerliche Mitgliederbefragung (eine fand bereits unter Kern statt) soll es geben. Moitzi ortet ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Angst vor Verselbstständigung

"Es ist die Angst, dass etwas passiert, das man nicht im Griff hat", die zu einer solchen Engführung der Parteireform greifen lässt, glaubt Sonja Ablinger. Als Nationalratsabgeordnete setzte sich Ablinger, seit 1985 bei der Partei, immer wieder über den Klubzwang hinweg. Ein Verhalten, das der mittlerweile aus der SPÖ ausgetretenen roten Revoluzzerin nicht gut bekommen ist. "Die Reaktionen waren heftig", reichten von beschwörenden nächtlichen SMS-Nachrichten bis zu vermeintlich wohlmeinenden Kommentaren, sie solle sich nicht unglücklich machen. "Aber ich habe schon Erfahrung gehabt", lacht sie heute. 1996 bis 1999 saß sie schon einmal für die Roten im Nationalrat. Und auch damals stimmte sie gegen die Asyllinie der Partei. "Im Klub hat auf einmal keiner mehr mit mir geredet."

Eine andere Möglichkeit, um auf parteiinterne Kritiker zu reagieren: nicht einmal ignorieren. Bei Irini Tzaferis hat sich bisher "noch niemand von oben gemeldet". Bei der Basis stößt die Facebook-Aktionsgruppe "machen wir was" hingegen auf großes Interesse. Rund 30 Sektionen hätten allein in Wien ihre Resolution zur Parteineuaufstellung unterschrieben, sagt Tzaferis. Selbst wenn es "extrem frustrierend" sei, das Gleiche wie vor eineinhalb Jahren durchlaufen zu müssen, weiß die Genossin, warum sie sich so hineinkniet: "Weil ich ja dann auf der Straße stehe und mich von den Leuten anschreien lassen muss." Auch bei ihr fällt das Wort "Glaubwürdigkeitsproblem". Eine Koalition mit der Kurz-ÖVP "darf sich inhaltlich nicht ausgehen".

Lokal radikal

Auch Stefanie Vasold von der SPÖ Wien-Josefstadt hat sich mit anderen Mitstreitern in einem Kommentar für den STANDARD Luft gemacht: Es brauche einen Neuanfang. Die Reaktion: viel Zuspruch, aber auch Unmut, dass die Kritik nicht nur intern formuliert wurde. Die Bezirkspartei hat reagiert. Es gibt jetzt einen Vorstandsbeschluss, dass es eine Direktwahl des Vorsitzenden geben soll. Im November findet die erste offene Vorstandssitzung statt, zu der Aktivistinnen und Aktivisten eingeladen sind.

Längst gärt es nicht nur in Wiens Bezirken. In Linz schreitet man bereits zur Tat: 2020 wird hier der Chefsessel per Direktwahl besetzt. "Es gibt mittlerweile die Partei der zwei Realitäten", glaubt der Traiskirchener Bürgermeister Andreas Babler: "Auf kommunaler und Landesebene wurde längst begonnen, eigenmächtig zu handeln. Wir besprechen mehr intern, als manchen in der Partei lieb ist. Die zweite Realität ist das Einbunkern." Und er fragt: "Wer sind die Kritiker, die Parteischädigung betreiben? Sind es jene Menschen, die etwas grundsätzlich ändern, die Partei 'entstauben' wollen? Oder sind es die, die sich einbunkern und alles verhindern?" Der "Zug der Zeit heißt Mitbestimmung. Wer führt? Mit welcher Ausrichtung?" Es könne nicht mehr sein, dass "die alte Funktionärsliga einfach etwas vorlegt, das dann abgenickt werden soll." Es mangle am Respekt vor den vielen Engagierten. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig mahnt indes zu "Geschlossenheit". Es seien "eh immer dieselben", die an keinem Mikrofon vorbeigehen könnten. (Peter Mayr, Karin Riss, 25.10.2019)